Cannabis auf Rezept: 15.600 Patienten trotz "absurder Rechtslage"
Krebskranke lindern damit die höllischen Schmerzen einer Chemotherapie. Neurologischen Patienten etwa mit Multipler Sklerose hilft es, ständige Krämpfe (Spastiken) zu verhindern. Auch in der Aids-Therapie leistet Cannabis wertvolle Dienste, etwa als Appetitanreger. Manchen dieser todkranken Patienten erspart es die Einnahme schwerer Psychopharmaka und verlängert in Einzelfällen sogar das Leben, wie eine kanadische Studie mit 14 ALS-Patienten herausfand.
Allein im Vorjahr finanzierte die Sozialversicherung 15.615 solcher Therapien, weil sonst nichts mehr half. Denn nur wenn kein anderes Medikament mehr hilft, gibt es in Österreich den sonst illegalen Wirkstoff THC auf Rezept. Patienten berichten, dass sie dadurch bis zu 25 Medikamente absetzen konnten.
In Österreich gibt es zwei Möglichkeiten um an Cannabis für medizinische Zwecke zu kommen. Von einem Arzt kann der berauschende Wirkstoff THC als Dronabinol (oder gemeinsam mit dem zweiten Wirkstoff CBD als Sativex) verschrieben werden. Für eine (chefarztpflichtige) Jahresration sind pro Patient durchaus 5000 Euro zu rechnen. Die Ärzte müssen extra dafür einen Safe haben, weil derartige Rezepte mit einer Suchtgift-Vignette nicht wie normale gelagert werden dürfen.
In Apotheken sind die Todkranken dann auf der gleichen Stufe wie Methadonpatienten. Palliativmediziner erzählen, dass manche Patienten auf derartige Medikamente sogar verzichten, weil sie nicht als Drogensüchtige abgestempelt werden möchten.
Skurriler Nebeneffekt: Da es sich um ein Medikament handelt, darf man trotz THC im Blut ein Auto lenken.
Variante zwei wäre es, die Cannabispflanzen selbst im Garten oder am Balkon anzupflanzen. Der Verkauf von THC-Hanf ist in Österreich als Zierpflanze prinzipiell erlaubt, nur darf er nicht zur Blüte gebracht werden, weil dann das berauschende THC entsteht. Diese Form des Cannabis würde pro Patient und Jahr keine 100 Euro kosten. Darauf steht allerdings Gefängnis - und zwar bis zu fünf Jahre.
Israel setzt auf staatliches Cannabis für Kranke:
In Deutschland wird deshalb das Medizinal-Cannabis mittlerweile staatlich angebaut und seit 2017 in Pflanzenform an die Patienten kontrolliert abgegeben. In Österreich hingegen baut die AGES an und verkauft die Pflanzen an deutsche Pharmafirmen, die Dronabinol herstellen und teuer an die österreichischen Krankenkassen zurück verkaufen - 25 Milliliter um stolze 450 Euro.
Eine Ration Sativex kostet sogar mehr als das doppelte. Ein teurer Umweg also.
Daniel Feurstein, der legal CBD-Produkte verkauft, will nun eine Änderung der "absurden Rechtslage" in Österreich erwirken. Er prangert die Geschäftemacherei auf dem Rücken todkranker Menschen an. Noch dazu gebe es in den Pflanzen über 500 weitere Wirkstoffe, die bei der Medikamentenherstellung verloren gehen. Patienten können das Cannabis als Tee oder in Form von Keksen schonend konsumieren.
Runder Tisch in Vorarlberg
Feurstein lud diese Woche Patienten und die Vorarlberger Politik zu einem Runden Tisch, wobei sich zeigte, dass eigentlich ohnehin niemand gegen eine Änderung der Rechtslage wäre. Sogar in der FPÖ, der Hardliner-Partei schlechthin bezüglich Drogen, zeigt man sich offen. Man wolle natürlich keine generelle Freigabe, aber bei medizinischem Gebrauch wären die verschiedenen Formen der Einnahme "akzeptabel", so FP-Landtagsabgeordneter Hubert Kinz zum KURIER. (Ausführliche Statements am Ende des Berichts.)
Auch die AGES betont, dass sie ihre Blüten genauso direkt an Patienten weitergeben würde, wenn dies erlaubt wäre.
Der deutsche Marktführer Dermapharm will keine einzige Frage zu Dronabinol beantworten, wie er gegenüber dem KURIER betont.
Das Gesundheitsressort von Minister Johannes Rauch weiß nicht, wie viele Patienten das eigentlich betrifft. Auf zweifache Nachfrage hieß es: "Zur Legalisierung von Cannabis gibt es derzeit unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Bundesregierung. Diese umfassen auch den Bereich des Medizinal-Cannabis. Natürlich verfolgen wir internationale Entwicklungen bezüglich einer erleichterten Abgabe an Patienten, wie dies beispielsweise in Deutschland oder Kanada erfolgt. Natürlich werden auch die Kosten von Dronabinol im Vergleich zu alternativen Verabreichungsformen in mögliche künftige Entscheidungen miteinbezogen. Oberstes Ziel muss natürlich immer die bestmögliche Gesundheitsversorgung der Menschen, mit Arzneimitteln die die größtmögliche Patientensicherheit bieten, sein. Aktuell gibt es keine konkreten Pläne im Regierungsprogramm bezüglich einer erleichterten Abgabe von Medizinal-Cannabis."
Das sagen Politiker und Experten zu Medizinal-Cannabis:
Clemens Ender, ÖVP: „Wir als Politiker stehen in der Verantwortung, die richtigen Zeichen zu setzen, die wir natürlich aber besonders in komplexen Thematiken auch nur von Fachleuten übermittelt bekommen. Wenn aus der Medizin ein Kollektiv an Fachleuten auf uns zukommt und uns einen Weg bzw. eine klare Meinung zu Medizinal Cannabis mitteilen kann, dann haben wir auch die Möglichkeit, die Thematik weiterhin zu forcieren. Grundsätzlich sehen wir darin aber auf jeden Fall Potenzial.“
Nadine Kasper, Grünen: „Aus der Sicht des Patienten ist es einfach eine unglaubliche Zumutung, sich neben Schmerzen und Leid auch noch damit herumschlagen zu müssen, welche Behandlung oder welcher Wirkstoff einem selbst in einer solchen Situation weiterhelfen kann. Und das ist aktuell das Problem, denn die Thematik wird immer noch zu wenig aufgegriffen und es muss doch besonders, weil die Rahmenbedingungen ja bereits vorhanden sind, eine Möglichkeit geben, in konkreten Situationen und in Absprache mit einer ärztlichen Betreuung Medizinal Cannabis in Form von Cannabis Flos erhalten zu können, ohne dabei einen behördlichen Hürdenlauf absolvieren zu müssen.“
Johannes Gasser, NEOS: „Expertenmeinungen braucht es definitiv, was es aber nicht braucht, sind die zahlreichen Unklarheiten und Stolpersteine, die hinsichtlich Medizinal Cannabis potenziellen Cannabis-Patienten das Leben erschweren. Es wurden diesbezüglich auch bereits Anträge im Gesundheitsausschuss des Nationalrats eingereicht, die bislang keine großen Auswirkungen auf eine fachliche Aufarbeitung der Thematik hatten. Ganz im Sinne der Zeit müssen wir hier aktiv werden, denn ein Umdenken der hier doch recht vielversprechenden therapeutischen Thematik ist nicht nur erforderlich, sondern schon längst überflüssig.
Prof. Alfred Witzmann, Hypnose und Schmerztherapeut: „Es ist schon erstaunlich, dass wir hier von Substanzen sprechen, die wissenschaftlich bewiesen eine potenzielle Wirksamkeit vervielfachen können, und trotzdem sprechen wir immer noch darüber, ob das alles Sinn macht oder nicht. Aus meiner Sicht und Erfahrung aus meiner Zeit als Primar der Neurochirurgie Landeskrankenhaus Feldkirch muss ich ganz klar sagen, dass es doch nur ein Vorteil sein kann, wenn wir für komplexe Probleme – die es tagtäglich gibt - mehrere Tools und Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung haben. Und: Medizinal Cannabis wird kommen, deshalb ist die Zeit die wir jetzt mit der Diskussion über die Rechtfertigkeiten von THC & Co. aufwenden, leider absoluter Nonsens.“
Christina Nettinger, Apothekerin: „In den letzten Jahrzehnten hat sich hinsichtlich der Thematik nicht viel geändert, und das ist schon erschreckend. Einerseits geht es darum, dass das gesundheitstechnische Konstrukt, in dem wir uns befinden, auch gar keine Zeit dafür hat. Andererseits geht’s aber auch einfach darum, dass Cannabis sehr schnell stigmatisiert wird und deshalb auch bei den zuständigen Anlaufstellen gar nicht so recht wahrgenommen wird. Aus Sicht einer Apothekerin, die tagtäglich mit den unterschiedlichsten Szenarien in Berührung kommt, ist es für mich unverständlich, dass wir hier auch auf politischer aber auch medizinischen Ebene einfach wegschauen.“
Christof van Dellen, Präsident der Vorarlberger Apothekerkammer: „Die Abgabe von ärztlich verordnetem Medizinal-Cannabis (Cannabis Flos) sehe ich von Apothekerseite als absolut umsetzbar und auch wichtig an. Wir produzieren und geben ja bereits THC-haltige Produkte wie Dronabinol ab. Aus meiner Sicht besteht daher kein Grund, wieso Medizinal-Cannabis nicht auch in Österreich durch Apotheken abgegeben werden sollte. Es hat sich schon in vielen Ländern als Arzneiprodukt mit natürlichen Wirkstoffen, die schmerzlindernd, entzündungshemmend und entkrampfend wirken bewährt.“
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