Krieg ist sch… und Zukunftsvisionen von Kindern aus 7 Ländern
Beim Reinkommen in den Theaterraum kräftige Schwaden Theaterrauchs, indem Fall geruchlos, eher an Staubwolken erinnernd. Schemenhaft sind Möbel, fahrbare Gitterwägen, Stofftiere, Weltkugeln, Einrichtungsteile, schief hängende Bilder erkennbar. Umgestürzt, durcheinander. Wie nach einem Bombeneinschlag zwischen windschiefen Bretterwänden: Oorlog/Krieg der niederländischen Gruppe Artemis (Regie: Jetse Batelaan, Bühnenbild: Wikke van Houwelingen, Marloes van der Hoek). Irgendwann tauchen eine Soldatin und zwei ihrer Kollegen (Willemijn Zevenhuijzen, Martin Hofstra, Elias de Bruyne) auf. Kaum sind sie in der zerstörten Wohnung, bleibt die Tür verschlossen, sie kommen nicht mehr raus. Plötzlich beginnen Dinge umzufallen, an Seilzügen über die dachlose Behausung zu fliegen. Beängstigend und doch ein wenig skurril.
Über Tisch, Kiste, das Notausgangsschild – SUA – beschriftet und ein Loch in einer der Wände klettert das Trio aus dem „Gefängnis“. Kommt durch eine eingetretene Wand wieder rein. Sie beginnen die geschlagenen Schlachten zu zählen und zu benennen – vom Hinterhalt über den Angriff bis zu absurden „Rollschuh“, Karussell – samt Jahrmarktsmusik. Einer der Seilzüge hebt einen ganz oben an einer der Wände schwebenden Klodeckel. Wenn das passiert, soll das Publikum „peng, peng, peng oder paff…“ oder welche Schießgeräusche auch immer rufen. Selten noch wurde so auf den Punkt gebracht, dass Krieg Sch… ist. Und doch stimmen fast alle im Publikum, teils sogar lustvoll in den unregelmäßig abgerufenen Peng-Paff-Puff-Chor ein. Nur wenigen bleiben die Rufe in der Kehle stecken. Gleiches gilt beim Hin- und Herschießen von tennisballgroßen Kunststoffkugeln. Selbst nach der Schlacht 303 „Waffenstillstand“.
"Waffenstillstand"
Erst die riesengroße, allerdings fast martialisch wirkende, dunkle Friedenstaube beginnt zwischen der 578.Schlacht – „Friede“ und der Schlacht 821 mit Ansätzen von Wiederaufbau – und verabschiedet sich mit der wieder aufgestellten Wand und dem internationalen Peace-Zeichen von Zeige- und Mittelfinger.
Selten noch wurde auf einer Bühne Krieg so unmittelbar und fast sprachlos (machend) – die Soldaten sprechen wenig, die redet „zurück“ (rückwärts) – gezeigt, fast atemberaubend – auch die unmittelbaren Reaktionen des Großteils im Publikum.
Das letzte Kaninchen – per Müllwagen in die Zukunft
Internationales Projekt machte aus den Zukunftsgeschichten von 3000 Kinder in sieben europäischen Ländern eine Theater-Performance.
Die Zuschauer_innen müssen weiße Mäntel anziehen – in „I will be everything“ (ich werde alles sein) geht’s in eine Art Zukunftslabor. Sieben Theater(gruppen) aus sieben europäischen Ländern haben dieses Projekt entwickelt. Dazu baten sie insgesamt rund 3000 Kinder ( 7 bis 11 Jahre) dieser Länder – Spanien, Großbritannien, Dänemark, Norwegen, Polen, Deutschland, Österreich – Geschichten zu schreiben – oder auch zeichnen -, wie sie sich selbst, ihr Umfeld und ihre Umwelt in 50 Jahren sehen. Die Performance wird in allen beteiligten Ländern gespielt.In Workshops lasen die Theaterleute alle Geschichten durch, begannen die eine oder andere als Szene zu improvisieren. Klaubten immer wieder kehrende – und somit vielen Kindern wichtige – Themen heraus. Schritt für Schritt entwickelten die Künstler_innen eine Performance.
Umwelt und Müll
Zentrales durchgängiges Thema, das viele Kinder bewegt(e): Umwelt. Deswegen nehmen die Performer_innen ihr Publikum, das in vier Ecken eines weißen Würfels sitzen, mit einem „Müllwagen der Zukunft“ mit ins Jahr 2070. Dort wird Mist automatisch eingesogen und hart bestraft, wer solchen achtlos wegwirft.
In 50 Jahren gibt es aber auch die traurige Geschichte des letzten verbliebenen Kaninchens – das 1:1 der kurzen Geschichte eines der 3000 Kinder entspricht. Das Theaterprojekt hat sie fortgesponnen – wie aus dem Nichts fliegen von allen Seiten Hunderte plüschige Kaninchenköpfe ins Zentrum zwischen den vier Ecken. Wobei die meisten letztlich von den Zuschauer_innen in den Müllwagen der Zukunft geworfen werden.
Und dann taucht Eneko auf, ein Kind der Zukunft, dem alles zu laaaangweieieieilig ist, bis er darauf verfällt eine Idee haben zu wollen, eine wirklich geniale. Und diese leidenschaftliche Suche lässt ihn nicht so bald los. Vielleicht ist es dann auch er, der eine Art 3D-Abbild von sich selbst produziert, sodass sogar seine Mama diesen metallenen menschengleichen Roboter für ihren Sohn hält.
Roboter/Mensch
Roboter und der Umgang bzw. der Konflikt Mensch-Roboter war auch so vielen Kindern wichtig, dass sich auch darum herum einige Szenen gruppieren, samt Ankunft von Aliens – dies als bunte Projektionen mit Pappkulissen und –Raumschiffen. Letztlich schließt sich der Bogen wieder beim Müll. Julia und Marco treffen einander an einem Strand – „Glaubt an das Meer“ ist die Losung Julias. Und dennoch ist der Strand verdreckt – Plastikmüll. Wer hilft, ihn wegzuräumen?
Originale
Dann Energie neigt sich dem Ende zu, rasch Rückreise ins Jahr 2020.
Nach dem Stück lohnt sich ein Rundgang an den Außenwänden des Würfels – mit vier Zugängen. Dort finden sich Auszüge aus Texten sowie Zeichnungen, die die Künstler_innen aus dem großen Pool der 3000 Arbeiten ausgewählt haben.
Update: 9. Februar 2020, 23.36 Uhr: Neue Stückbesprechungen hinzugefügt.
Letztes Update: 11. Februar 2020, 18.52 Uhr: Neue Stückbesprechungen hinzugefügt.
Compliance-Hinweis: Der Kinder-KURIER wurde von den Veranstalter_innen zum Eröffnungswochenende eingeladen.
Ältere Kritiken von Stücken, die hier zu sehen waren/sind
Hier unten geht’s - in eigenen Artikeln/Verlinkungen zu früheren Kritiken von Stücken, die der Kinder-KURIER schon früher besprochen hatte.
"Pip" im Dschungel Wien gesehen
"Liebe üben" von Theater Sgaramusch - im Dschungel Wien gesehen
"Role Model" mit sechs diversen Tänzer*innen aus den Niederlanden - im Dschungel Wien gesehen
"The only way is up" - gesehen beim Schäxpir-Festival in Linz
"Don Quijote" auch beim Festival "luaga & losna" in Vorarlberg gesehen
"Eins zwei drei vorbei" auch beim Festival "luaga & losna" in Vorarlberg gesehen
"Multiverse" - beim Schäxpir-Festival in Linz gesehen
Bei der achten Ausgabe von Spleen*graz sind insgesamt 81 Vorstellungen von 16 Produktionen mit Künstler_innen aus elf Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Niederlande, Norwegen, Polen, Schweiz, Slowenien, Spanien und Österreich) für Kinder ab 2 Jahren, Jugendliche und Erwachsene zu sehen und erleben. Bespielt wurden und werden fast sämtliche Theater-, aber auch andere Kulturhäuser (Kunsthaus, Kindermuseum) der steirischen Landeshauptstadt, aber auch im Freien.
Bis 12. Februar
www.spleen-graz.at
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Oorlog | Krieg
Theater Artemis (Niederlande)
Ab 7 J., ca. 1 Stunde
Regie: Jetse Batelaan
Schauspieler_innen: Willemijn Zevenhuijzen, Martin Hofstra, Elias de Bruyne
Kostüme: Liesbet Swings
Bühnenbild: Wikke van Houwelingen, Marloes van der Hoek
Spezialeffekte: Dik Beets
Übersetzung: Meike Kremer
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I will be everything
Koproduktion von sieben europäischen Theatern im Rahmen des Projektes Kreatives Europa der Europäischen Kommission
Schauspiel & Performance mit Live-Musik, ca. eine Stunde
Mit: Unai López de Armentia (Spanien), Olga Rosenfeldt-Olsen (Dänemark), Michael Schramm (Deutschland), Hilde Stensland (Norwegen), Nora Winkler (Österreich), Dagmara Żabska (Polen)
Regie: Alex Byrne (Großbritannien)
Bühne & Kostüme: Marie Rosendahl Chemnitz (Dänemark)
Komposition: Greg Hall (Großbritannien)
Video & Animationen: Lizzie Hobbs (Großbritannien)
Lichtdesign: Trui Malten (Großbritannien)
Puppenbau: Agnieszka Polańska (Polen)
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