Auf „Safari“ - Entdeckung eigenen Verhaltens und Anstands-Show

Eine Frau mit einem Klemmbrett und ein Mann sitzen in einem Bus.
Interaktive Performances bei spleen*graz 2020, u.a. eine Tour nach Graz-St. Peter am Rande der Stadt.

Im Festival gab’s/gibt’s ein eigenes Festival, genannt spleen*trieb. Das zeichnet sich durch drei Elemente aus: vor allem Grazer Nachwuchskünstler_innen sind in Aktion, vielfach sind es Crossover-Projekte verschiedener theatraler Formen (Tanz, Musik, Schauspiel, Performance…) und sie finden großteils outdoor oder zumindest an und in ungewöhnlichen Orten statt.
Der Kinder-KURIER konnte zwei der sechs „Triebe“ besuchen: „Safari“ und „Linkswalzertraining“

Sonderfahrt in die "Wildnis"

„Safari“ heißt eine Sonderfahrt mit dem Bus vom TaO!, dem Theater am Ortweinplatz, weg. Angekündigt ist sie als Expedition in die wilden Gründe am Rande der Stadt, zwischen bürgerlicher Rohheit und bäuerlichem Glanz. Samt Ankündigung, auf „Ureinwohner“ zu treffen.

Natürlich ist bald klar, dass die Magistra Doctorix Hofstätter (Vera Posch), die mit Fernglas Ausschau nach Mitreisenden hält, eine Schauspielerin ist. Ebenso wie der „Ureinwohner“ (Lenny: Amun Greiss), der auf der Fahrt nach St. Peter, den 8. Bezirk von Graz, bei einer Bus-Umsteige-Station zusteigt. Sowohl der Bezirk und noch viel mehr der Ureinwohner wird in kolonialistischer Manier von der Reiseleiterin behandelt, die auch ankündigt, ihr Buch sowie Andenken seinen käuflich zu erwerben. Doch nicht nur sie, auch manche Fahrgäste kippen ins Klischeeverhalten, indem sie dem Schauspieler doch tatsächlich durch die wuscheligen Haare fahren.

Eine Frau in roter Weste spricht mit Fahrgästen in einem Bus.

Anschluss

Irgendwie erinnert die einstündige Aktion – mit einer „vergessenen“ Fahrgästin (Mascha Roth) beim einzigen Ausstieg für ein Gruppenfoto und letztlich einem heftigen Konflikt zwischen „forschender“ Reiseleiterin und „Ureinwohner“ an den grandiosen Film „Das Fest des Huhnes“ von Walter Wippersberg (Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts). Der drehte viel zu lange und noch immer verbreitetes herkömmliches Verhalten um, indem er afrikanische „Forscher“ in gleicher Manier durch Oberösterreich touren ließ, um die Sitte und Gebräuche der Einheimischen zu ergründen…

Die historischen und zahlenmäßigen Fakten auf dieser „Safari“ zur schlussendlich – unfreiwilligen – Erforschung eigenen (touristischen) Verhalten allerdings sind echt, auch jene, dass St. Peter und andere Orte 1938 unter Hitler an Graz „angeschlossen“ wurden.

Der Kirchturm der Safari-Kirche überragt eine Bezirkstafel in Graz-St. Peter.

Bezirkstafel von St. Peter

Ein großer Totenkopf steht vor dem Gebäude eines Theaterausstatters.

"Heiligtum" - Der Kopf des Riesen ... -

Ein großer Totenkopf steht vor einem Gebäude der Firma ArtEvent Theaterservice.

... in Wahrheit ein großes Bühnenbild eines Grazer Stücks - von vor Jahrzehnten ...

Ein Herrenhaus mit Kirchturm auf einem Hügel, gesehen von einer Bushaltestelle aus.

Eine Kirche mit einem spitzen Turm unter blauem Himmel.

Eine Kirche und Bäume im Herbst, aufgenommen von einem Bus aus.

Eine Straßenlaterne mit einer kugelförmigen Lampe vor Bäumen und einem Haus.

Zwei junge Frauen fahren mit einem Bus.

„Linkswalzertraining“: Humorvolle „Anstands“-Show

Respekt, Anstand, Etikette – wichtige Werte. Da stimmen wohl so ziemlich viele zu. Mitunter jedoch werden vor allem Etiketten so formalisiert, dass sie eher Zwangsjacken gleichen oder anachronistisch werden oder aus vorgegebener Höflichkeit zu Unehrlichkeit werden. „Linkswalzertraining“ im Rahmen von spleen*trieb spielte damit und nahm Teile des Theaterbetriebs ein bisschen auf die Schaufel.

Über die Bühne ging das Seminar „Regeln des Anstands und gegenseitigen Respekts im Umgang mit Theatermenschen und im Nachgespräch“ im Anton-Afritsch-Kindergarten – am Wochenende. Der Kindergarten liegt in einem fast an Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt erinnernden ein bisschen verwilderten Garten. Wer von den Teilnehmer_innen aufs Klo musste, hört dort schon Auszüge aus einem buch eines bekannten österreichischen Benimm-„Papstes“. Das Werk selber liegt auf dem Boden der Häusl-Kabine.

Zwei Frauen stehen vor einer Gruppe von Zuhörern in einem dekorierten Raum.

Das "Seminar"

Gruppenfindung

Die „Seminar-Leiterinnen“ teilen das Publikum in vier – farblich gekennzeichnete – Gruppen ein. Es geht zunächst um „Gruppenfindung“ und – weil Marketing und PR immer wichtiger zu werden scheinen – um das Finden eines griffigen Gruppen-Namens. Der wird von einer dreiköpfigen Jury bewertet. Die eine steckt lego-Würfel aufeinander, der zweite Holzstöckchen in Styropor-Platten und die jüngste Jurorin, eine junge Jugendliche, gelochte Bausteine auf Metallstäbe.

Drei Personen stehen vor einer Wand mit einem Regenbogen und Heißluftballons, während eine vierte Person gestikuliert.

Schauspieler_innen

Scheren im Kopf

Abhandlungen – samt Streit – über die richtige Kleidung im und rund ums Theater folgen ebenso wie Regeln zum Smalltalk nach einer Theateraufführung. Conclusio: Sag ja nie die Wahrheit, was du dir über das gesehene Stück denkst. Check erst, ob nicht wer von den Gesprächspartner_innen vielleicht verwand- und/oder freundschaftliche Connections zu den Theaterleuten hat usw.

Kurze Szenen, die sich darum drehen, dass kritisch denkende Geister doch allzu oft in vorauseilendem Gehorsam ihre Ideen gar nicht verwirklichen schließen sich an. Bevor es zur Verteilung von Zertifikaten kommt – und der Ankündigung einer Masterclass „zielorientierte Nutzung von Graubereichen im bestehenden Regelwerk“.

Follow@kikuheinz

Ein rotes Buch mit dem Titel „Gutes Benehmen wieder gefragt“.

Das Benimm-Buch...

Eine Toilette und ein rotes Buch liegen auf dem gefliesten Boden.

... und sein Ort

Drei Personen sitzen an einem Tisch und schreiben oder zeichnen.

Die Jury

Eine Person hält ein Plakat mit einem Flussdiagramm zu Gesprächsregeln hoch.

Und die Small-Talk-Regeln

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