Katerstimmung bei Harris: "Das soll es gewesen sein?"
An der ehrwürdigen Howard-Universität im Washingtoner Stadtteil Shaw warteten die Anhänger von Kamala Harris in der Nacht zu Mittwoch vergeblich auf ihren Star. Anders als angekündigt, erschien die demokratische Präsidentschaftskandidatin nicht auf dem Campus ihrer ehemaligen Alma Mater, um zu feiern. Die 60-Jährige blieb in ihrem Amtssitz am Navel Observatorium. Cedric Richmond, der Co-Vorsitzende ihrer Kampagne, kam kurz auf die Bühne und sagte, dass man "über Nacht weiterkämpfen wird, um sicherzustellen, dass jede Stimme gezählt wird und jede Stimme gehört wurde". Richmond gab keine Niederlage zu, ließ aber auch so gut wie keinen Optimismus erkennen. Viele Gäste zogen nach und nach erkennbar enttäuscht von der Wiese vor den roten Backstein-Gebäuden ab. "Soll es das etwa gewesen sein?", rief die 23-jährige Alicia.
An der berühmten, von Afro-Amerikanern besuchten Hochschule, die preisgekrönte Schriftstellerinnen wie Toni Morrison hervorbrachte, hatte Kamala Harris 1986 ihr Jura-Studium beendet. Hier wollte sie den größten Triumph ihres Lebens feiern; den Aufstieg zur ersten Präsidentin der Vereinigten Staaten. Louisa Butler, eine Sicherheitsbeamtin der Universität, freute sich noch am Morgen auf den hohen Besuch. Ob sie sich sicher sei, dass es etwas zu feiern geben wird? "Klar doch", sagte die junge Schwarze, und fügte hinzu: "Wir werden aber wohl lange auf die endgültige Entscheidung warten müssen."
Kurz vor Mitternacht textete ein Gast der Veranstaltung jedoch: "Sehr viele angespannte Gesichter hier, nirgends Siegerlaune." Harris` Wahlkampf-Managerin Jen O`Malley Dillon versuchte es da noch mit beruhigenden Worten an die Mitarbeiter: "Das Rennen geht erst in den Morgenstunden in die entscheidende Phase. Ruht euch aus." Ruhe?
Trump war schon in North Carolina (16 Stimmen) und Georgia (16) zum Sieger ausgerufen worden, als um 1.30 Uhr Ostküstenzeit (7.30 Uhr in Europa) der TV-Sender Fox News vorpreschte und Trump auch im Schlüssel-Bundesstaat Pennsylvania zum Sieger erklärte - plus 19 Stimmen. Für Harris damit praktisch kaum mehr einholbar.
"Sehr wahrscheinlich Trump"
Nate Cohn, der Zahlen-Fuchs der New York Times, erklärte fast zeitgleich etwas vorsichtiger: "Es kann zwar noch mehrere Stunden dauern, bis das Rennen entschieden ist, aber unseren Schätzungen zufolge ist es sehr wahrscheinlich, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewinnt. Kamala Harris muss mit ziemlicher Sicherheit Wisconsin, Pennsylvania und Michigan gewinnen, und Trump ist in allen drei Bundesstaaten klarer Favorit."
Schon die erste Etappe der Wahlnacht in Amerika verlief nicht nach dem Geschmack der Demokraten. Ex-Präsident Donald Trump häufte nach Schließung der Wahllokale einen Sieg nach dem anderen an. Er kam bereits gegen 22 Uhr Ostküsten-Zeit (4 Uhr morgens in Deutschland) nach Hochrechnungen auf rund 200 der 270 benötigten Stimmen im Wahlmänner-Gremium, das am 17. Dezember den 47. US-Präsidenten wählt.
Seine demokratische Konkurrentin lag zu diesem Zeitpunkt mit rund 100 Stimmen deutlich hinten. Ihr gelang bis dahin keine Überraschung; etwa ein Überraschungs-Sieg in Florida. Ein Comeback des 78-Jährigen bei seinem dritten Anlauf zum Weißen Haus nach 2016 und 2020 wurde von TV-Analysten schon früh "mit aller gebotenen Vorsicht für realistisch gehalten".
Aber: Bei Redaktionsschluss (7.45 Uhr MEZ) war der Ausgang in vier von sieben mutmaßlich sieben wahlentscheidenden Swing States - Michigan (15), Arizona (11), Wisconsin (10) und Nevada (6) - noch nicht definitiv entschieden. Immer wieder erklärten die großen TV-Sender: "too close to call" - zu eng, um einen Sieg zu prognostizieren.
In einem Kongress-Center in West Palm Beach/Florida, wo die Republikaner zur Wahlparty eingeladen hatten und Trump am frühen Mittwochmorgen an der Seite von Großunterstützer Elon Musk mit einer Sieger-Rede auftreten wollte, wurden die Zwischenstände nach den Worten von Gästen als "Signale für eine Sensation” aufgenommen. Donald Trump hatte am Morgen nahe seiner Residenz in Mar-a-Lago gemeinsam mit Ehefrau Melania Trump seine Stimme abgegeben und sich auffällig moderat geäußert. "Wenn ich eine Wahl verliere, wenn es eine faire Wahl ist, bin ich der erste, der es einräumt." Davon war wenig später keine Rede mehr. "Es wird viel über massiven Betrug in Philadelphia geredet. Die Strafverfolgungsbehörden kommen!!!", schrieb Trump am Nachmittag auf seiner Plattform Truth Social. Larry Krasner, der Bezirksstaatsanwalt der Metropole in Pennsylvania, wies die Vorwürfe als erfunden ab.
Die Bundesbehörde für Cyber- und Infrastruktursicherheit erklärte, die Wahl sei "reibungslos" verlaufen. Nicht ganz. Die Bundespolizei FBI meldete mehrere offenbar von russischen Akteuren initiierte Bombendrohungen gegen Wahllokale in Georgia, Michigan, Arizona und Pennsylvania. Es gab aber keine besonderen Vorkommnisse.
Trump punktet bei Zielgruppen der Demokraten
Nach Beginn der Stimmenauszählung hatten die Meinungsforscher bei Nachwahl-Befragungen mehrere Trends festgestellt, die Harris gar nicht gefallen konnten. So hat Trump bei Wählern ohne Uni-Abschluss gegenüber 2020 weiter zugelegt - auf zwölf Prozentpunkte vor Harris. Noch bedenklicher für die Demokraten: Laut "exit polls" hat Trump landesweit rund 45 % der Latino-Stimmen auf sich vereint; 13 % mehr als vor vier Jahren. Bei männlichen Hispanics fiel das Plus mit 18 % noch deutlicher aus. In North Carolina steigerte Trump seinen Anteil bei schwarzen Wählern von fünf Prozent (2020) auf zwölf Prozent.
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