Ex-BVT-Chef rechnet ab - mit der ÖVP und dem "tiefen Staat"
Zu Ostern erscheint die schriftliche Abrechnung von Gert-René Polli, dem ehemaligen Direktor und Gründer des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). "Er hat sich seinen Frust von der Seele geschrieben", meint ein ehemaliger Kollege lapidar.
Auf 310 Seiten schildert Polli die Probleme Österreichs mit einem polizeilichen Geheimdienst. Teils sind es profunde, messerscharfe Analysen, teilweise findet man aber auch große Lücken in seinen Erzählungen.
Der einstige BVT-Direktor beriet etwa die FPÖ bei den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP und spielte eine bis heute undurchsichtige Rolle rund um das Konvolut und die folgende, von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) forcierte, rechtswidrige Razzia im Verfassungsschutz. Doch diese Bereiche seines Lebens bleiben auch nach der Lektüre großteils im Dunkeln.
Fragen werfen hingegen Erlebnisse mit einem anderen ehemaligen FP-Spitzenpolitiker auf: Heinz-Christian Strache.
Neben zahlreichen Agentengeschichten, die laut Buchbeschreibung des Verlags wahr sein können oder auch nicht, erfährt der Leser einiges über die Gründungsfehler des BVT. Polli (und auch viele Insider und Experten) sehen das große Problem, dass Polizei und Geheimdienst unter einem Dach waren.
Kripo versus Geheimdienst
Die kriminalpolizeiliche Aufgabe besteht darin, Verdächtige festzunehmen und vor Gericht zu stellen. Nachrichtendienste hingegen versuchen, Straftaten schon im Vorfeld zu verhindern und wollen vermeiden, dass ihre Erkenntnisse vor Gericht und damit in der Öffentlichkeit landen.
Dieses Problem sieht Polli auch beim neu gegründeten Verfassungsschutz DSN nicht gelöst, es wird den neuen Direktor Omar Haijawi-Pircher wohl noch verfolgen.
Schon bei der Gründung des BVT zu Beginn des Jahrtausends wurde diese Frage nicht geklärt, meint Polli. Er behauptet, gleich zu Beginn gedrängt worden zu sein, der ÖVP-nahen Gewerkschaft beizutreten. Da er dies verweigerte, gab es Probleme mit dem Kabinett von Innenminister Ernst Strasser (ÖVP).
Immer wieder fühlte sich Polli deshalb verfolgt, bis hin zur Torpedierung seiner Kandidatur als DSN-Direktor im vergangenen Jahr.
Doch der einstige Spitzenbeamte sieht auch einen bis heute aktiven "tiefen Staat", der seit Jahrzehnten von Beamten der einstigen Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus gebildet wird. Leiter dieser EBT war Peter Gridling, der später zu Europol wechselte und anschließend Polli als BVT-Chef beerbte.
Zu lesen ist auch von Gesprächen zwischen Ex-Vizekanzler Strache und Polli. Der Ex-BVT-Direktor bietet sich als Innenminister an, Strache verrät Polli, dass gegen ihn von der Justiz wegen einer Russlandsache ermittelt wird.
Die spannenden Aspekte muss man in dem Buch allerdings durchaus suchen, seitenweise sind Schilderungen zu lesen, in denen Polli Schulerlebnisse oder seinen Jakobsweg schildert. Er vergleicht sich etwa mit Christopher Kolumbus oder zitiert offensichtlich auf sich bezogen gleich am Beginn Mark Twain: "Die beiden wichtigsten Tage in meinem Leben sind der Tag, an dem ich geboren wurde, und der Tag, an dem ich herausfand, warum.“
Man muss schon ein eingefleischter Pollifan sein, um nicht der Versuchung zu erliegen, manchmal großzügig querzulesen.
Vergnüglich sind einige Episoden über Treffen mit anderen Geheimdienstlern. So stammt der Name des BVT von einem CIA-Agenten namens Gerry, mit dem sich Polli immer wieder austauscht.
Für Insider des Sicherheitsapparats wird dabei wenig neues zu finden sein, Personen ohne großes Wissen über Geheimdienste können aber ein wenig dieser geheimnisvollen Atmosphäre schnuppern. So werden einige Treffen mit fremden Diensten so genau beschrieben, dass der Leser sogar erfährt, welche Speisen dabei gegessen werden. (Spoiler: Es gibt zum Beispiel Beef Tartare.)
Nicht einmal vier Seiten sind jedenfalls dem BVT-Skandal gewidmet, der schließlich zur Demolierung des BVT führte. Polli bestätigt, dass wohl die (Nazi-)Liederbuchaffäre im niederöstereichischen Wahlkampf, die dem FPÖ-Kandidaten Udo Landbauer massiv schadete, zur rechtswidrigen Razzia im Rechtsextremismusreferat von Sybille G. führte.
Wo Pollis Sympathien liegen, wird aber ebenfalls klar. Gewinner all dieser Vorgänge ist seiner Meinung nach Herbert Kickl, den er zum "Gründungsvater der DSN" adelt.
"Schattenwelten - Österreichs Geheimdienstchef erzählt", erscheint am 15. April im Ares Verlag. Erhältlich bei Morawa um 22,90, bei Amazon um 26,63 Euro.
Zur Person Gert-René Polli
Heer Polli ist im August 1960 geboren und wuchs im Kärntner Lavanttal auf. Der gelernte Tischler macht beim Bundesheer die Matura nach und schlägt eine Offizierslaufbahn ein. Nach zahlreichen Auslandseinsätzen wechselt Polli 1992 zum Heeresnachrichtenamt (HNa). Dort fühlt er sich gemobbt und nicht gewürdigt.
BVT Nach den 9/11-Terroranschlägen soll der polizeiliche Geheimdienst reformiert werden. Einige HNa-Leute sagen ab, Polli hingegen zu. Von 2002 bis 2008 ist er Direktor des BVT.
Umstritten Immer wieder tauchen Vorwürfe gegen Polli auf. Seine Nähe zum Iran ist Israel und den USA ein Dorn im Auge. Seine Ehe mit einer türkischen Waffenhändlerin sorgt für Kopfschütteln. Mehrfach wird gegen Polli ermittelt, etwa wegen Betrugsverdachts. Zu einem Verfahren kommt es allerdings nie. Der Kärntner tritt etwa auch bei der deutschen Rechtspartei AfD als Gastredner auf.
FPÖ Der Du-Freund von Heinz-Christian Strache berät die FPÖ in Sicherheitsfragen. Von Innenminister Herbert Kickl wird er später zum Verbindungsbeamten in Valencia befördert, wo er ein Haus besitzt. Mittlerweile ist Polli nicht mehr für das Innenministerium tätig.
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