Sara wollte nicht mehr zu Schule gehen. Sie wandte sich erst von ihren Freundinnen ab. Später von der eigenen Familie, bezeichnete sie als „Ungläubige“ und verweigerte sogar das gemeinsame Essen. Sie lernte Arabisch, verbrachte ihre Freizeit vor dem Computer. Radikalisierte sich.
Im April des Vorjahres tauchte sie zum ersten Mal unter – und wenig später wieder auf. „Sie hat damals gemeint, sie ist bei einer Freundin gewesen. Im Nachhinein ist dann herausgekommen, dass sie anscheinend einen jungen, konvertierten Deutschen kennengelernt und geheiratet hat.“
Ein Phantom
Dieser Mann ist bis heute ein Phantom. Weder ist sein Name bekannt, noch sein genaues Alter. Niemand hat je ein Foto von ihm gesehen.
Der Streit in der Familie nahm zu – und in Absprache mit der Familie zog Sara in das Kriseninterventionszentrum in Innsbruck. Erst schien es, als würde sich die Situation beruhigen. Doch das täuschte. „Sara hat am Vormittag mit einem Rucksack das Zentrum verlassen“, sagt Christoph Kirchmair, Leiter des Kriminalreferats Innsbruck. Ein Betreuer sprach sie an. „Ich mache ein Picknick mit Freundinnen“, antwortete Sara.
Doch im Rucksack befanden sich weder Decke noch Essen für ein Picknick. Sara hatte darin einen Koran, ihren Reisepass und 500 Euro Bargeld – die sie zuvor als Mitgift von ihrem Ehemann bekommen hatte. Das Geld hatte Sara am Vortag von daheim geholt – dort hatte sie es in einem Kuvert verwahrt.
„Sie hat ab diesem Verschwinden alle Kontakte, alle sozialen Accounts, alle eMail-Adressen gestoppt. Seither gibt es keinen Kontakt mehr zu ihr“, sagt Kirchmair.
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Sara ist ab diesem Moment unsichtbar. Nicht nur im Internet. Die Ermittler finden zunächst keinen Anhaltspunkt, wo sie geblieben sein könnte. Zu viele unterschiedliche Geschichten hat das Mädchen im Vorfeld erzählt. Etwa, dass es nach Syrien oder Afghanistan gehen will. Oder zu ihrem Mann nach Köln oder München zieht.
Die Ermittler gehen zum ersten Mal mit dem Fall an die Öffentlichkeit. Und es kommt tatsächlich ein Hinweis. „Sie ist einige Tage davor zu Hause gewesen, hat einen großen Koffer geholt und Kleidungsstücke mitgenommen. Eine Bekannte hat sie damit auf einer Bushaltestelle gesehen. Wir gehen davon aus, dass sie auch ein Zugticket gehabt hat und damit Österreich verlassen wollte“, schildert Kirchmair. Er hält es für wahrscheinlich, dass sie tatsächlich nach Deutschland gereist ist. „Wir gehen davon aus, dass sie ihr Verschwinden sehr wohl durchdacht und geplant hat. Wir schließen aber nicht aus, dass sie jetzt irgendwo der Freiheit beraubt und nicht mehr zurückgelassen wird“, sagt der Ermittler.
Ein Lebenszeichen?
Würde sich Sara melden, wenn sie könnte? Ihre Familie ist davon überzeugt. „Sie weiß, wie sehr ich mir Sorgen mache“, sagt Mutter Yasmin. Doch möglicherweise hat Sara bereits versucht, Kontakt aufzunehmen – zu ihrem älteren Bruder Amin: „Auf Instagram habe ich eine Nachricht von einem seltsamen Account bekommen. Da war eine Story drin, und da stand eben: Es tut mir leid, was ich gemacht habe. Ich werde bald zurückkommen.“ Sekunden später war der Account gelöscht.
Ein Zeichen von Sara? „Wir versuchen, nach jedem Strohhalm zu greifen. Irgendetwas passt auf jeden Fall nicht. Entweder wird sie irgendwo festgehalten. Oder man hat ihr etwas angetan“, glaubt ihre Mutter.
Ihr größter Wunsch: dass Sara morgen wieder vor der Tür steht. „Natürlich würde ich ausflippen vor Freude. Sie auffressen, küssen, umarmen. Ich liebe sie. Sie ist mein Baby.“ „Wir wollen wissen, dass es Sara gut geht und kein Verbrechen stattgefunden hat“, appelliert Ermittler Kirchmair.
Falls Sie Hinweise oder Informationen haben, wenden Sie sich an das Kriminalreferat Innsbruck:
059133-75 33 33
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