Für diese Familien ist die Taylor-Swift-Verehrung Lebensinhalt
Luckys Freundschaftsband liegt in der Wiese, er hat es schon zum zweiten Mal beim Herumtollen verloren. Er merkt es nicht, aber er ist auch ein Hund. Und so wie alle im Haushalt Roos-Essl ist auch er ein Swiftie. Nur das mit den Armbändern klappt nicht so ganz. Dafür sind die Frauen der Familie umso professioneller, wenn es um Taylor Swift geht.
Sarah Roos-Essl und ihre drei Töchter Rose, 11, Nina, 9, und Heidi, 4, tragen an diesem heißen Sommertag schon einmal probeweise ihre Outfits für Taylor Swifts Eras Tour-Konzert in Wien: sehr viel Glitzer, Rosatöne und Regenbogen.
"Die Pailletten kratzen ganz schön, das merke ich erst jetzt", sagt Sarah Roos-Essl und lacht. Eine kleine Unannehmlichkeit, die sie gerne in Kauf nimmt. Schließlich spielen die Sängerin und ihr Werk eine große Rolle im Leben der amerikanisch-österreichischen Familie - nicht umsonst bezeichnen sie sich als "größte Swiftie-Familie Österreichs". Wie sie lebt? Das ist in diesem Video zu sehen.
Wer durch die Räume der Klosterneuburger Gründerzeitvilla geht, die seit dem Umzug der Familie aus den USA vor sechs Jahren ihr Zuhause ist, muss die Augen offen halten. Denn wie in der Musik, in den Texten und in der Kommunikation der Sängerin gibt es auch im Haus der Familie allerlei Eastereggs (versteckte Hinweise) zu entdecken.
Hier sind die Ostereier versteckt
So sind alle Uhren im Haus - zu Ehren des Albums "Midnights" - auf 12 Uhr gestellt, unter einem Porträt der ersten amerikanischen First Lady Martha Washington hängt ein Bild von Taylor Swift und der Bildschirm des Fernsehers ist auf das Cover des Evermore-Albums eingestellt. Auf dem Klavier, das Rose spielt, liegen Notenhefte der Sängerin. Die Musik der Sängerin, sagt Sarah, sei der Soundtrack ihres Familienlebens.
Eine Katze huscht vorbei. "Das ist Mochi. Und weil wir ein bisschen verrückt sind, ist es eine Ragdoll-Katze, wie bei Taylor Swift", erzählt die 42-Jährige und nimmt das sanfte Tier auf den Arm.
Lied für Lied
Man merkt es der Familie nicht an, aber die Leichtigkeit hat erst vor Kurzem wieder Einzug gehalten. Denn vor 18 Monaten erhielt Sarah die niederschmetternde Diagnose: Brustkrebs im 2. Stadium. Es folgte eine quälend lange Zeit, die sie im Spital, in Arztpraxen und Wartezimmern verbringen musste. "Und immer, wenn sie von ihren Behandlungen heimgekommen ist, ging es ihr schlecht. Das war sehr schwer für uns alle", erzählt Tochter Rose über diese Tage. "Aber dann haben wir gemeinsam Taylor-Swift-Songs gehört, Musikvideos geschaut und sind so Album für Album durchgegangen - das hat uns wieder glücklich gemacht."
Dafür ist man der Sängerin im Hause Roos-Essl sehr dankbar. Und deshalb setzt man derzeit alles daran, dass Rose beim ersten Wien-Konzert am 8. August den begehrten schwarzen Hut bekommt, den Taylor Swift bei jedem Auftritt einem - meist jungen - Fan persönlich auf den Kopf setzt. DIE Gelegenheit, dem Idol persönlich und stellvertretend für die ganze Familie zu sagen, was sie ihnen bedeutet. "Ich habe ein Armband für Taylor gebastelt und ein Schild gemalt, damit sie mich sehen kann", sagt das Mädchen. (Falls Taylor Swift hier mitliest: Die Familie sitzt in Sektion E, 1. Rang, Stiege 19, Block I, Reihe 5, Sitze 141-144.)
Es sei leicht, sagt Sarah, angesichts der aktuellen Nachrichtenlage in Verzweiflung zu verfallen. "Aber dann sind da Nacht für Nacht Zehntausende von Menschen, die sich bei den Konzerten treffen, und da gibt es nur Freude." Sie weiß, dass nicht alle ihre große Liebe zur Sängerin teilen. Doch eines hat sie über die Jahre bemerkt: "Taylor ist erwachsener geworden und auch ihre Musik und ihre Texte sind heute viel komplexer und vielfältiger. Selbst wenn man ihre Musik nicht mag, respektiert man sie heute."
Sarah Roos-Essl hat die Zeit der Krise überstanden.
"Die Akutbehandlung ist vorbei, ich muss nur noch alle drei Monate zum Onkologen." Die Krankheit sei zwar immer im Hinterkopf, sagt sie. Aber: "Ich fühle mich gut und bin so glücklich, dass ich zum Konzert gehen kann und mein Leben wieder zurück habe."
Familie reist von New York nach Wien
Weiter als von Klosterneuburg zum Ernst-Happel-Stadion ist die Anreise, die Ilan Weissman, ihre Frau Jen Urbach und die gemeinsame neunjährige Tochter Aria auf sich nehmen. Sie kommen extra aus New York angereist, ein Abreißkalender markiert die Tage bis zum Abflug.
Zum Zeitpunkt des Zoom-Interviews mit dem KURIER steht da eine große 21. Während Jen und Aria im rosa Taylor Swift-Shirt vor dem Laptop sitzen, trägt Ilan ein schwarzes Nirvana-Shirt und eine Kappe auf den kurzen Locken. "Ich bin der neueste Swiftie in der Familie", sagt sie augenzwinkernd.
Früher, so peinlich es ihr heute ist, das zuzugeben, war sie "zu cool" für Taylor Swift. Auch heute noch hat sie oft das Gefühl, sich erklären zu müssen, wenn sie sagt, dass sie ein Fan der Künstlerin ist. "Aber ich erkläre mich nicht mehr, ich bin ein Swiftie und damit basta!"
US-Familie reist für Taylor Swift nach Wien
Wie für viele Amerikaner waren es auch für Ilan zunächst die astronomischen Ticketpreise in den USA, die sie dazu brachten, im Ausland nach Karten für die Eras-Tour zu suchen. Tausende von Dollar wurden hier oft für die Tickets verlangt. So viel, dass es finanziell tatsächlich Sinn macht, auf den europäischen Ticketpreis noch das Geld für Flug und Hotel draufzuschlagen und aus dem Konzertbesuch eine Reise zu machen. "Und dann habe ich es einfach getan", sagt Ilan lachend.
Auf alten Wegen
Dass es genau Wien wurde, hat für die Familie eine besondere Bedeutung. Denn Jens Großeltern, der Physiker Franz und die Juristin Anna Urbach mussten als Juden aus ihrer Wiener Heimat 1939 in Richtung New York fliehen. Die dazu nötigen Affidavits verschaffte ihnen die US-Amerikanerin Muriel Gardiner, die bereits in Zeiten des Austrofaschismus im politischen Widerstand tätig war. "Meine Großmutter Anna hat schon über Wien gesprochen, aber ich glaube, es hat sie traurig gemacht", sagt Jen, die vor Jahren als erste ihrer Familie wieder Wiener Boden betrat. Und nun will sie die Stadt auch Ilan und Aria zeigen und gemeinsam die Plätze besuchen, von denen die Großmutter einst erzählte.
Doch bis dahin sind noch einige Vorbereitungen zu treffen. Der weiße Langarmbody, den Aria zum Konzert tragen will, ist erst zu etwa einem Drittel mit kleinen schillernden Perlen besetzt, und auf Jens T-Shirt prangt statt des Albumtitels "Reputation" bislang nur das "Rep" - in goldenen Pailletten.
Auch in dieser Familie ist man Taylor Swift dankbar. Hier ist man überzeugt: Die Sängerin hat Aria sehr geholfen, ihre Legasthenie zu überwinden.
Quizfragen beantworten
"Aria liebt es, Taylor-Swift-Online-Quizfragen zu beantworten. Am Anfang brauchte sie noch unsere Hilfe beim Vorlesen - heute schafft sie das ganz alleine", erzählt Ilan. Auch die Songtexte auswendig zu lernen und dann darüber zu sprechen, macht Aria Spaß - und hat ihr bei ihrer Lese- und Rechtschreibschwäche geholfen.
Die Künstlerin und ihre Konzerte sind für die Familie, wie für viele in der LGBTQIA+-Community, eine Verbündete und ein sicherer Ort. "Sie hat so viele Orte für queere Menschen sicher gemacht, die es vorher nicht waren - auch online. Sie hat es geschafft, dass Menschen ihre Homo- und Transphobie in Frage stellen, nur weil sie ihre Musik lieben", sagt Ilan.
Club der Swifties
Rund um die Sängerin hat sich eine weltweite Gemeinschaft gebildet, da sind sich alle einig. Auch die 32-jährige Universitätsangestellte Tamara, die für alle drei Konzerte aus Graz anreist, fühlt sich in der Fancommunity wohl, sie beschreibt den Umgang als familiär und herzlich. "Vor allem international habe ich viele Swifties kennengelernt, ich habe auch eine sehr enge Swiftie-Freundin in Texas, die ich über Facebook kennengelernt habe." Das ehemalige "Emokind" erzählt, wie ihre Begeisterung entstanden ist: "Was mich am Anfang angesprochen hat, waren wirklich die Texte. Und dadurch, dass wir fast gleich alt sind, macht man die gleichen Sachen im Leben durch und kann sich gut in alles hineinversetzen." Man ist sozusagen zusammen aufgewachsen.
Darum kann sie auch die Kosten von rund 500 Euro "noch mit sich vereinbaren", die sie für alle drei Konzerte ausgegeben hat. Dafür macht sie ihr Konzertoutfit in Eigenproduktion: "Ich wollte weder etwas teures kaufen, noch ein Fast-Fashion-Teil." Darum bemalte sie eine alte Jeansjacke mit Motiven und Lieblingszitaten aus Swifts Songs. Ehrgeizig auch das Projekt für den zweiten Konzertabend: ein goldener Jumpsuit samt pinken, bestickten Cape. Für den dritten Abend ein eigenes Outfit zu nähen, wird sich wohl nicht mehr ausgehen. Taylor Swift versteht das aber bestimmt.
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