Es ist das Jahr 1947, Nachkriegszeit. Das kleine niederösterreichische Dorf St. Peter in der Au ist russische Besatzungszone. In damaligen Medienberichten werden diese Jahre als die Zeit der “wirren Verhältnisse“ beschrieben. Aber es soll nicht mehr die Zeit gewesen sein, in der “marodierende Soldaten ungestraft morden, rauben und schänden konnten.“
Am 25. Oktober gegen 6.30 Uhr in der Früh macht sich die 12-jährige Maria Schönegger auf den Weg zur Schule. Wie immer geht sie auch am Pernleitenhof vorbei und will dort ihre gleichaltrige Freundin Marie Esterka und deren Geschwister abholen. Die beiden Mädchen sind sehr gut befreundet, die Kinder gehen immer gemeinsam zur Schule. Doch an diesem Tag ist etwas anders, das fällt dem Mädchen sofort auf. Es ist verdächtig ruhig, als sie das Anwesen des Pernleitenhofes betritt. Sie sieht, dass die Haustür offensteht und blickt zuerst vorsichtig hinein, dann betritt sie das Innere. Zuerst fallen ihr verstreute Äpfel auf dem Boden auf. Sie geht weiter in die Küche, wo sich dem Mädchen ein grauenhaftes Bild bietet. “Überall am Boden liegen regungslose Menschen. Auch meine Freundin Marie liegt und rührt sich nicht mehr“, wird sie danach im Akt zitiert.
Völlig schockiert läuft Maria Schönegger zu den Nachbarn, kurz darauf ist die Polizei vor Ort. Der Ermittler wird später von einem Massenmord sprechen und sagen, dass er noch nie so viel Blut gesehen hat und dass er noch nie eine ermordete Mutter mit totem Baby im Arm auf dem Boden liegend gesehen hat.
Die Menschen am Hof
Der Pernleitenhof, ihn gibt es auch heute noch, ist ein riesiger Vierkanthof, der auf einem kleinen Hügel liegt. Das Anwesen gehörte im Jahr 1947 Matthias Esterka, der ursprünglich in der Tschechoslowakischen Republik geborene Bauer kam nach Österreich und kaufte die Pernleiten. Esterka lebte dort mit seiner Frau und den vier Kindern, das kleinste war noch ein Baby. Im oberen Stock wohnte der Schuster Franz Mayer mit seiner Familie zur Untermiete. Außerdem arbeitete der 19-jährige Lajosch Amhofer gerade als Pferdeknecht auf dem Hof. Fast alle wurden am 24. Oktober in den Abendstunden getötet. Neun wurden erschossen, zwei mit einem Rührholz erschlagen. Die Teller standen noch unbenutzt am Esstisch, die frisch zubereiteten Knödel noch in der Küche. Die Esterkas wollten gerade mit dem Abendessen beginnen, als sie wohl überrascht wurden. Nur die zwei kleinen Ziehbuben der Familie Mayer, vier und fünf Jahre alt, hatten das Massaker überlebt. Sie wurden am folgenden Morgen in einem etwas abgelegenen Zimmer unter der Bettdecke entdeckt.
Russen oder Ungarn?
Um den Mord ranken sich zahlreiche Theorien – in deren Zentrum steht immer Matthias Esterka. „Ich habe keinen einzigen Zeitzeugen gehört, der gesagt hat: ,Das war ein toller Mann’“, sagt auch Wolfgang Haidin. Der pensionierte Lehrer aus Seitenstetten, nahe St. Peter in der Au, hat sich seit den 1990er-Jahren mit dem Fall beschäftigt – und seine Recherchen in Buchform herausgegeben.
Esterka sei hartherzig gewesen, brutal auch der eigenen Frau gegenüber. Im Ort und bei den Nachbarn war er unbeliebt, mit den russischen Besatzungssoldaten wiederum hatte er sich arrangiert. Mit ihnen betrieb er einen regen Schleichhandel, aufgrund seiner Herkunft war es auch leicht für ihn, sich mit den Russen zu verständigen. Dass es also Besatzungssoldaten gewesen seien, die die beiden Familien ausgelöscht hätten, scheint unwahrscheinlich. Für diese These spräche in erster Linie der Fund russischer Patronenhülsen am Tatort – doch russische Waffen waren gerade in jener Zeit in starkem Umlauf.
Gegen diese Theorie spricht auch die Aussage der beiden überlebenden Buben, die die Morde unglaublicherweise verschlafen hatten. Sie gaben an, dass am Abend der Tat zwei uniformierte Männer auf den Hof gekommen seien. Esterka soll zu ihnen gesagt haben: „Schleichts eich, es Rabenbratln!“ Was dagegen spräche, dass er sie als Russen erkannt hätte.
Eine andere Theorie wird aber im Zusammenhang mit den Morden am häufigsten genannt. Dazu ist ein weiterer Zeitsprung nötig, in das Jahr 1945, also zwei Jahre vor der blutigen Oktobernacht. Als die Rote Armee von Osten immer näherrückte, flohen nämlich auch ungarische Wehrmachtstruppen Richtung Westen. Im Zuge dieser Ereignisse kam auch ein 18-köpfiger Versorgungsstab der ungarischen Armee am Pernleitenhof unter. Im Schlepptau: Zahlreiche Schmuckstücke, der Vermutung nach, soll es sich hier um Raubgold gehandelt haben. Dieses versteckten sie mit Esterkas Hilfe auf seinem Hof, bevor sie weiter Richtung Westen zogen. Als sie dann nach Kriegsende zurückkamen und den Schmuck zurückforderten, gab er an, dass russische Soldaten alles gestohlen hätten. Beobachtungen aus dem Ort, dass etwa eine Tochter der Esterkas in der fraglichen Zeit mit auffällig wertvollem Schmuck gesehen wurde, lassen an seiner Aussage zweifeln. Auch die Ungarn glaubten ihm nicht – und schworen Vergeltung. So soll einer der Ungarn gesagt haben: „Wenn ich auch jetzt meinen Schmuck nicht bekomme, eines Tages kriege ich ihn doch und wenn es zwei bis drei Jahre dauert, die Rache kommt.“
Überall Angst
Am Hof jedenfalls ging in den Tagen und Wochen vor der Tat die Angst um. Maria Esterka, Ehefrau von Matthias Esterka, soll noch beim letzten Abschied von ihrer Schwester zu dieser gesagt haben, dass es wohl ein Abschied für immer sei. Auch die Frau des Schusters fürchtete sich vor finsteren Gestalten, die jeden Abend hinter dem Birnbaum gestanden seien und zu ihrem Küchenfenster hinaufgeschaut hätten.
Auch Jahrzehnte später umgibt die Pernleiten noch eine bedrückende Atmosphäre. „Am Hof war es immer etwas gespenstisch“, erzählt Paul Esterka, der als Kind in den 60er-Jahren immer wieder Zeit bei seinen Verwandten am Hof verbracht hatte. Er erzählt, dass die Blutspuren des Verbrechens im ersten Stock damals immer noch zu sehen waren. Ein Bild, das ihm nie wieder aus dem Kopf gehen wird. „Es war meine Familie. Wenn das schreckliche Verbrechen nicht passiert wäre, dann hätten wir sie alle noch kennengelernt.“ Das „Warum?“ lässt ihn bis heute nicht los. "Warum all die Kinder? Warum auch die andere Familie? Warum die ganze Familie?"
Hinweise:
Wenn Sie Informationen zu diesem Fall haben, dann wenden Sie sich bitte an dunklespuren@kurier.at
oder an das niederösterreichische Kriminalamt unter der Nummer 059 133 30 3333.
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