Ende der 1980er-Jahre erschüttert eine Mordserie den 10. Bezirk in Wien. Nicht alle Fälle konnten aufgeklärt werden, auch wenn die Ermittler das anders sehen.
Ernst Geiger joggt gerade durch den Lainzer Tiergarten, als sein Pager losgeht. Seine Kollegen versuchen, ihn zu erreichen, im Wiener Bezirk Favoriten wurde die Leiche einer jungen Frau entdeckt. Es ist der 26. Oktober 1988, Nationalfeiertag. Der Ermittler macht sich auf den Weg zum Fundort, einem verwilderten Grundstück hinter einer Plakatwand. „Schon die Auffindungssituation war eigenartig. Das Mädchen war nackt und mit seinen Kleidungsstücken an einen Baum gefesselt. Es hat so gewirkt, als wäre die Leiche extra zur Schau gestellt worden“, erinnert sich Geiger. Vor ihrem Tod wurde die junge Frau sexuell missbraucht.
Wie die Ermittler herausfinden, ist das Opfer Alexandra Schriefl, eine 20-jährige Verkäuferin. Sie besuchte am Abend zuvor die nahe gelegene Disco Azzurro. Um 2.30 Uhr gab es das letzte Lebenszeichen von ihr: Sie rief ihren Freund aus einer Telefonzelle gegenüber des Lokals an, um ihn zu bitten, sie mit dem Auto abzuholen. Er machte sich zwar sofort auf den Weg, doch am Bahnübergang, ungefähr 200 Meter vor der Disco, ging der Schranken hinunter, die Minuten verstrichen. Und so beschloss die 20-Jährige, alleine loszugehen. Die beiden sollten einander nie wieder treffen.
Der einzige Anhaltspunkt nach ihrem Tod: die sichergestellten Spermaspuren. „Aber es gab zu dieser Zeit noch keine DNA-Analyse in Österreich. Wir konnten nur die Blutgruppe bestimmen, in diesem Fall A“, sagt Geiger. Also bleibt ihnen nichts anderes übrig, als alle 200 Gäste von diesem Abend zu überprüfen. Doch ohne Erfolg. All jene mit passender Blutgruppe haben ein Alibi. Die Ermittler stehen an.
Mord im Stiegenhaus
Bis Geiger am 3. Februar 1989, nur dreieinhalb Monate nach dem Mord an Alexandra Schriefl, erneut zu einem Tatort gerufen wird. Diesmal in die Per-Albin-Hansson-Siedlung, nur fünf Gehminuten vom Fundort des ersten Opfers entfernt. Im Stiegenhaus liegt die Leiche der zehnjährigen Christina Beranek, sie ist am Vortag verschwunden, nachdem sie sich in der Trafik unten im Hof ein Mickey-Maus-Heft geholt hatte. Dem Ermittler fällt sofort das Muster auf: Auch hier wurde das Opfer sexuell missbraucht und erdrosselt. Auch hier die Leiche angebunden, diesmal ans Geländer. Geiger: „Wir waren uns sicher, wir haben es mit einem Serientäter zu tun.“
Stutzig macht ihn zunächst nur der Altersunterschied der Opfer – das erste war eine junge Frau, das zweite ein kleines Mädchen. Doch auch dafür gibt es eine Erklärung. „Bei dissozialen Sexualstraftätern sind die Opfer so undifferenziert wie die Persönlichkeit der Täter. Für sie ist es ganz gleich, ob es sich beim Opfer um ein Kind oder eine alte Frau handelt. Es geht darum, dass es wehrlos ist“, erklärt Gerichtspsychiaterin Sigrun Roßmanith.
Eine der größten Ermittlungsaktionen der österreichischen Kriminalgeschichte startet. Die Polizei überprüft rund 1.000 Männer aus Favoriten, Plakate des Opfers werden aufgehängt, eine Belohnung von 160.000 Schilling (das entspricht 26.000 Euro) ausgesetzt. Vergebens.
Mord im Wald
Am 23. Dezember 1990 dann der dritte Mord. Geiger rückt in den Laaer Wald aus, knapp einen Kilometer nordöstlich der Per-Albin-Hansson-Siedlung. Ein Spaziergänger hat die Leiche eines Mädchens entdeckt. Es ist die achtjährige Nicole Strau. Sie war am Vortag zu Besuch bei ihrer Tante, ihre Eltern sollten sie abholen, doch Weihnachtseinkäufe kamen dazwischen. Und so machte sie sich alleine auf den Weg nach Hause, zuerst in der Straßenbahn, dann im Bus. Danach verlor sich ihre Spur.
Auf den ersten Blick scheint alles auf denselben Täter hinzuweisen. Sie wurde gedrosselt und sexuell missbraucht. Andererseits wurde sie mit ihrer Jacke zugedeckt, die Leiche nicht drapiert. Erneut überprüft die Polizei unzählige Männer. Doch die einzige Spur zu einem Bekannten der Tante verläuft ins Nichts, er hat ein Alibi.
Und vielleicht wären die Morde ungeklärt geblieben, wenn es nicht zehn Jahre später zu einer Schlägerei gekommen wäre – ausgerechnet vor der Disco Azzurro, wo das erste Opfer verschwand. Routinemäßig werden den Beteiligten DNA-Proben entnommen und in die Datenbank eingegeben. Und überraschenderweise gibt es eine Übereinstimmung – und zwar mit dem Fall Schriefl.
Geiger erinnert sich noch an die Festnahme von Herbert P. „Seine Frau, eine Beamtin in einem Ministerium, öffnet uns die Tür. Und in der Wohnung sitzt ein völlig harmlos wirkender Mann in einer biederen Idylle.“
Herbert P. war einst unter den Discobesuchern, doch ein Fehler legte eine falsche Fährte. So gingen bei der Sicherung der Spermaspuren auch Hautzellen des Opfers mit und ihre Blutgruppe, nämlich A, überlagerte seine Blutgruppe 0. 2001 wird der damals 32-Jährige wegen des Mordes an Alexandra Schriefl zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Aufgrund dessen werden auch die Spuren in den anderen Morden mittels DNA-Analyse untersucht. Im Fall von Nicole Strau, dem dritten Opfer, passt jene von Herbert P. jedoch nicht. Die Serientäter-Theorie bricht in sich zusammen. Stattdessen gibt es eine Übereinstimmung mit Michael P., jenem Bekannten der Tante, der einst im Visier war. Wie sich herausstellt, war das Alibi falsch. Er hatte das Mädchen jahrelang missbraucht, als sie es ihrer Mutter erzählen wollte, tötete er sie. Er wird zu lebenslanger Haft verurteilt.
Und im Fall Beranek? Hier ist das Ergebnis der DNA-Analyse nicht eindeutig genug, der Mord bleibt ungelöst. Aber: „Wir sind überzeugt, dass Herbert P. auch hier der Täter war. Wir konnten es ihm nur nicht definitiv nachweisen“, sagt Geiger.
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