Österreichs Gletscher schwinden unaufhaltsam
Österreichs Gletscher sind auch in der Periode 2019/20 weiter geschrumpft - im Schnitt um 15 Meter (2019: 14,3 Meter). 85 von 92 Gletscher haben sich zurückgezogen, nur sieben sind mit einer Längenänderung von weniger als einem Meter stationär geblieben, berichtete Gerhard Karl Lieb, Leiter des Messdienstes des Alpenvereins bei der digitalen Präsentation des "Gletscherberichts 2019/20" am Freitag.
Der unaufhaltsame Gletscherrückgang führe vor Augen, wie dringend der Schutz der hochalpinen Flächen neu definiert werden muss, betonte Alpenvereins-Vizepräsidentin Ingrid Hayek. Im Gegensatz zu CO2 oder einem Virus, den der Mensch über seine Sinneswahrnehmungen nicht begreifen könne, sei der Gletscherschwund ein sichtbares Zeichen: "Der Gletscher ist ein Symbol für den Klimawandel an sich".
Besserer Schutz dringend erforderlich
Angesichts des andauernden Gletscherschwundes seien die Gletscher aber wohl "als stille Mahnmale der klimatischen Veränderungen in ein paar Jahrzehnten nicht mehr wiederzuerkennen". Umso wichtiger sei der Schutz der umliegenden hochalpinen Regionen - also auch der Gletschervorfelder.
92 Gletscher in bundesweit zwölf Gebirgsgruppen wurden vom Gletschermessdienst des Alpenvereins im Haushaltsjahr 2019/20 beobachtet - ein "sehr guter, repräsentativer Schnitt", erklärte Lieb. In Österreich gibt es noch rund 900 Gletscher.
Mit einer Verkürzung von 104 Metern ist die größte Längenänderung am Hornkees in den Zillertaler Alpen (Tirol) gemessen worden. Vier weitere Gletscher zogen sich um mindestens 50 Meter zurück: Der Alpeinerferner (Stubaier Alpen) mit 67,2 Metern, die Pasterze (Glocknergruppe) mit 52,5 Metern, der Gepatschferner (Ötztaler Alpen) mit 51,5 Metern und das Schlatenkees (Venedigergruppe) mit 50,0 Metern.
Überdurchschnittlich geschrumpft sei auch Österreichs größter Gletscher, die Pasterze am Großglockner. Er habe zuletzt 52,5 Meter an Länge eingebüßt, berichtete Andreas Kellerer-Pirklbauer vom Institut für Geographie und Raumforschung an der Universität Graz, der gemeinsam mit Lieb den Alpenvereins-Gletschermessdienst leitet.
Die Pasterze ist einer der Gletscher, an dem auch regelmäßig die Dicke des Eises und die Gletscherbewegung gemessen wird. Im Vergleich zum Vorjahr sei die gesamte Gletscherzunge der Pasterze um durchschnittlich 6,1 Meter eingesunken – etwas mehr als in der Messperiode 2018/2019.
Schneereicher Winter reichte nicht
Trotz des verhältnismäßig schneereichen und damit gletscherfreundlichen Winters hätte der heiße Sommer den Eismassen im Beobachtungszeitraum 2019/2020 erneut stark zugesetzt, erklärte Kellerer-Pirklbauer. Obwohl die Winterniederschläge in den meisten Gebieten die langjährigen Mittel übertrafen, und große Teile der Gletscher bis Juli von Schnee bedeckt waren, sei im August und September mit bis zu plus zwei Grad Celsius über der Durchschnittstemperatur eine starke Abschmelzung zu verzeichnen, führte Kellerer-Pirklbauer aus.
Zusätzlich zu den Längenänderungen habe man "markante optische Veränderungen" registriert, die zwar in Zahlen nicht erfassbar sind, aber den Gletscherschwund untrüglich belegen: Eisfrei werdende Felsbereiche, die Zerteilung von Gletschern, großflächiger Eiszerfall, ausdünnendes Eis, Bildung von Einsturztrichtern, Anreicherung von Schutt an den Gletscheroberflächen und die Bildung neuer Seen.
Davon hätten auch die ehrenamtlichen Gletscherbeobachter berichtet, darunter 24 Gebietsverantwortliche mit über 70 Begleitern. Diese würden wesentlich zur "Stärke der Daten" beitragen, lobte Lieb und verwies auf "sehr gute lokale und glaziologische Kompetenz" der Freiwilligen. "Das vergangene Beobachtungsjahr ist ein weiteres in einer Periode drastischen Gletscherschwundes, die wohl noch lange andauern wird", zogen die beiden Fachexperten Bilanz.
Schutz für Skigebiete aufgeweicht
"Gletscherschutz bedeutet: Schutz ohne Wenn und Aber", forderte Hayek abschließend. Jetzt habe man einen "Gletscherschutz, von dem Skigebiete ausgenommen sind". Nachdem 1991 der absolute Schutz der Gletscher, der Gletschervorfelder und der Moränen in Tirol gesetzlich verankert und damit jede skitechnische Erschließung von Gletschern und ihren Einzugsgebieten verboten worden war, wurde der umfassende Schutzstatus 2004 wieder aufgehoben.
Hayek kritisierte das "Raumordnungsprogramm über den Schutz der Gletscher" von 2006, das Gebiete von skitouristischem Interesse von der Regelung ausnimmt, und die geplante Skigebietserweiterung im Kaunertal, scharf. Sie hoffte auf "Unterstützung von Politik und Tourismus" und darauf, dass man den Alpenverein nicht "als ewiger Verhinderer, sondern Bewahrer" sehen solle. "Schließlich werben wir in Österreich auch mit den wunderbaren Bildern, wir wollen ja keine Fake-Bilder in die Welt setzen", so Hayek.
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