Wie die Eisschrauber der Kletterer
"Wir verwenden für unsere Untersuchungen Kernbohrer – die können Sie sich vorstellen wie die Eisschrauber von Kletterern", erläutert Fischer. Die so gewonnenen Eisstangen kommen dann ins Labor: "Dort wird das Eis mit einem Lasergerät beschossen, sodass das Eis verdampft. Der Vorteil: Aus dem Dampf kann man wesentlich bessere Analysen gewinnen als aus geschnittenen Eisbrocken."
Mit diesem Blick in die klimatische Vergangenheit wollen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter herausfinden, welche regionalen Effekte der Klimawandel hat. "Während der vergangenen 6.000 Jahre gab es schon einmal eine Warmphase, nämlich im Mittelholozän", berichtet die Forscherin.
Wer jetzt nicht weiß, wann das Mittelholozän war, dem hilft Ötzi weiter. Der lebte nämlich am Ende dieser Periode, die vom 8. bis 4. Jahrtausend vor Christus dauerte.
Enorme Klimaschwankungen
"Die Klimaschwankungen der Nacheiszeit waren sehr groß", sagt Fischer. Daten aus dieser Zeit geben Aufschlüsse darüber, welche Folgen der Klimawandel für die Alpen haben kann. "Vieles passierte nicht linear, sondern schaukelte sich auf. Wie wir das heute von Corona-Infektionswellen kennen", erläutert die Gletscherexpertin.
Auch welche Wetterereignisse dies nach sich ziehen kann, verrät der Gletscher – so lange es ihn noch gibt. In rund zehn Jahren, so schätzen Experten, wird er nämlich nicht mehr existieren. Das zeigt auch eine aktuelle Publikation in der Fachzeitschrift Nature Scientific Reports, in der das österreichische Team um Andrea Fischer dokumentiert, dass der heute beobachtbare starke Gletscherschwund historisch ein außergewöhnliches Ereignis ist.
Bis dahin will man den Gletscher noch gut erforschen und Teile konservieren. "In 15, 20 Jahren haben wir dann hoffentlich noch bessere Analysemethoden", begründet das Fischer.
Wie ein Thermometer
Doch schon jetzt können die Forscherinnen und Forscher einiges aus dem Eis lesen. "Es ist ein Thermometer, der sich selbst installiert hat", beschreibt es Fischer. "Wir können daraus zum Beispiel sehen, wie sich die Pflanzenwelt über die Jahrtausende entwickelt hat."
Man kann in den Daten nicht nur lesen, wie sich die Temperaturen entwickelt haben, sondern auch, wann es welche Niederschläge gab. Diese interessieren Fischer besonders: "Wir wissen zwar viel über die Temperaturveränderungen, aber wenig über die Folgen für die Niederschläge. Das Gletschereis zeigt uns zudem, wie sich die Pflanzen während der 6.000 Jahre verändert haben", sagt Fischer.
Nicht nur am Gletscher
Das Forscherteam schaut sich allerdings nicht nur die Weißseespitze an: "Wir bohren auf verschiedenen Höhenlagen – und haben somit Klimaindikatoren auf verschiedenen Etagen", erläutert Fischer. "Im Gebirge können wir dadurch über großräumige Zirkulationsmuster in der Atmosphäre und damit Wetterlagen lernen.
So wurde zum Beispiel Saharasand im Eis gefunden – und man kann Daten über frühere Hoch- und Tiefdruckgebiete sammeln. "Winterniederschläge sind insbesondere für die Prognose von Lawinenhäufigkeiten wichtig", sagt Fischer, wobei sie festhält, "dass wir hier keine genauen Vorhersagen machen, sondern eine Bandbreite von möglichen Prognosen stellen – also wie oft Extremereignisse, die es früher nur alle 200 Jahre gab, in Zukunft eintreten werden."
Dieses Wissen sollte dann als Entscheidungsgrundlage dienen, wenn Infrastruktur errichtet wird und Bebauungspläne gemacht werden. Und sie ist auch wichtig für jeden Einzelnen, damit er weiß, ober er zukünftig die dicke Jacke überhaupt noch braucht.
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