Mit 17 Jahren zum IS gereist: Salzburgerin will heim
Susanne und Markus Golser sitzen am Küchentisch. Sie leben in einem gelben Einfamilienhaus, führen einen Betrieb, der gleich nebenan ist. Rundherum: Viel Grün. Gepflegte Einfamilienhäuser. Und an diesem Tag sehr viel Regen.
Auf einer Kommode steht ein Bild ihrer drei Töchter. Es wurde vor Jahren zu Weihnachten aufgenommen. Alle drei lachen in die Kamera. Maria steht in der Mitte. Sie trägt eine tailliert geschnittene, weiße Bluse, einen kurzen Rock, eine modische Kette. Sie umarmt ihre Schwestern. „Sie hat sich nicht verändert“, sagt die Mutter. „Das Bild, das Sie kennen – da erkenne ich meine Tochter selbst nicht.“
Fahndung
Auf dem Bild, das sie meint, hat Maria ihre blonden Haare zu einem strengen Zopf zurückgebunden. Ihr Blick wirkt hart. Es ist das Bild, mit dem nach der jungen Frau international gefahndet wird. Auf der Homepage des Bundeskriminalamtes wird dazu erklärt: Maria Golser wird beschuldigt, sich zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt Ende Juni 2014 freiwillig der Terrororganisation „Islamischer Staat“ angeschlossen zu haben und in dessen Herrschaftsbereich nach Syrien gereist zu sein, wo sie sich bis zum heutigen Tage aufhält.
Dabei ist der Aufenthaltsort von Maria bekannt. Sie befindet sich mit ihren beiden Söhnen im Alter von vier und sechs Jahren im kurdischen Gefangenenlager Camp Roj in Syrien. Seit Jahren versucht sie, nach Österreich zurückzukehren. Fluchtversuche scheiterten. Bittschreiben an die Republik Österreich blieben ungehört. Erst vor wenigen Wochen kam wieder eine ablehnende Antwort des Außenministeriums, in der betont wird: „Eine Einzelfallprüfung hinsichtlich der minderjährigen Kinder kann (...) zu einem anderen Ergebnis kommen.“
Oder anders ausgedrückt: Zwar würde man die beiden Kinder nach Österreich holen. Die junge Mutter aber nicht.
„Das kann doch nicht sein“, sagen die Eltern. „Sie ist die einzige Bezugsperson für die beiden Buben. Man kann sie doch nicht von ihr wegreißen. Alle anderen Staaten holen auch ihre Staatsbürger zurück.“ Dass Maria in Österreich ein Gerichtsverfahren bekommt, sei allen bewusst. „Das ist auch gut so.“
Doch die Vorverurteilungen treffen die Familie. „Hat sie sich ja selbst ausgesucht, dass sie nach Syrien geht“, lesen sie oft. „Die Leute urteilen so schnell, ohne zu wissen, was wirklich passiert ist“, sagt Marias Mutter.
Doch wie konnte es so weit kommen?
"Freunde" aus der Moschee
Maria war 15, als sie sich zum ersten Mal verliebte. In einen Flüchtling. „Er war wirklich ein lieber, ihn trifft keine Schuld“, sagt die Mutter. Für ihn konvertierte Maria zum Islam. „Dann ist etwas passiert, das wir nicht wahrgenommen haben“, sagt die Mutter. In einer Salzburger Moschee lernte sie neue „Freunde“ kennen. Solche, die vom Islamischen Staat schwärmten. Wie gut es den Menschen dort gehen würde. Welch gute Sache das sei. Maria trug plötzlich Kopftuch. Von ihrem Freund trennte sie sich. Der Familie erzählte sie nichts davon.
Der letzte Tag
Es war ein Samstagnachmittag. Die Familie grillte. Maria hatte sich zurückgezogen. Sie saß auf einer Bank und weinte. „Alles ok“, beruhigte sie ihre Mutter. „Ich fahre nach Salzburg in die Moschee und treffe ein paar Freundinnen.“ Dann packte die 17-Jährige eine kleine Tasche, nahm ihren Reisepass und ihr bisschen Erspartes. Am nächsten Tag meldete sie sich mit unterdrückter Telefonnummer bei ihrer Mutter: „Ich fahre nach Syrien. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schön es hier ist. Wie im Urlaub.“
Maria Golser ist mittlerweile 25 Jahre alt. Ihre Kinder kennen keinen Spielplatz. Sie kennen kein Familienleben. Oder ein Leben in Freiheit. Sie sind im kurdischen Gefangenenlager Camp Roj eingesperrt. Was mit ihrem Vater passiert ist, ist unklar.
Alle zwei Wochen schafft sie es, eine Sprachnachricht oder einen kurzen Text durchzuschicken. „Wenn drei Wochen vergehen, weiß ich schon, dass etwas passiert ist“, sagt Susanne Golser. Einmal war eine Bombe ins Nachbarhaus eingeschlagen. Maria hörte die Todesschreie ihrer Nachbarn.
Nur ein einziges Mal konnten die Eltern ihre Tochter in dem Lager besuchen. Sie hatten Kleidung und Nahrungsmittel für sie mitgenommen. „Wir hatten genau eine Stunde lang Zeit. Wir haben unsere Enkelkinder zum ersten und einzigen Mal gesehen. Sie waren unterernährt. Es gibt hier viel zu wenig Essen“, erzählen sie.
Der ältere Sohn sollte jetzt eigentlich mit der Schule beginnen. Doch die gibt es in dem Lager nicht. Die Großeltern haben dafür gesorgt, dass er zumindest ein paar Kinder- und Schulbücher bekommt.
Das war auch das einzige Angebot, das das Außenministerium gemacht hatte: „Vor einer TV-Sendung hat man mich angerufen und gefragt, welche Schulbücher sie denn brauchen würden. Sie können ja was runterschicken.“ Fassungslos sei sie da gewesen, schildert Susanne Golser.
Gemeinsam mit Anwältin Doris Hawelka versucht man, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die Familie nach Österreich zu bringen. „Maria soll eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Österreich sein. In ihrem Strafakt steht kein Wort davon, dass sie sich aktiv an Kämpfen beteiligt hat.“ Sie hat sich nun an die UN gewandt. Eine Antwort steht noch aus.
Zehn Österreicher in syrischen Lagern
Rund zehn österreichische Staatsbürger dürften sich laut Schätzung des Außenministeriums in syrischen Lagern aufhalten. Zuletzt wurde bekannt, dass im vergangenen Juni zwei Kinder aus einem dieser Lager nach Österreich geholt wurden. Die Mutter dürft einer Trennung zugestimmt haben. Sie befindet sich noch dort. Die Kinder befinden sich bei Verwandten.Im Jahr 2019 waren die zwei Kinder der Wienerin Sabina S. aus dem Lager Al-Ho in Nordostsyrien nach Österreich geholt worden. Ihre Mutter dürfte tot sein. Seither kümmern sich die Großeltern in Wien um die Buben. Erwachsene wurden bisher keine zurückgeholt.