China, die unantastbare Supermacht? Der Schein trügt
Den vermeintlich unabhängigen Inselstaat Taiwan beansprucht man in Peking als sein Territorium, ebenso wie das gesamte Meeresgebiet von der Küste Nordkoreas bis nach Indonesien. Außenpolitisch projiziert China seit Jahren nichts als Stärke, auch bei den abgelaufenen Olympischen Winterspielen hat man mit einer Riesenshow den Reichtum und die Strahlkraft des Landes zur Schau gestellt.
Dabei ist die Volksrepublik nicht so unbeschadet durch die Pandemie gekommen, wie es den Anschein haben mag. Im Gegenteil: Hinter den Kulissen steht China gerade vor einer Reihe von innenpolitischen Problemen: Machtkämpfe an der Spitze der kommunistischen Partei, Wirtschaftlich herausfordernde Zeiten und der Unmut der eigenen Bevölkerung bereiten dem mächtigen Staatspräsidenten Xi Jinping schwierige Zeiten.
Unzufriedenes Volk
In den chinesischen sozialen Medien wird deutlich, dass ein Teil der Bevölkerung zunehmend unzufrieden mit der sogenannten Null-Covid-Politik ist, bei der beim Ausbruch kleinster Cluster ganze Millionenstädte dichtgemacht werden. Zuletzt wurde Mitte Jänner über die Hafenstadt Tianjin mitsamt ihrer 14 Millionen Einwohner ein Lockdown verhängt, obwohl nur 130 Omikron-Fälle registriert wurden. Die Empörung im Netz war derart groß, dass die staatliche Zensurbehörde nicht mehr nachkam und kritische Beiträge, anders als sonst, stundenlang stehen lassen musste.
Hinter vorgehaltener Hand soll es inzwischen generell eine „schweigende Mehrheit“ in der chinesischen Bevölkerung geben, die einen liberalen politischen Wandel begrüßen würde – das geht zumindest aus einer Studie hervor, die zwei chinesischstämmige Professoren der Universität Stanford vergangene Woche veröffentlichten. Aus Sicht der China-Expertin Susanne Weigelin-Schwiedrzik sind Aussagen über die politischen Ansichten der mehr als 1,4 Milliarden Chinesen allerdings „mit Vorsicht zu genießen“.
Die Geschichte der Volksrepublik zeige außerdem, dass Umwälzungen bisher nie aus einer breiten Bürgerbewegung heraus stattfanden, sondern „von oben nach unten“, so die Expertin. Das heißt: „Es sind offen ausgetragene Konflikte innerhalb der politischen Elite, die auf die Bevölkerung übergreifen, nicht umgekehrt.“
Machtkampf in der Partei
Zumindest für verschobene Machtverhältnisse innerhalb der kommunistischen Partei mehrten sich zuletzt die Hinweise, spätestens seit der „Oberste Führer“ Xi Jinping Anfang November mit einer Resolution die offizielle Parteigeschichte umschreiben und sich somit auf derselben Stufe wie Staatsgründer Mao Zedong verewigen ließ.
Seither erscheinen in den äußerst regimetreuen Staatsmedien wie der Pekinger Volkszeitung regelmäßig politische Artikel, die einander inhaltlich widersprechen. „Das zeigt, dass die Redaktionen fast täglich völlig unterschiedliche Signale von unterschiedlichen Personen aus der Parteispitze erhalten“, sagt Weigelin-Schwiedrzik.
Für Aufsehen sorgte Anfang Jänner ein Propagandafilm, in dem Xi selbst davon spricht, Parteikollegen mit „politischen Ambitionen“ ausgemacht zu haben. Aus europäischer Sicht mag das wie ein Lob klingen. Im streng hierarchischen System Chinas steht eine solche Bezeichnung aber für einen Putschversuch. Weigelin-Schwiedrzik: „Dass Xi diesen Begriff offen nutzt, ist neu. Damit wird gesagt, dass es in der Partei Kämpfe um das höchste Amt gibt.“
Dass ein Machtkampf ausgerechnet zu Beginn dieses Jahres an Fahrt aufnimmt, kommt nicht von ungefähr: Im Herbst steht der 20. Parteitag an, bei dem sich Xi den Genossen zur Wiederwahl stellen muss. Bei Teilen der Elite steht der Präsident vor allem deshalb in der Kritik, weil er viel zu stark in die chinesische Wirtschaft „hineinregiert“ und somit den Abwärtstrend zu verantworten habe, den sie gerade erlebt.
Gebremste Wirtschaft
Glaubt man den Zahlen aus Peking, so wuchs die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt im vergangenen Jahr zwar erneut (um 8,1 Prozent des BIP), das dürfte aber vor allem am Vergleich zum desaströsen Vorjahr liegen. In der zweiten Jahreshälfte 2021 zeigt der Trend dagegen steil nach unten. Das liegt zum einen am gewaltigen Immobiliensektor, der von der Fast-Pleite des zweitgrößten Baukonzerns Evergrande schwer getroffen wurde.
Dazu kommt der regulatorische Machtkampf, den die Staatsführung mit den größten heimischen Tech-Konzernen suchte. In keiner anderen Branche wurde im kommunistischen China in den letzten Jahren so schnell so viel Reichtum angehäuft wie bei Alibaba, Tencent und Co. Den Machthabern ist das ein Dorn im Auge: Einige chinesische Milliardäre waren über die Jahre zu mächtig und offen kritisch geworden. Also sorgte man dafür, dass ihr Vermögen und der Einfluss ihrer Konzerne schrumpfte.
Auch die Arbeitslosenzahlen steigen massiv: Laut Premierminister Li Keqiang könnten schon 2022 mehr als 250 Millionen Chinesen ohne Job dastehen. Bleibt noch die große Stärke Chinas: Der Export. Kein anderes Land der Welt erwirtschaftet damit so viel Geld. Mehr als 2,3 Billionen US-Dollar waren es der Weltbank zufolge 2021. Doch in den letzten Monaten gab es immer wieder Lieferengpässe, weil die Regierung infolge der Null-Covid-Strategie Häfen schließen ließ – wie zuletzt in Tianjin.
Unter dem von Xi ausgerufenen Leitbild des „Wohlstands für alle“ müsse sich die Regierung nun, angesichts all dieser wirtschaftlichen und innenpolitischen Probleme, eine Frage stellen, meint Weigelin-Schwiedrzik: „Wie kann man eine Bevölkerung ruhig halten, die es seit Jahrzehnten gewohnt ist, dass sich ihre Lebensbedingungen stets verbessern, wenn sie plötzlich stagnieren?“
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