"Der Blümel redet schon wie der Kreisky"
KURIER: Wir sitzen in einem Wiener Traditionscafé, der Gastgarten ist gut besucht. Ein gutes Zeichen?
Gernot Blümel: Ja natürlich, es geht in vielen Bereichen wieder bergauf. Ich höre ganz Unterschiedliches. Wiener Stadthotels mit Touristen-Fokus haben es ganz schwer. Matthias Winkler vom Hotel Sacher hat sich Daten angesehen, wie es nach 9/11 war. Es hat drei bis vier Jahre gedauert, bis die Flugfrequenzen und die Zahl der internationalen Touristen wieder annähernd das Niveau wie vor den Anschlägen erreicht haben. Ich hoffe, so schlimm wird es nicht. Ganz anders ist die Situation bei den heimischen Seen, wo heuer sehr viele Österreicher Urlaub machen: Es ist alles nahezu ausgebucht.
Wie hart trifft das Ausbleiben ausländischer Gäste Österreichs Wirtschaft?
Massiv! 15 Prozent des Anteils am heimischen BIP erwirtschaftet der Tourismus. Das ist viel und vergleichbar mit klassischen Tourismusländern wie Spanien. Was viele vergessen: Wir haben Sommer- und Wintertourismus. Wenn man bedenkt, dass Österreich zudem ein Exportland ist und wir massiv von der Weltwirtschaft abhängen, haben wir es wirtschaftspolitisch sicher schwerer als andere Länder.
Gehen Sie, wie kolportiert, davon aus, dass es 20 Prozent der Gastronomen in Österreich 2021 nicht mehr geben wird?
Das lässt sich so nicht vorhersagen. Wir haben jedenfalls sehr viel Geld in die Hand genommen, um die Betriebe zu unterstützen und wir haben im Vergleich zu anderen Jahren heuer unterdurchschnittlich viel Insolvenzen. Auch daran lässt sich ablesen, dass die Hilfen wirken. Die Frage ist: Gibt es einen Nachholeffekt, wenn die Hilfen auslaufen, und: Ist die Insolvenz ursächlich auf Corona-Folgen zurückzuführen? Was sich jedenfalls sagen lässt, ist, dass Österreichs Unternehmen eine unterdurchschnittliche Eigenkapitalquote haben im Vergleich zu anderen Ländern.
Warum ist das so?
Das ist traditionell so, weil wir eine stark von Banken finanzierte Unternehmerlandschaft haben. Aber auch, weil wir eine traditionelle Kapitalmarkt-Feindlichkeit haben. Das Beteiligen an Unternehmen ist in Österreich nicht gelernt, „der Markt“ wird als etwas Böses angesehen. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir einen steuerlichen Nachteil bei Eigenkapital haben. Wir sind gerade dabei, Anreize zu schaffen und das zu ändern, damit Eigenkapital zumindest nicht schlechter behandelt wird als Fremdkapital.
Wie konkret soll das Eigenkapital besser behandelt werden?
Das Eigenkapital könnte etwa fiktiv verzinst werden wie das Fremdkapital. Entsprechend der neu geschaffenen Eigenkapitalquote würde sich die Steuerbemessungsgrundlage reduzieren. So hätte man als Unternehmer einen Anreiz, mehr Geld in die eigene Firma zu investieren. Diese steuerliche Optimierung würde mittel- und langfristig wirken. Wir brauchen genau diese Wirkung, damit unsere Wirtschaft gut aufgestellt ist und bleibt.
Das Corona-Kurzarbeitsmodell läuft Ende September aus. Wie wird das nächste Modell aussehen?
Das jetzige Kurzarbeitsmodell ist sehr breit und großzügig insofern, als der Staat bis zu 90 Prozent der Nettoersatzrate übernimmt. Wir müssen versuchen, zu einer Normalisierung überzugehen. Vor allem, weil der Konsum so lange nicht anspringen kann, so lange so viele Menschen in Kurzarbeit sind. Wenn jemand in Kurzarbeit ist, dann hat er das psychologische Hemmnis „Wer weiß, wie es wird? Solange ich es nicht weiß, gebe ich weniger aus.“
Das heißt in Zahlen ausgedrückt?
Das Wifo errechnet, dass es bei den Haushalten zwar durchschnittlich steigende Einkommen geben wird – um 1,6 Prozent mehr – nur der private Konsum ist etwa um vier Prozent zurückgegangen. Das ist nicht 1:1 deckungsgleich mit Einkommensverlust, sondern mit einem erhöhten Sparverhalten aufgrund des psychologischen Hemmnisses. Wir müssen also ein Kurzarbeitsmodell schaffen, das Unternehmer dazu bringt, mehr und mehr Arbeitnehmer zu beschäftigen, ein Modell, das attraktiver ist als das jetzige und gleichzeitig dafür sorgt, dass Menschen wieder konsumieren.
Derzeit sind 438.000 Menschen arbeitslos, rund 454.000 in Kurzarbeit, pessimistisch gesprochen haben rund 900.000 Menschen keinen Grund zu konsumieren.
Wir sehen, dass der negative Höhepunkt am Arbeitsmarkt im Mai und Juni war. Was wir nicht wissen, ist, wie hoch der Effekt der Freisetzung im Herbst sein wird, wenn das Kurzarbeitsmodell ausläuft. Das Wifo rechnet heuer mit einer Arbeitslosigkeit von 5,9 Prozent – das wäre um einen Prozentpunkt mehr als im letzten Jahr. Das ist viel, zu viel, aber nicht so viel, wie manche glauben.
In Wien gibt es Gastrogutscheine, um den Konsum zu beleben. Ist auf Bundesebene ein Gutschein für die eine oder andere Branche gänzlich vom Tisch oder denkbar?
Wenn wir eines in der Corona-Krise gelernt haben, dann nicht zu sagen: „Das kommt sicher nicht.“ Ich nehme immer mein eigenes Leben und die Woche, die mein berufliches Leben völlig adaptiert hat. Am Montag, 8. März, gab es einen Wifo-Konjunkturtest, der besagte: keine Auswirkungen des Coronavirus auf die Konjunktur. Am Dienstag hieß es, Eintrübung von 0,8 auf 1,2 Prozent. Da dachte ich mir schon: Es wird kein Plus, sondern ein Minus von 600 Millionen Euro geben. Am Mittwoch haben wir das erste Vier-Milliarden-Paket geschnürt, am Freitag das Kurzarbeitsmodell mit 400 Millionen Euro. Jetzt sind wir bei zwölf Milliarden. Dann haben wir das 38-Milliarden-Paket vorgestellt. Also: Wenn es irgendwann plausibel und hilfreich erscheint, mit Gutscheinen zu operieren, dann werden wir uns auch das anschauen.
Helikoptergeld ist auch denkbar?
Die 450-Euro-Einmalzahlung für Arbeitslose ist de facto Helikoptergeld. Wenn es den Stimulus braucht, er volkswirtschaftlich sinnvoll ist, warum denn nicht? Was wir sagen können, ist, dass die Pakete im internationalen Vergleich einen positiven Effekt haben.
38 Milliarden Euro waren es. Jetzt sind wir bei 50 Milliarden. Wie viel davon ist schon vergeben und verbraucht?
Je nachdem, wie man es rechnet. Von dem 38-Milliarden-Hilfspaket sind 25 Milliarden Euro rechtsverbindlich zugesagt, ein Großteil ist faktisch schon geflossen. Bei der Kurzarbeit wurden rechtsverbindlich zwölf Milliarden Euro zugesagt – abgerechnet wurden bis dato drei Milliarden Euro. Bei den Garantien sind es sechs Milliarden. Wie viele davon schlagend werden, wer weiß das schon? Die Steuerstundungen über 6,5 Milliarden Euro werden bis nächstes Jahr verlängert werden.
Wie viel Milliarden werden wir 2021 noch brauchen? 25 Milliarden? Zehn Milliarden?
Natürlich wirft Corona die Budgetplanung nicht nur für ein Jahr durcheinander. Wifo-Chef Christoph Badelt skizzierte das ambitionierte Ziel, bis Ende der Periode wieder die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. An der Aussage kann man sich relativ gut orientieren. Die detaillierte Steuerschätzung im Finanzministerium beginnt gerade. Ende August, Anfang September werden wir einen guten Überblick haben, wie der Kassasturz für heuer aussehen kann. Die letzte Wifo/IHS-Prognose geht von einer Reduktion des BIP von 7,5 Prozent aus, für 2021 von einem Plus von 5,5 Prozent. Das sind die Daten, die jetzt auf dem Tisch liegen, und auch die werden sich noch ändern.
„Das kommt sicher nicht“ gibt es nicht. Gilt das auch für die Idee der Vier-Tage-Woche von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner oder die 35-Stunden-Woche von Wiens Grünen-Chefin Birgit Hebein?
Das Erste: Die Vier-Tage-Woche gibt es de facto in manchen Branchen bereits mit der Arbeitszeitflexibilisierung, das ist auf Ebene der Betriebe zu regeln. Das Zweite: So gescheit finden viele den Vorschlag in der SPÖ selbst nicht, was man so mitbekommt. Deshalb würde ich die Debatte jetzt auch dort belassen.
Der Staat hat die AUA gerettet. ÖBB-Chef Andreas Matthä hat Finanzbedarf gemeldet. Wird es staatliche Hilfe abseits der AUA geben können oder gar müssen?
Es gilt de facto für alle dasselbe. Der Fixkostenzuschuss geht bis maximal 90 Millionen Euro. Die AUA ist zweifellos ein Sonderfall, die auch über den Zuschuss abgewickelt wird. Das sind 150 Millionen Euro, wofür es auch spezielle Standortgarantien gibt. Um auf die Frage zurückzukommen: Fälle wie die AUA sehe ich nicht.
Umgekehrt: Ist es denkbar, dass Österreich Beteiligungen verkauft, also privatisiert?
An Privatisierung ist jedenfalls nicht zu denken, um einmalige Budgetlücken zu schließen. Familiensilber verscherbeln, damit man ein kaputtes Budget repariert, das ist die schlechteste aller Varianten.
Au contraire: Sich an Firmen aus dem Bereich der Impfstoffforschung wie Deutschland zu beteiligen, kommt das in Frage?
Wir überlegen, ob Garantien, die jetzt vom Staat vergeben wurden, auch ein Wandlungskapital sein können. Das heißt, dass sie in Eigenkapital umgewandelt und so zur indirekten Beteiligung des Staates werden können – ehe ein Unternehmen insolvent wird. Strategische Beteiligung, um beispielsweise Impfstoffe abzusichern, sehe ich aktuell wenn, dann auf europäischer Ebene als möglich.
Kann Österreich von der Krise großer Volkswirtschaften wie jener der USA zu profitieren versuchen?
Private Unternehmer werden sich immer dort ansiedeln, wo die Bedingungen stimmen. Durch die degressive Abschreibung des Anlagevermögens haben wir versucht, den Wirtschaftsstandort zu attraktivieren. Auch immaterielle Güter wie Patente oder Software fallen unter die Afa.
Themenwechsel: Bereuen Sie im U-Ausschuss gesagt zu haben, dass Sie keinen Laptop besitzen?
Manchmal wundert man sich wirklich, was alles zum Thema wird. Mein Arbeitsgerät ist mein Handy. Ich habe auch jetzt keinen dienstlichen Laptop, benutze aber ab und an einen von meinen Mitarbeitern, um Texte zu überarbeiten.
„Lassen Sie meine kleine Schwester in Ruhe.“ – Wie grantig waren Sie, als Sie im U-Ausschuss nach Ihrer Schwester gefragt wurden?
Sehr. Es war einfach eine Grenzüberschreitung, meine Familie mithineinzuziehen. Selbst die Fragenden haben gewusst, dass das nichts mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun hat.
An den studierten Philosophen: Gibt es einen Denker, der Ihnen jetzt oder vorausschauend beim Denken hilft?
An Utopien habe ich nie meine Freude gehabt. Die Frage, ob eine Utopie eine Utopie oder Dystopie ist, das liegt immer im Auge des Betrachters und hat mit der politischen Realität nichts zu tun. Wirtschaftspolitisch gibt es Dinge, die mich überrascht haben. Als wir das Hilfspaket geschnürt haben, ich gesagt habe, es gibt so viel Geld, wie es braucht, da hieß es: „Der Blümel redet schon wie der Kreisky.“ Und: „Ist jetzt der Hayek weg und nur mehr Keynes da?“ Ich glaube, es gilt dasselbe wie immer: Wenn man Keynes ernst nimmt, dann ist in schwierigen Zeiten die Intervention durch den Staat richtig und notwendig. Dann ist es in wirtschaftlich guten Zeiten aber auch richtig, es nicht mehr zu tun. Wenn man es langfristig ständig verbockt, dann hat wiederum Hayek recht. Das ist eine wirtschaftsphilosophisch spannende Debatte.
Demgemäß: Ist Österreich nun Teil der „geizigen“ oder der „sparsamen Vier“?
Man bezeichnet uns als „frugal four“ und frugalis heißt, aus dem Lateinischen kommend, „ordentlich“. Als die „ordentlichen Vier“ bezeichnet zu werden, das ist jedenfalls kein Nachteil. Ich verstehe nicht, wie sich der Spin ausgeht, dass wir die geizigen Vier sind. Wir geben gerade 50 Milliarden Euro aus, wir treiben die Staatsschuldenquote wahrscheinlich gegen 90 Prozent.
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