Syrische Kinder wollen nicht in die Heimat der Eltern "zurück"
"Überall, nur nicht Syrien" – so heißt ein Bericht, den die Kinderrechtsorganisation Save the Children kürzlich veröffentlicht hat. Das Ergebnis ist nicht nur erschreckend, sondern auch eine logische Folge von zehn Jahren Krieg und Verfolgung in Syrien: Mehr als 80 Prozent der syrischen Kinder können sich keine Zukunft in ihrem Heimatland vorstellen und wollen nicht dorthin zurückkehren. Jedes dritte Kind, das innerhalb Syriens vertrieben wurde, gibt an, es würde lieber in einem anderen Land leben.
Seit zehn Jahren wird in ihrer Heimat – die viele von ihnen gar nicht kennen – Krieg geführt. Begonnen hat die Tragödie im März 2011 mit friedlichen Protesten gegen den autoritären Machthaber Bashar al-Assad und dessen System – das unter anderem darauf aufbaute, politische Gegner „verschwinden“ zu lassen oder zu bedrohen.
Wie ein paar junge Burschen, die sich vom "Arabischen Frühling" in Tunesien und Ägypten zu einer heimlichen Sprayaktion verführen ließen. "Du bist der nächste, Doktor", haben sie an eine Wand in Dara’a gesprayt und damit gegen den Präsidenten, den gelernten Augenarzt Bashar al-Assad, demonstriert. Die rote Schrift auf der grauen Mauer hatte persönlich und politisch massive Folgen.
Die Buben wurden von Sicherheitskräften verschleppt, waren wochenlang verschwunden. Proteste gegen Assad waren die Folge, die ohne Zögern blutig niedergeschlagen wurden. Die Buben wurden freigelassen, doch ihre Familien und sie waren von nun an im Visier der Regierung und ihrer gefürchteten Geheimdienste.
Angesichts des harten Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten radikalisierte sich die Protestbewegung schnell. Der Bürgerkrieg avancierte zu einem internationalen Stellvertreterkonflikt, durch den 387.000 Menschen starben, mindestens zwölf Millionen im In- und Ausland mehr oder weniger erfolgreich Zuflucht suchten.
Fast jeder Zweite der 18 bis 25-Jährigen (47 Prozent) hat seither bereits ein Familienmitglied oder einen Freund verloren, wie aus einer Studie des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz hervorgeht.
Eskalationsstufen
Spätestens 2013 greifen die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah und der Iran auf Seiten der syrischen Armee in den Krieg gegen die Rebellenmilizen ein. Der Krieg wird immer grausamer, einige Rebellenmilizen werden zunehmend von islamistischen Kräften unterwandert – auch mit ausländischer Unterstützung, etwa Saudi Arabiens oder der Türkei.
Erstmals werden im Jahr 2013 Chemiewaffeneinsätze bekannt, worauf der US-Präsident Barack Obama mit einem Militäreinsatz gegen das syrische Regime droht – der aber unter seiner Präsidentschaft nie stattfinden wird. Die Vereinten Nationen zählten bis dato 38 Chemiewaffeneinsätze; 32 davon werden der Regierung zugeschrieben. Bei einem der Angriffe 2013 wurden demnach rund 1.400 Menschen getötet.
Ab 2014 werden die Gräueltaten der sunnitischen Terrormiliz Islamischer Staat publik, die sich von da an in Syrien und im Irak verbreitet und es schafft, Tausende junge Männer und Frauen im In- und Ausland zu rekrutieren. Der IS erobert Raqqa und errichtet in der nordsyrischen Stadt, die sie zu ihrer inoffiziellen Hauptstadt erklärt, eine Schreckensherrschaft.
Erste Versuche von Friedensverhandlungen scheitern 2014, so wie alle folgenden. Der Krieg hat mittlerweile mehrere Fronten.
Die USA beginnen mit arabischen und europäischen Verbündeten Luftangriffe gegen den IS in Syrien und dem Irak. Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) vertreiben die Terrormiliz nach erbitterten Kämpfen aus der nordsyrischen Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei.
Später wird die türkische Armee in Nordsyrien einmarschieren, um Dschihadisten, aber vor allem kurdische Milizen von der Grenze zurückzudrängen.
An einer anderen Front ist Russland jetzt offiziell in den Krieg eingestiegen und gibt Assads Regime Rückendeckung gegen die Rebellen. Russland spricht von Luftangriffen gegen "Terroristen", die syrische Armee erobert daraufhin Teile der Provinzen Latakia und Aleppo zurück.
2017 greifen die USA unter Präsident Donald Trump erstmals die syrischen Regierungstruppen an, nachdem bei einem mutmaßlichen Angriff mit dem Nervengas Sarin werden in der Kleinstadt Khan Sheikhoun mindestens 86 Zivilisten getötet wurden.
Im März 2019 verliert der IS im Kampf gegen die kurdisch-arabischen Einheiten, die von der USA unterstützt werden, das letzte von ihm kontrollierte Gebiet. Im Oktober wird IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi durch einen US-Angriff getötet.
Währenddessen tobt bereits eine neue Offensive der Türkei gegen die Kurden im Norden Syriens. Die USA geben die Unterstützung der kurdischen Truppen auf.
Immer wieder kommt es vor allem im Norden Syriens zu Kämpfen. Vor allem dort ist der Krieg noch nicht vorbei. Aber auch im restlichen Land trügt der Schein. Insbesondere in den früheren Rebellenhochburgen regieren Angst und Schrecken – und der gefürchtete syrische Geheimdienst. Bekannte Regimegegner und jene, die als solche verdächtigt werden, stehen unter Beobachtung, Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, wurden enteignet. Politische Gefangene sollen immer noch in den Gefängnissen sein.
Etwa 100.000 Gefangene wurden laut Aktivisten zu Tode gefoltert. Weitere 100.000 Menschen sind immer noch inhaftiert, 200.000 gelten als vermisst.
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