Rot-Pink im Check: Von der Punschkrapferl- zur Pandemie-Koalition
Sogar der Korrespondent von Le Monde war in den Festsaal des Rathauses gekommen, wo Michael Ludwig und Christoph Wiederkehr am Dienstag Bilanz über das erste Jahr der rot-pinken Rathauskoalition zogen.
Freilich: Den französischen Journalisten interessierten weniger die Errungenschaften der ersten SPÖ-Neos-Regierung auf Bundesländer-Ebene. Vielmehr wollte er von Ludwig wissen, wie es sein könne, dass die Geimpften in Österreich den jüngst verhängten Lockdown widerstandslos hinnähmen.
Die kurze Episode verdeutlicht, wie schwer es ist, eine Zwischenbilanz über die Stadtregierung zu ziehen, die bei ihrer Verkündigung mit Punschkrapferln gefeiert wurde.
Als sie aus der Taufe gehoben wurde, befand sich Wien im Lockdown, an ihrem ersten Geburtstag gibt es schon wieder einen, wie Wiederkehr am Dienstag nicht zu Unrecht anmerkte.
Und auch in den Monaten dazwischen drehte sich de facto alles um die Corona-Pandemie.
Pandemie gemeistert?
Diese wurde von Ludwig spätestens seit dem Frühjahr dieses Jahres erfolgreich gemanagt, wie man selbst im Lager von ÖVP und Grünen mehr oder weniger offen anerkennt.
Michael Ludwig (SPÖ): Zurückgelehnt
Ist am Höhepunkt seiner Macht. Nicht nur in Wien hat er gute Werte, auch bundesweit wird Ludwig als Corona-Manager gefeiert. (Und als SPÖ-Bundeschef kolportiert.) Er darf sich nicht zurücklehnen: Corona wird irgendwann vorbei sein
Christoph Wiederkehr (Neos): Brav
Die SPÖ lässt den Neos-Chef mitspielen. Einzige Bedingung: Er darf nicht zu auffällig werden. Bisher hält sich Wiederkehr daran. Als er mutig wurde, gab es Ärger – etwa bei der Lehrerneuverteilung. Seine Großbaustelle ist die MA 35
Kathrin Gaal (SPÖ): Hintergründig
Setzt unauffällig die Wohnbau-Politik ihres Vorgängers Michael Ludwig fort. Zuletzt gelangen überfällige Reformen – etwa eine Bauordnung, mit der die Errichtung überdimensionierter Einfamilienhäuser verhindert wird
Peter Hanke (SPÖ): Wechselhaft
Zimmert ein Krisenbudget, baut die U-Bahn aus und verteidigt um-strittene Corona-Hilfen („Stolz auf Wien“). Die restliche Zeit ist Hanke damit beschäftigt, halbwegs glaubwürdig einen Wechsel in den Bund
zu dementieren
Ulli Sima (SPÖ): Laut
Die Verkehrsagenden eignen sich gut für laute Politik – und für Scharmützel mit den Grünen. Das gefällt Sima. Echten Ärger hat sie mit der Stadtstraße. In der SPÖ ist Sima nicht unumstritten. Ob sie das wirklich stört? Eher nicht
Peter Hacker (SPÖ): Polternd
Mit seinem wortgewaltigen Auftreten polarisierend, ist er für die Organisation des extrem effizienten Test- und Impfwesens in Wien verantwortlich. Zumindest nach außen hin gibt aber Ludwig die Linie vor
Veronica Kaup-Hasler (SPÖ): Unauffällig
Die Kulturstadträtin ist sympathisch und unauffällig wie eh und je. Zu-kunftsgerichtete Kulturpolitik? Fehlanzeige – auch wegen Corona. Stattdessen sucht Kaup-Hasler Lösungen für belastete Straßennamen und das Lueger-Denkmal
Jürgen Czernohorszky (SPÖ): Verschollen
Fuhr mit dem Zug nach Glasgow zur Klimakonferenz – und machte sich dort Gedanken über den Ausstieg aus Gas. Sonst kaum spürbare Impulse. Ob er schon zurück ist aus Glasgow? Unklar. Macht nix: Kollegin Sima erledigt seinen Job mit
Deutlich weniger klar ist das Bild hingegen bei den anderen Themenfeldern: Sind Versäumnisse und Mängel – etwa bei den Spitälern oder der Einwanderungsbehörde – tatsächlich der Pandemie geschuldet? Oder wird diese nur allzu gern als Ausrede für alle möglichen Missstände herangezogen? (Analysen zu den einzelnen Politikfeldern lesen Sie ganz unten.)
„Kollektivorgan“
Bleibt die Frage nach der pinken Handschrift, die Wiederkehr bisher in der Regierungsarbeit hinterlassen konnte. Ludwig bleibt diplomatisch vage: „Wir verstehen uns als gemeinsames Kollektivorgan und unterscheiden nicht zwischen SPÖ- und Neos-Projekten.“
Wiederkehr wird da schon etwas konkreter: Er verbucht Projekte wie die Whistleblower-Plattform, auf der anonym Korruptionsverdachtsfälle gemeldet werden können, und die Lerncafés als genuin pinke Erfolge.
Eine ziemlich bescheidene Bilanz, verglichen mit den Grünen, die vor einem Jahrzehnt den roten Koalitionspartner mit Projekten wie der Parkpickerl-Ausweitung von Anfang an gehörig ins Schwitzen brachten. Allerdings auf Kosten der regierungsinternen Harmonie.
Diese ist zwischen Ludwig und Wiederkehr nach wie vor vorhanden, wie am Dienstag spürbar war. Und einmal mehr bewarb Ludwig Rot-Pink als Modell für Koalitionen auf anderen Ebenen – womit er unausgesprochen den Bund meinte.
Tatsächlich ist eine derartige Regierungsform (mit den Grünen als Mehrheitsbeschaffer) nach dem türkisen Kollaps heute deutlich wahrscheinlicher als noch vor einem Jahr.
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