Gletscherforscherin Fischer: Skifahren erst später im Jahr – und Ferien verschieben
Die Liebe zum alpinen Terrain entdeckte Andrea Fischer schon früh. "Ich bin mit dem Bergsteigen groß geworden. Erst mit Felsklettern, irgendwann bin ich in höhere Regionen vorgedrungen", erinnert sie sich. Heute ist das Besteigen der höchsten Bergmassive des Landes beruflicher Alltag der 50-jährigen Physikerin. Die Begeisterung fürs eisige Hochgebirge ist geblieben: "Auf Gletschern herrscht eine lebensfeindliche Umwelt, weit weg von dem, was wir im Alltag im Tal erleben. Dieses Entrückte, dieses Erhabene hat etwas Faszinierendes an sich", beschreibt die Glaziologin, die erforscht, wie sich Gletscher verändern. Für ihr Schaffen wurde Fischer nun mit dem Titel "Wissenschafterin des Jahres" geehrt.
Wie es um heimische Gletscher bestellt ist, was sie von Klimaklebern hält und beruflich vorhat, sollte es mal keine Gletscher mehr geben, erzählt sie im KURIER-Interview.
KURIER: Frau Dr. Fischer, Gratulation zur Auszeichnung als Wissenschafterin des Jahres. Was bedeutet Ihnen diese Ehrung?
Andrea Fischer: Mich freut das sehr. Hinter den Daten, die ich an die Öffentlichkeit bringe, stecken viel Arbeit und persönliches Engagement. Nicht nur von mir, sondern von einem großen Team, das immer wieder aufbricht, unsere Gletscher zu messen. Es ist erfreulich, dass das wahrgenommen wird. Ich hoffe, dass die Sichtbarkeit unserer Messungen beitragen kann, die Zukunft positiv zu gestalten.
Was macht man als Glaziologin genau?
Im Grunde versucht man ein komplexes System aus Schnee und Eis mit einfachen Messmethoden zu erfassen. Das macht meine Arbeit so spannend.
Wie wird das gemacht?
Zu den grundlegendsten Methoden gehören Längenmessungen, die wir zum Alpenvereinsgletschermessdienst beitragen. Da misst man von einem markierten Stein aus die Distanz zur Gletscherzunge, also zum Ende des Gletschers. Und dann beobachtet man über Jahre und Jahrzehnte, mithilfe von Pegelstangen, die in den Gletscher gebohrt werden, wie viel Eis verloren geht.
Es braucht also Zeit und Geduld, um zu messen, wie sich der Klimawandel auf Gletscher auswirkt?
Ja, deswegen blicken wir auch in die Vergangenheit und erheben mit Eisbohrkernen, wie sich vergangene Klimaänderungen im Vergleich zu heutigen darstellen. Diese Forschung läuft etwas spektakulärer ab, mit Zelten auf dem Gletschergipfel. So können wir feststellen, ob aktuelle Schmelzprozesse ungewöhnlich sind – im Vergleich zu den letzten sechs Jahrtausenden.
Und sind sie das?
Ja, das wissen wir inzwischen. Gletscher sind die sichtbarsten Indikatoren des Klimawandels. An ihnen hat man erst erkannt, dass sich das Klima überhaupt ändert. Anfang des 19. Jahrhunderts hat man noch angenommen, dass das Klima etwas Konstantes ist. Aus den Spuren der Gletscher konnte man sehen, dass sich etwas ändert. Heute können wir aus Spuren der Gletscher in der Landschaft erschließen, wie groß Gletscher früher waren und wie klein sie nun sind. Aus Eisbohrkernen lernt man noch mehr: Darin sind Informationen über frühere Temperaturen oder das CO2 in der Luft gespeichert. So kann man den Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und der Erderwärmung bis zu 1,5 Millionen Jahre zurückverfolgen.
➤ Mehr lesen: Was Eisgletscher und Ötzi über unser zukünftiges Klima verraten
Wie steht es um die heimischen Gletscher?
Weil die Ostalpengletscher tief liegen, sind sie vom Klimawandel stark betroffen. In diesen Höhenlagen kann der Schnee den Sommer nicht mehr ganzjährig überdauern, es kann sich kein neues Eis bilden. Die früheren Akkumulationsgebiete, also die höchstgelegenen Teile der Gletscheroberflächen, wo sich aus Schnee Eis bilden konnte, sind dünn. Bei großer Schmelze bis zu den höchsten Gipfeln hinauf, wie wir sie in den vergangenen beiden Jahren beobachtet haben, können sie rasch völlig ausapern, sprich: eisfrei werden. Die Schmelzprozesse laufen jedenfalls gerade enorm rasch ab.
Man hört immer wieder von Orten, wo Gletscher stabil sind oder gar wachsen.
Es gibt Orte, die bei der Klimaerwärmung hintennach hängen. Wo die Gletscher auch zurückgehen, aber noch nicht alle Höhenlagen betroffen sind. Im Himalaya etwa oder in den Polargebieten kommt der Klimawandel noch nicht so stark durch.
Warum?
Wenn sich dort die Temperaturen im Sommer von -3 auf -2 °C verändern, ist das noch nicht so tragisch. Die Gletscher, die als wachsende Gletscher besprochen werden, liegen im Karakorum-Gebirge in Südasien (trägt mit dem K2 den zweithöchsten Berg der Erde, Anm.). Es kann immer mal der Fall sein, dass einzelne Gletscher vorstoßen, etwa wenn in solchen kalten Regionen mehr Niederschlag fällt. Das sind aber kleine Gebiete und kurze Phasen, in denen Gletscher sich lokal anders als im globalen Mittel entwickeln können.
➤ Mehr lesen: Gletscherforscherin vor Ski-Auftakt: "Nach 2050 geht's zur Sache"
Sie entnehmen zum Beispiel Eisproben an der 3.500 Meter hohen Weißseespitze an der Grenze zwischen Tirol und Südtirol. Wie wichtig ist das Wissen über regionale Veränderungen für überregionale Schlüsse?
Diese Wissenskluft zwischen globalen und lokalen Klimaänderungen ist ganz wichtig. Alle unsere Messdaten sind lokal. Es gibt – bis auf Satellitenmessungen – keine globalen Datensätze. Diesen Daten-Fleckerlteppich zu einem großen Bild zusammenzufügen ist eine der größten und anspruchsvollsten Aufgaben der Klimaforschung. Nur so kann man klimatische Anomalien verstehen, einordnen und in der Planung von Anpassungsmaßnahmen berücksichtigen.
Um solche Maßnahmen ging es bei der gerade erst zu Ende gegangenen Weltklimakonferenz. Da wurde die Abkehr von fossilen Energien beschlossen, allerdings ohne konkrete Verpflichtungen. Ziel verfehlt?
Es ist gut, dass dieser Beschluss gefasst wurde, und es ist auch gut, wenn man sich die Zeit nimmt einen breiten, nachhaltigen Konsens zu erzielen. Es hilft nichts, weitreichende Maßnahmen zu setzen, die nicht von der Bevölkerung mitgetragen werden.
Von großen Teilen der Bevölkerung nicht mitgetragen wird radikaler Klimaaktivismus. Was halten Sie von Klimaklebeaktionen?
Ich verstehe die Sorge der jungen Menschen, und ihr Bestreben Klimaschutzmaßnahmen rascher in Gang zu bekommen. Als ich jung war, hätte ich vielleicht auch so gedacht. Heute sehe ich, dass gut Ding Weile braucht, und halte Blockaden nicht für die beste Maßnahme Dinge in Bewegung zu setzen. Wir brauchen ein Miteinander, um das Ziel zu erreichen, eine Polarisierung könnte sogar kontraproduktiv sein. Insofern ist es wichtig, dass wir dranbleiben, so viel wie möglich tun und staatliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Jetzt haben wir über 100 Jahre am Ausbau fossiler Brennstoffe gearbeitet, es wird dauern sich davon zu verabschieden. Wir wissen, dass uns unter Umständen die Zeit davonläuft, aber es gibt keine Alternative, jedes halbe Grad Celsius ist ein Gewinn.
➤ Mehr lesen: Gletscherforscher wollen die Geschichte Ötzis umschreiben
Werden wir um Geoengineering, das Eingreifen des Menschen in Klimasysteme, etwa indem man Sonnenstrahlung von der Erde abhält, herumkommen? Oder ist das ein zu riskanter Notfallplan?
Es ist ein alter Menschheitsplan, sich das Wetter zu wünschen, allerdings scheitert es auch theoretisch daran, dass jeder ein anderes Wetter haben möchte. So ist es auch beim Klima, des einen Leid würde des anderen Freud sein. Wenn man noch in Betracht zieht, dass die Technologie noch nie erprobt wurde, und ein potenzieller Schaden ebenso fatal sein kann wie das derzeitige Experiment mit den Treibhausgasen, kann man nur davon abraten.
Die langen schneefreien Pisten im Gletscherskigebiet von Sölden sorgten vor dem Ski-Weltcup-Auftakt für Diskussionen. Sie sind selbst begeisterte Skifahrerin: Steht uns der Anfang vom Ende des Ski-Tourismus bevor?
Nein. Die Klimaaufzeichnungen zeigen, dass Schnee schon immer ein variabler Parameter war. Um 1920 gab es auch schneearme Winter. Diese Schneearmut ist Teil der Faszination Winter, deswegen freuen wir uns, wenn es schneit. Es ist nicht so, dass es in einem wärmeren Klima nie wieder schneien wird.
Die Anzahl der Schneetage wird sich aber reduzieren?
Ja. Die müssen wir dann besonders genießen. Schon jetzt sind viele Pisten ohne künstliche Beschneiung nicht betreibbar. Die Frage wird sein, ob der Konsument bereit ist, diese Kosten mitzutragen. Oder ob man zu einer Flexibilisierung der Saison übergeht, sprich später im Jahr mit dem Skifahren beginnt und die Ferien verschiebt.
Erst kürzlich haben Sie neue Erkenntnisse zu den klimatischen Verhältnissen zu Ötzis Zeiten publiziert: Wird die Schmelze weitere Eismumien freilegen?
Ob es tatsächlich Mumien sein werden, hängt davon ab, wie die Körper bestattet wurden und wie unsere Kultur diese Hochlagen genutzt hat. Was ich für sehr wahrscheinlich halte, ist, dass Artefakte auf diesen Hochlagen liegen, weil es viel genutzte Verkehrswege waren. Die muss man nur finden. Was schwierig ist, weil sie beim Ausapern kurz freigelegt werden, aber einige Wochen später wegen der widrigen Bedingungen meist wieder verschwunden sind.
➤ Mehr lesen: Biologe Franz Essl ist Wissenschafter des Jahres 2023
Zur Person
Nach dem Studium der Physik und der Umweltsystemwissenschaften an der Karl–Franzens Universität in Graz absolvierte Andrea Fischer ein Doktoratsstudium an der Universität Innsbruck im Bereich glaziologischer Satellitenfernerkundung. Ab 2003 arbeitete sie als PostDoc an der Universität Innsbruck und dem AlpS Forschungszentrum. 2010 wechselte Fischer an das Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Akademie der Wissenschaften in Innsbruck, dessen stellvertretende Direktorin sie ist. Ihre Hauptforschungsinteressen gelten dem Langzeitmonitoring und der Erforschung von Gebirgsgletschern und angewandter Glaziologie.
Zum Preis
Seit 1994 vergibt der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten Österreichs die Auszeichnung "Wissenschafter/in des Jahres" an herausragende Forscherinnen und Forscher, die ihre Arbeit besonders verständlich der Öffentlichkeit vermitteln. Damit leisten sie nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Bildung, sondern sie steigern auch das Bewusstsein für die Bedeutung der heimischen Wissenschaft im Allgemeinen. Vergangenes Jahr wurde der Ökologe Biodiversitätsforscher Franz Essl gekürt, im Jahr davor Komplexitätsforscher Peter Klimek.
Wo ist der Gletscherschwund am bedrohlichsten?
Am abhängigsten von den Gletschern als natürliche Wasserspeicher sind die Menschen in den Trockengebieten des Himalayas und der Anden. Weil dort die Bewässerung der Felder mit Gletscherwasser durchgeführt wird. Im Himalaya haben wir noch andere bedrohliche Phänomene: Oben setzen sich Eismassen in Bewegung, auch Wasseransammlungen im Eis entleeren sich ohne Vorwarnung. Das kann ganze, ohnehin schon bitterarme Dörfer zerstören.
Auch der Meeresspiegel wird steigen.
Der Meeresspiegelanstieg ist immer ein Thema, wenn große Eismassen schmelzen – etwa in Grönland und Alaska. Und auch dort wird es irgendwann rasch gehen. Das wird ganze Küstenstriche unter Wasser setzen. Im alpinen Bereich wird es vergleichsweise sicher bleiben.
Aber dort wird Gestein labil: Werden gewisse Touren künftig tabu sein?
Bergtouren sind nie 100 Prozent risikofrei, Risikoabschätzung gehört zum Bergsteigen. Genauso wie die Entscheidung, ob man das Restrisiko eingeht. Ja, wir haben eine neue Art von Risiko durch Permafrost-induzierte Steinschläge. Das wird manche Touren zu gefährlich machen. Aber man hat auch früher Touren verhältnisabhängig geplant. Daran ändert sich nichts. Was wir brauchen werden, ist ein Permafrostmonitoring, das bei langen Warmphasen früh genug warnt – wie das bei Lawinenwarnsystemen jetzt schon der Fall ist.
➤ Mehr lesen: Wissenschaftspreis für Peter Klimek: Der Daten-Dompteur im Porträt
Viele Forschende prophezeien: Das Schmelzen der Gletscher lässt sich nicht mehr aufhalten. Schließen Sie sich an?
Es lässt sich nicht mehr aufhalten, weil es von den Emissionen der Treibhausgase der letzten 30 Jahre getrieben wird. Es ist aber möglich, dass sie sich neu bilden, wenn es gelingt, die menschgemachte Erwärmung so zu begrenzen, dass das Klimasystem der Erde nicht kippt.
Durch die Pandemie ist die Wissenschaftsskepsis in Österreich evident geworden. Wie gegenwirken?
Leider werden wissenschaftliche Erkenntnisse oft als Wissen der anzugtragenden Eliten wahrgenommen. Wenn Wissen als Keule verwendet wird, muss das auf Widerstand stoßen. Es liegt an uns, Ergebnisse unsere Arbeit zu den Menschen hinzubringen, zu Allgemeinwissen zu machen. Das ist keine einfache Aufgabe in einer Zeit, in der Fake News omnipräsent sind und oft einfache Lösungen präsentiert werden, die nicht funktionieren.
Was machen Sie eigentlich beruflich, wenn es keine Gletscher mehr gibt?
Wir bereiten gerade die Transformation unserer Messsysteme vor, weg von den Gletschern hin zu Permafrostmessstellen. Um zu beobachten, wie schnell die Vegetation die ehemaligen Gletscher erobert. Da entstehen viele eisfreie Quadratkilometer, die wir uns ansehen können. Da wird es nicht es langweilig.
Kommentare