Das Jahr 2023 brachte die Reporterinnen des Dunkle-Spuren-Teams an viele unterschiedliche Orte. Was sie dort beschäftigte? Etliche offene Fragen um das Schicksal vermisster oder getöteter Menschen. Es sind jene Fälle, bei denen es unbedingt neue Hinweise oder Zeugen braucht, die Ermittlern weitere Schritte ermöglichen. Im Rahmen des True-Crime-Projektes „Dunkle Spuren“ widmen wir nun schon seit vier Jahren den großen ungeklärten Kriminalfällen des Landes – manchmal blicken wir dabei über die Grenzen Österreichs hinaus. Hier sind jene sechs Fälle, die wir dieses Jahr akribisch recherchiert und neu aufgerollt haben.
Es ist der frühe Abend am 24. Oktober 1947 auf dem abgelegenen Mostviertler Pernleitenhof bei St. Peter in der Au. Zwei Familien haben sich gerade zum Abendessen gesetzt: Im Erdgeschoß die des Bauern Matthias Esterka, im ersten Stock die Untermieterfamilie Mayer. Mitten in diese scheinbare Idylle brach das Grauen. Alle wurden am nächsten Morgen ermordet aufgefunden. 11 Menschen, darunter 6 Kinder, das jüngste noch ein Baby auf dem Arm der Mutter, waren erschossen und erschlagen worden.
Zahlreiche Theorien ranken sich seither um diesen Massenmord. So waren die am Tatort gefundenen Patronenhülsen russischer Herkunft. Der Hofbesitzer Matthias Esterka, der von Zeitzeugen als brutal und hartherzig beschrieben wird, hatte sich jedoch mit den russischen Besatzungssoldaten gut arrangiert. Er betrieb mit ihnen einen regen Schleichhandel. Zudem waren russische Waffen gerade in dieser Zeit stark im Umlauf. Eine andere Theorie wird im Zusammenhang mit den Morden am häufigsten genannt.
Dazu muss man ins Jahr 1945 zurückgehen, also zwei Jahre vor den Morden. Als nämlich die Rote Armee von Osten her immer näher rückte, flohen ungarische Wehrmachtstruppen nach Westen. So kam auch ein 18-köpfiger Stab der ungarischen Armee am Pernleitenhof unter. Im Gepäck: zahlreiche Schmuckstücke, bei denen man vermutete, dass es sich um Raubgold handelte. Dieses versteckten sie mit Esterkas Hilfe am Pernleitenhof, bevor sie weiter nach Westen zogen.
Als sie nach Kriegsende den Schmuck zurückforderten, behauptete er, russische Soldaten hätten alles gestohlen. Die Ungarn glaubten ihm nicht – und schworen Rache. So soll einer der Ungarn gesagt haben: „Wenn ich auch jetzt meinen Schmuck nicht bekomme, eines Tages kriege ich ihn doch und wenn es zwei bis drei Jahre dauert, die Rache kommt.“ Die Mörder wurden bis heute nicht gefasst. Hinweise bitte an das Kriminalamt NÖ unter 059133-30 3333
Um ihre Geschichte zu erzählen, muss man viele Jahre zurückreisen, nämlich ins Jahr 1979. Ein kleiner niederösterreichischer Ort im Bezirk Amstetten ist das Zuhause der schüchternen und einsamen jungen Frau. Marias Eltern leben nicht mehr, zu den älteren Geschwistern pflegt sie kaum Kontakt. Beide leben mittlerweile im Ausland, die Schwester in Deutschland und der Bruder in Kanada. Auch Freundschaften gibt es in ihrem Leben nicht viele.
Und dann trifft sie diesen Mann, der genau das Gegenteil von ihr ist. Er hat eine Großfamilie, fungiert als dessen Oberhaupt. Die beiden werden ein Paar, doch schon bald wird der Mann gewalttätig, physisch sowie psychisch. Er schlägt sie regelmäßig, zeigt sich immer brutaler. Maria O. wird schwanger, sie hofft, dass er sich ändert. Sanfter wird. Das Gegenteil ist der Fall. Was Ermittler und Staatsanwaltschaft jedenfalls bestätigt haben: Maria O. taucht nicht zur Sorgerechtsverhandlung ihres Babys auf. Obwohl sie kurz davor alles versucht hat, um ihr Leben wieder in Ordnung zu bringen. Sie trennte sich von dem brutalen Mann, fand eine Unterkunft und auch einen Job. Sie kaufte sich ein Kleid, das sie zu diesem wichtigen Termin tragen wollte. Doch sie erschien nicht.
Seit diesem Tag wurde Maria O. nicht mehr gesehen. Ein Verwandter des gewalttätigen Mannes vermutet, dieser hätte sie im Rahmen einer Auseinandersetzung getötet und auf einem seiner Grundstücke vergraben. Seither gab es mehrere behördliche Grabungen, doch dabei fand man nichts, das als Beweis ausreichen würde. Der Fall steht weiter nicht still.
Aufmerksamkeit erregen nun anonyme Schreiben, in denen Zeugen genannt werden, die angeblich aus „erster Hand“ Informationen zur möglichen Tötung der Vermissten erhalten haben sollen. Gleichzeitig ging auch ein Schreiben ein, das einen konkreten Hinweis auf den möglichen Verbleib der sterblichen Überreste liefern soll. Es wird weiter ermittelt. Hinweise bitte an das Kriminalamt NÖ unter 059 133 -30 3333
Hinter einer Plakatwand am Stadtrand von Wien, im zehnten Wiener Gemeindebezirk Favoriten, wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Es handelt sich um die 20-jährige Alexandra Schriefl. Sie wurde sexuell missbraucht und mit ihrer eigenen Kleidung erdrosselt, der Tatort wurde auf seltsame Weise inszeniert. Knapp vier Monate später, am 3. Februar 1989, wird im selben Bezirk erneut eine weibliche Frauenleiche gefunden. Die zehn Jahre alte Christina Beranek wurde in der Per Albin Hansson-Siedlung sexuell missbraucht und erdrosselt.
Eine der größten Fahndungsaktionen der österreichischen Polizeigeschichte startet. Mitunter waren 200 Beamte zugleich im Einsatz. Die österreichischen Kriminalisten wurden bei der Spurensuche von Kollegen des deutschen Bundeskriminalamts unterstützt. Bei den Ermittlungen gab es mehrere Verdächtige, Hunderte Personen wurden vernommen, doch eine wirklich heiße Spur konnte die Polizei nicht finden. Am 22. Dezember 1990 wurde Nicole Strau getötet, nachdem die Achtjährige bei ihrer Tante Weihnachtsgeschenke abgeholt hatte. Der Täter verging sich an ihr und erschlug sie dann mit einem abgebrochenen Ast. Der Verdacht, es mit einem Serientäter zu tun zu haben, erhärtete sich damit.
Lange tat sich nichts bei den Favoritner Mädchenmorden, mit den DNA-Verfahren gab es jedoch wieder Fortschritte. In den Fällen Schriefl und Strau waren Spermaspuren gesichert worden, ein Treffer in der DNA-Datenbank war die Folge. Herbert P. wurde 2001 wegen Mordes an Alexandra Schriefl zu 15 Jahren Haft verurteilt. Kurz darauf wurde der Fall Strau geklärt. Michael P., der ein Bekannter der Achtjährigen war, wurde schließlich wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
Bleibt noch der Fall Christina Beranek. Die Experten gehen davon aus, dass Herbert P. auch hier der Täter war. Da aber keine DNA-Spuren gefunden wurden und somit auch kein eindeutiger Beweis vorhanden war, kam es nie zur Anklage.
Es ist tiefe Nacht, als er die bewusstlose Frau ins Auto zerrt. Er gurtet sie an, übergießt sie mit Benzin und wirft eine brennende Signalfackel in den Fußraum des Mercedes. Mitten auf der Kreuzung sollte ihr Leben ausgelöscht werden. Genauso wie jede Spur, die ihn später entlarven könnte.
Die Tat in der Nacht auf den 16. März 2012 wird als eines der spektakulärsten Verbrechen in die Tiroler Kriminalgeschichte eingehen. Die Tote ist Erika H., Bankmitarbeiterin in einer nahe gelegenen Gemeinde. Während im Dorf erste Spekulationen über den Mörder aufkamen, nahm das Landeskriminalamt die Ermittlungen auf. Warum die 49-Jährige sterben musste, war zunächst völlig unklar. Ein kleiner Zettel, der in einer Pfütze in der Nähe des Tatorts gefunden wurde, lieferte den Ermittlern schließlich den entscheidenden Hinweis. Es war eine Bank-Quittung. Rasch stellte sich heraus, dass die Frau in ihren letzten Stunden wohl ein großes Goldgeschäft abwickeln wollte.
Dazu ist es aber nie gekommen. „Es stand zwar ein Name auf der Quittung, den konnten wir aber nicht mehr lesen. Dafür half uns das Geburtsdatum, das darauf stand, weiter“, sagte Christoph Hundertpfund, damals stellvertretender Leiter des Landeskriminalamts Tirol. Das Geburtsdatum war auch im Handy des Opfers gespeichert. Sowie Dutzende SMS, die die Ermittler schließlich auf den mutmaßlichen Täter brachten: Es war Heinz S., selbst Polizist.
Wie die Polizei herausfand, dürften Opfer und Täter auch ein Paar gewesen sein. Kurz darauf wurde der 51-Jährige festgenommen. Bei der Einvernahme eskalierte die Situation: Heinz S. wollte flüchten. Während der Verfolgungsjagd schoss er auf einen seiner Kollegen – nur dank einer Sicherheitsvorkehrung konnte ein zweiter Mord verhindert werden. Der Mann wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Heinz S. erhängte sich in seiner Zelle. Bis heute fehlt jede Spur von den Goldbarren. Hinweise bitte an das Kriminalreferat Innsbruck 059133-75 33 33
Es sind die Fotos, die Saras Mutter wie einen Schatz hütet. Fotos, auf denen ihre Tochter Sara lächelnd als Cheerleaderin auf dem Fußballfeld steht. Später solche, auf denen Sara bunte Kopftücher und Kleider trägt. Und schließlich welche, auf denen die 15-Jährige komplett in Schwarz gehüllt ist. Das Mädchen trägt einen Niqab. Nur Saras Augen sind noch erkennbar.
Es sind die letzten Bilder, die Mutter Yasmin von ihrer Tochter besitzt. Die Innsbruckerin wird seit dem 16. August 2022 vermisst. Es wird nicht ausgeschlossen, dass das Mädchen gegen seinen Willen festgehalten wird. Seither ist jeder Tag für Saras Familie eine Zerreißprobe. Das Hoffen und Bangen, die Angst – sie sind ständige Begleiter. „Ich habe keine Tränen mehr“, sagt Yasmin fast entschuldigend, als sie sich mit dem KURIER in einem Hotel in Innsbruck trifft und die Geschichte ihrer Tochter erzählt.
Sara stammt aus einer großen Familie. Sie galt als sportlich, fröhlich. Doch dann veränderte sie sich. Sara wollte nicht mehr zu Schule gehen. Sie wandte sich erst von ihren Freundinnen ab. Später von der eigenen Familie, bezeichnete sie als „Ungläubige“ und verweigerte sogar das gemeinsame Essen. Sie lernte Arabisch, verbrachte ihre Freizeit vor dem Computer. Radikalisierte sich.
Vor zwei Jahren tauchte sie zum ersten Mal unter – und wenig später wieder auf. „Sie hat damals gemeint, sie ist bei einer Freundin gewesen. Im Nachhinein ist dann herausgekommen, dass sie anscheinend einen jungen, konvertierten Deutschen kennengelernt und geheiratet hat.“ Dieser Mann ist bis heute ein Phantom. Weder ist sein Name bekannt, noch sein Alter. Niemand hat je ein Foto von ihm gesehen. Der Streit in der Familie nahm zu – und in Absprache mit der Familie zog Sara ins Kriseninterventionszentrum. Doch die Situation beruhigte sich nicht. Sara verließ das Zentrum samt Rucksack. Darin befanden sich ein Koran, der Reisepass und 500 Euro Bargeld. Seither hat sie alle Kontakte abgebrochen.
Die Polizei hält es für wahrscheinlich, dass sie Österreich verlassen hat und nach Deutschland gereist ist. Man schließe nicht aus, dass sie der Freiheit beraubt wird. Hinweise bitte an das Kriminalreferat Innsbruck unter 059133-75 33 33
Am 16. Juni 2009 findet ein Spaziergänger am Strand des Küstenstädtchens Sligo die Leiche eines Mannes. Das Gesicht des Unbekannten liegt nach unten gedreht im Sand. Der erste Polizist vor Ort wird sagen, dass der Mann allem Anschein nach nicht lange unter Wasser war. Außerdem wird im Protokoll stehen, dass der Tote für einen Schwimmer sehr seltsam gekleidet war.
Er hatte nichts bei sich, das Rückschluss auf seine Identität zuließ. Die letzten Tage des Mannes konnten mithilfe von Überwachungsmaterial teilweise rekonstruiert werden. Die Fragen rund um den Unbekannten werden dadurch aber nicht weniger. Ganz im Gegenteil. Niemand kann heute sagen, wie der hagere, weißhaarige Mann nach Irland gekommen ist. Es gibt keinen Hinweis auf seine Einreise.
Am 12. Juni 2009 wurde er jedenfalls das erste Mal von Überwachungskameras gefilmt als er an einer Busstation im nordirischen Derry wartete, um dann hinab in die irische Küstenstadt Sligo zu fahren. Er checkte in einem Hotel ein und registrierte sich dort unter dem falschen Namen Peter Bergmann und einer österreichischen Adresse, die nicht existiert. Die Rezeptionistin verlangte keinen Pass von ihm. Gegenüber der Polizei erwähnte sie später, dass der Mann einen auffälligen österreichischen oder deutschen Akzent hatte. In den kommenden drei Tagen verließ Peter Bergmann 13 Mal das Hotel, jedes einzelne Mal davon trug er eine lilafarbene Plastiktragtasche bei sich, die immer befüllt war. Jedes Mal war sie leer, als er zurückkam.
Was mit dem Inhalt geschehen ist, ist ungeklärt. Bis heute wurde weder ein Pass noch ein anderer Ausweis, der auf seine Identität schließen lässt, gefunden. Die Ermittler entdeckten lediglich einen ordentlich zusammengelegten Haufen seiner Kleidung auf einem Felsen – unweit der Stelle, wo die Leiche gefunden wurde.
Der Pathologe fand bei der Obduktion zur Überraschung aller keine Anzeichen von „klassischem Ertrinken durch Salzwasser“. Außerdem stellte man fest, dass der Mann Prostatakrebs im Endstadium hatte. Als Todesursache wurde „akuter Herzstillstand“ angegeben. Der toxikologische Standardbericht wurde durchgeführt, er war ergebnislos. Hinweise zu dem Mann bitte an dunklespuren@kurier.at
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