"Am Boden zerstört": So enttäuscht sind Taylor-Swift-Fans nach der Absage
Schon im 77A Richtung Ernst-Happel-Stadion sind an diesem Donnerstagmorgen die Nachwehen der Ereignisse der vergangenen Nacht spürbar. Ein junges Mädchen mit Blumenkranz im Haar, weißem Kleid und zahlreichen Freundschaftsbändern um die Handgelenke steigt ein und setzt sich gegenüber einer Frau und ihrer jungen Tochter, die den Kopf an ihre Schulter gelehnt hat. Man nickt sich schweigend zu. Da zieht die Tochter ein Freundschaftsband von ihrem Handgelenk, reicht es dem jungen Mädchen - und bekommt prompt eines zurück. Beide lächeln sich an.
Grau hängt der Himmel über dem Stadion. Über den Vorplatz gehen überwiegend junge, weibliche Fans, allein, in Grüppchen. Viele bleiben kurz stehen und schauen ungläubig zum Stadion hinauf. Von dort dringt Baulärm heraus, unbenutzte Absperrgitter lehnen an Bäumen, Merchandising- und Cateringzelte sind geschlossen.
"Es ist schon hart, hier zu sein", sagt die 15-jährige Flora, das Mädchen mit dem Blumenkranz. Sie hat sogar die berühmte Jacke nachgehäkelt, die Taylor Swift im "Cardigan"-Musikvideo trägt. "Immer wenn man sagt, dass man Taylor Swift hört, verdrehen Leute die Augen und sagen, sie ist überbewertet. Aber beim Konzert hätte man sich einfach wohlfühlen können, ohne beurteilt zu werden", sagt die Wienerin.
"Wie sage ich es den Mädchen?"
Eine Frau mit einem türkisfarbenen Rollkoffer kommt vorbei. Sie ist über Nacht aus Deutschland angereist, gerade erst in Wien angekommen und "am Boden zerstört". Noch im Zug hat sie von der Absage erfahren und ist vom Bahnhof direkt zum Konzertgelände gegangen, um wenigstens ein bisschen von der Stimmung mitzubekommen.
Auch Sarah Roos-Essl erreichte die Hiobsbotschaft am Vorabend. Erst vor wenigen Wochen hatte sie dem KURIER die Tür zu ihrem Haus in Klosterneuburg geöffnet, um ihre Familie, die "größte Swiftie-Familie Österreichs", vorzustellen.
"Im ersten Moment dachte ich, die Absage sei ein Fake"
Zu den Konzerten hatte sie auch Besuch von drei befreundeten Familien, die extra aus den USA angereist waren. "Im ersten Moment dachte ich, die Absage sei ein Fake."
Den insgesamt zwölf Mädchen, die sie an dem Abend beherbergte, darunter ihre drei Töchter Rose, Nina und Heidi, die Nachricht zu überbringen, sei einer der schlimmsten Momente ihres Lebens gewesen, sagt sie. "Nicht einmal so sehr, dass die Show abgesagt wurde. Aber wie soll ich kleinen Mädchen erklären, dass ein böser Mensch auf dem Konzert Frauen und Kinder töten wollte? Es bricht mein Herz als Mutter."
Eigentlich wollten sie alle zusammen vor dem Konzert auf eine Swiftie-Party gehen - aber jetzt sei sie verunsichert, sagt Roos-Essl. "Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass hier, in Wien, so etwas passiert. Wir sind als Familie aus den USA hierher gezogen, um sicher zu sein."
Angst in größeren Gruppen
Verunsichert sind auch die Teenager Irene und Isabella, die erst in der Früh aus Italien angekommen sind und die es trotz Absage zum Stadion gezogen hat. "Ich werde morgen 17 und wir hatten Konzertkarten für diesen Tag. Es wäre einfach perfekt gewesen", sagt Irene. Die Karten hatten sie bereits im Juli letzten Jahres gekauft - und sich 13 Monate lang auf den Abend gefreut.
Bis Sonntag sind die Freundinnen noch in Wien, aber auf Fan-Veranstaltungen und -Treffen gehen sie lieber nicht, aus Angst, es könnte gefährlich sein. Dabei haben sie die Konzerte der Sängerin immer als Safe Space wahrgenommen. "Das ist für Frauen auf Konzerten selten so, das ist besonders", sagt Isabella. Trotzdem verstehen sie die Entscheidung: "Es wäre schlimm gewesen, für alle Fans, für Taylor und ihre Crew. Wir verstehen den Hass nicht."
Die 18-jährige Milena hat noch ganz verquollene Augen vom Weinen. Eigentlich wollte sie heute schon um 6 Uhr früh beim Stadion sein, um sich anzustellen. Darum schlief sie auch schon, als die Nachricht von der Konzertabsage kam. Ihr Vater hat sie geweckt und es ihr gesagt. Trotzdem ist sie an diesem Vormittag hier: "Ich wollte mir einfach anschauen, wie es gewesen wäre. Kurz bleibe ich noch hier, aber dann fahre ich heim, ich bin einfach nur traurig." Aber sie finde die Absage trotzdem richtig, sagt sie mit Blick auf die Anschläge beim Ariana-Grande-Konzert in Manchester 2017. Ihre Botschaft an Taylor Swift: "Ganz liebe Grüße aus Wien, ich hoffe, es geht dir gut!" Und an alle Swifties: "Bleibt stark!"
Ein verlorener Safe Space
Die 13-jährige Daniela aus Wien war schon gestern Abend beim Stadion, da hat "alles so friedlich ausgesehen." Heute ist sie "traurig und schockiert". Aber sie findet es schön, dass die Fans der Sängerin dennoch vorbeikommen. "Es geht ja nicht nur ums Konzert, es geht auch um die Community." Die 22-jährige Wienerin Judith stimmt ihr zu. "Wir wären heute Abend da drinnen gewesen, in diesem besonderen Setting, in dem man sich als weiblich gelesene Person einfach wohl und sicher fühlt. Es ist so traurig, dass uns das genommen wurde - ich habe diese Gefühl noch nie mit so vielen Menschen teilen können." Aber sie empfindet auch Dankbarkeit. Denn: "Es hätte auch sein können, dass wir heute hier sterben."
Viele Fans, die an einem der kommenden drei Tage in und vor das Ernst-Happel-Stadion gepilgert wären, haben eine weite Anreise hinter sich. So auch die New Yorker Familie Weissman-Urbach, die dem KURIER erst kürzlich von ihren Vorbereitungen und ihrer besonderen Beziehung zu Wien erzählte. Denn Jen Urbachs Großeltern mussten als Juden 1939 vor den Nazis aus Wien fliehen. Die Reise war für Ilan Weissman, ihre Frau Jen und die gemeinsame 9-jährige Tochter Aria also von großer Bedeutung.
"Aria hat viel geweint. Aber dann hat sie gesagt, dass es ein Wunder ist, dass niemandem etwas geschehen ist - allen wunderbaren Swifties, die wir in Wien schon getroffen haben", erzählt Jen von den Ereignissen des Vorabends. Und schließlich konnten sie auch an die Vergangenheit anknüpfen, als sie erstmals vor dem Wiener Wohnhaus des Großvaters standen. "Wir sind dankbar, dass wir nach Wien gekommen sind - und wir gehen mit einem guten Gefühl." Denn, so sagt sie: "Es ist nicht Wiens Schuld, es ist nicht Taylor Swifts Schuld, es ist einzig die Schuld der Täter."
Kommentare