Bischof Scheuer: „Die längste Reise ist die nach innen“
Manfred Scheuer ist seit 2015 Bischof der Diözese Linz und stellvertretender Vorsitzender der Bischofskonferenz. Der 67-Jährige ist in Haibach ob der Donau (Bez. Eferding) aufgewachsen und hat in Linz das Bischöfliche Gymnasium Petrinum besucht. Er war Universitätsprofessor für Dogmatik und Dogmengeschichte in Trier, bevor er 2003 zum Bischof von Innsbruck bestellt worden ist.
KURIER: Ihr Vorvorgänger Maximilian Aichern feiert morgen, den 26. Dezember, seinen 90. Geburtstag. Er spricht sich für die Dakoninnenweihe, für die Priesterweihe von verheirateten Männern und für das Frauenpriestertum aus. Welche Positionen nehmen Sie in diesen Fragen ein?
Manfred Scheuer: In der Geschichte hat es Diakoninnen gegeben. Sicher bezeugt bis ins 7. Jahrhundert, gerade auch in der syrischen Kirche. Das ständige Diakonat auch für verheiratete Männer wurde durch das II. Vatikanische Konzil wieder aufgegriffen. Es gibt weder historische noch einschneidende theologische Gründe, die gegen die Diakoninnenweihe sprechen.
Verheiratete Männer als Priester (viri probati)?
Es gibt innerhalb der unierten katholischen Kirche, das sind die Griechen und Chaldäer, also in den Ostkirchen, verheiratete Priester. Von da aus kann und soll es die Vielfalt des geweihten Amtes in der katholischen Kirche geben. Es ist in dem Zusammenhang die Wichtigkeit des Ordenslebens neu zu entdecken. Gerade sie haben eine starke Innovationskraft, eine starke solidarische Kraft und eine spirituelle Kraft in die Kirche eingebracht.
Arbeit im Vatikan wird besser mit Frauen erledigt
Die Priesterweihe für Frauen?
Papst Franziskus hat vor Kurzem in einem Interview mit einer amerikanischen Jesuitenzeitschrift erklärt, dass er sich durch die lehramtlichen Äußerungen von Papst Paul VI. und Johannes Paul II. gebunden fühlt. Hier ist also keine Änderung zu erwarten.
Er hat aber auch hinzugefügt, dass eine Reihe von Frauen in den vergangenen Jahren leitende Funktionen im Vatikan, zum Beispiel im Wirtschaftsrat oder in einigen Kongregationen, übernommen haben. Er hat betont, dass die Arbeit von ihnen besser erledigt wird als zuvor, als sie nur von Männern gemacht worden ist.
Diese Frage der Frauenordination ist eine schwierige, weil sie in unserem Kulturkreis nicht so rezipiert wird. Franziskus ist auch der Überzeugung, dass das marianische Prinzip in der Kirche sehr wesentlich ist. Und dass das Gegenüber von Mann und Frau eine wesentliche Bedeutung hat. Wofür viele Zeitgenossen, die auf der Gleichheit der Geschlechter insistieren, weniger Verständnis haben.
Der Vorarlberger Bischof Bruno Elbs hat im Rahmen des Ad-limina-Besuchs der österreichischen Bischöfe im Vatikan einen Kulturwandel bei den Behörden festgestellt. Man habe Fragen wie die Frauenpriesterweihe offen diskutieren können. Ist es Ihnen ähnlich ergangen?
Für mich war es nach 2005 und 2014 der dritte Ad-limina-Besuch. Es hat sich im Kommunikationsstil und im Umgang miteinander Entscheidendes verändert. Die Kongregationen (Zen tralbehörden) verstehen sich stärker als Dienststellen und weniger als Vorgesetzte, die den Bischöfen sagen, wo es langzugehen hat. Das heisst nicht, dass es zwischen den verschiedenen Kongregationen nicht Stilunterschiede gibt.
Manfred Scheuer: Miteinander den Willen Gottes suchen
Der Ad-limina-Besuch der deutschen Bischofskonferenz eine Woche zuvor ist nicht so reibungslos abgelaufen, obwohl die Fragenstellungen in Deutschland ähnlich denen der Österreicher sind.
Es ist ein relativ großer Unterschied in der Inszenierung gewesen. Die Themen des synodalen Prozeßes (Frauenpriesterweihe etc.), der weltkirchlich angestoßen wurde, sind nicht so anders, auch bei den Voten gibt es durchaus ähnliche Prioritäten wie in Österreich, wenn auch nicht mit der Ausschließlichkeit und Exklusivstellung, wie das in Deutschland der Fall war.
Ein Ad-limina-Besuch ist keine Weltsynode und auch kein Konzil. Das haben sich vielleicht manche in Deutschland stärker erwartet, Gruppen, die meinen, das muss jetzt sofort sein. Insgesamt ist aber schon klar, dass der deutsche Weg weitergegangen werden soll. Einseitige Positionen werden dem Gesamtprozeß nicht gerecht. Es wäre aber auch fatal zu sagen, stopp, wir hören auf.
Es gibt kein Zurück hinter Synodalität (gemeinsamer Weg). Das hat der Papst auch uns gegenüber ganz stark betont. Synodalität ist nicht einfach eine Veranstaltung, sondern eine Art und Weise, Kirche zu sein, miteinander auf dem Weg zu sein, aufeinander zu hören und miteinander den Willen Gottes zu suchen. Das Dritte wird öfters übersprungen.
Wen meinen Sie mit manche?
Die entscheidende Berufung von Kirche ist, dass die Menschen zu Gott finden. Mit dem Weg nach innen meine ich, dass die Kirche nicht bloß eine äußere Organisation ist, sondern sie zuerst und entscheidend ein spiritueller Weg ist. Dag Hammarskjöld (1905–1961) war UNO-Generalsekretär, aber auch ein Mystiker.
Er hat den Satz gesagt, die längste Reise ist die nach innen. Ich habe in diesem Advent manchmal gespürt, dass die Menschen erahnen, was damit verbunden sein könnte. Nämlich, dass etwas ,eiwendi‘ (einwendig) geht. Ich habe das auch einmal bei einem Manager in einem Hospiz erlebt, der gesagt hat, ich kann jetzt nicht mehr reisen, aber ich gehe jetzt den Weg in das Innere meiner Lebensgeschichte.
Der Weg der Kirche ist auch der Weg der Mystiker, weil wir heute so etwas wie Resilienz brauchen. Eine innere Widerstandskraft. Eine Kraft zu haben sich einzumischen, zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen. Wir als Kirche sind, mehr als es scheint, unterwegs mit Flüchtlingen, bei den Obdachlosen, wir sind Zuhörer bei der Telefonseelsorge, wir sind engagiert in der internationalen Solidarität. Kürzlich war das Jubiläum 25 Jahre Osthilfefonds. Hier stehen Oberösterreicher Menschen in Osteuropa bei. Das ist der Platz der Kirche.
Ich hoffe, dass die Kirche auf dem Weg zu Gott ist und auch auf dem Weg zum Menschen.
Linzer Bischof: Ein Kulturwandel, hinter den man nicht zurückgehen kann
Mit Beginn des Pontifikats von Franziskus 2013 gab es eine große Erwartungshaltung, wie die Einführung der Diakoninnenweihe, der Priesterweihe für die Frauen, etc. für Reformen. Manche sind enttäuscht, weil Franziskus vieles nicht umgesetzt hat. Wie schätzen Sie sein Pontifikat ein?
Ich bin nicht der, der die Päpste beurteilt und Zeugnisse verteilt. Jeder Papst hat in seiner Zeit unterschiedliche Herausforderungen. Ich habe Franziskus schon erlebt als eine Zeit des Aufatmens. Innerhalb der Kirche oder auch im Verhältnis zu Rom hat es in der Zeit zuvor schon einen Druck gegeben. Man hatte den Eindruck, man steht an. Da hat Franziskus eine andere Denk- und Glaubensweise gebracht. In der Form, dass er eine starke Option für den ignatianischen Weg hatte. Dazu gehört ganz wesentlich die Begleitung und Unterscheidung. Sein Weg in moralischen oder dogmatischen Fragen ist nicht der zu sagen, hier ist die Wahrheit, die ich euch vorsetze.
Er geht in die Richtung, dass er die Situation der Einzelnen wahrnimmt, sie dabei begleitet und dabei zu unterscheiden versucht, was dem Willen des Menschen bzw. dem Willen Gottes entspricht. Das gilt zum Beispiel in der Sexualmoral, das gilt im Umgang mit Gleichgeschlechtlichen. Er hat mehrfach gesagt, er ist nicht der, der be- und verurteilt, sondern er möchte Wege eröffnen.
Das ist ein Kulturwandel, hinter den man nicht zurückgehen kann. Franziskus setzt einen ganz starken Schwerpunkt auf die ökologische Frage. „Laudato si“ ist eine einschneidende Enzyklika, die allerdings in unseren Breiten durch andere Fragestellungen überlagert wird.
Es gibt radikale Klimaschutz-Gruppen wie die „Last Generation“, die sich auf Straßen festkleben, Flughäfen blockieren, Bilder in Museen anschütten.
Hier ist es ähnlich wie in der Friedensproblematik, dass man Inhalt und Methodik nicht trennen kann. Man kann zum Beispiel den Frieden nicht mit Gewalt erreichen. Man kann die Bewahrung der Schöpfung nicht mit aggressiven Mitteln durchsetzen. Diese Gruppen bewirken eigentlich das Gegenteil dessen, was sie erreichen wollen. Menschen, die Verständnis für den Klimaschutz haben, bekommen eine Aggression gegen die Aktivisten.
Die Mehrheit der Bevölkerung bekennt sich zum Klimaschutz.
Inzwischen ist der Klimaschutz so in die Breite der Bevölkerung durchgesickert, sodass die Menschen durchaus auch etwas annehmen, das mit Verzicht und einer anderen Kultur des Teilens verbunden ist.
Die wichtigste Aufgabe eines Bischofs
Sie sind nun seit sieben Jahren Bischof von Linz. Wo steht die Diözese heute?
Ich habe vor einer Woche das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach in der Minoritenkirche gehört. Da stellt Herodes die Frage, wo ist der neugeborene König der Juden? Die Antwort ist, er wohnt in deiner Brust, dir und ihm zur Lust.
Wo ist Jesus heute? Wo ist die Kirche? Da gibt es den Satz von Romano Guardini (Religionsphilosoph, Theologe 1885–1968), die Kirche erwacht in den Seelen. Ich würde heute nicht mehr sagen, dass die Kirche den Menschen ein Herzensanliegen ist. Ich glaube allerdings, dass die Kirche nicht steht, sondern dass wir gehen. Das Prinzip Synode, das Papst Franziskus vertritt, heißt, miteinander auf dem Weg sein.
Zugespitzt oder provokant fromm sage ich, dass manche auch den Weg nach innen gehen. Das ist eine ziemlich weite Reise.
Sind Sie mit der Situation der Diözese zufrieden?
Das ist keine Frage der Zufriedenheit.
Als Führungskraft werden Sie doch bestimmte Vorstellungen haben, wie Sie das Ihnen Anvertraute gestalten.
Eine Diözese ist kein Wunschkonzert. Grundsätzlich suche ich die Menschen zu mögen. Auch die Diözese. Sie ist meine, die mir anvertraute. Papst Franziskus hat uns beim Ad-limina-Besuch in Rom vor eineinhalb Wochen eindringlich gesagt, die wichtigste Aufgabe eines Bischofs ist, für die Menschen in der Diözese zu beten. Daraus kommt manchmal auch, aber nicht immer, ein innerer Friede.
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