Die kühlere Phase war dann allerdings relativ bald vorbei.
Es folgten wenig schneereiche Winter, und im Schulskikurs in Saalbach-Hinterglemm habe ich damals die ersten Schneekanonen gesehen. Solche Phasen gibt es immer wieder, das steuert die nordatlantische Oszillation. Nach dem großen Aufschwung des Wintersports in den 1970er-Jahren sind mit der Zeit auch die Ansprüche auf der Gästeseite gestiegen. Um Skifahren auf aperer Piste zu verhindern, setzte der Beschneiungsboom ein.
Und ab dem Jahr 2000 wurde es immer wärmer.
Das hat für wesentlich höhere Rückzugsraten bei den Gletschern gesorgt, als es noch in den 70ern der Fall war. Noch um 1850 waren Teile des Rettenbachtals eisbedeckt, die Straße führt kurz vor der Station über die Moräne aus dieser Zeit. Erst der Rückzug hat dann überhaupt den Skilauf ermöglicht – und auch das Leben leichter gemacht.
Inzwischen ist hinter der Station ein See entstanden.
Das ist ein typischer Vorgang. Die Zunge übertieft das Gelände, und wenn sie abschmilzt, entsteht ein See. In diesem Bereich sind zwischen 1997 und 2006 23 Meter Eisdicke verloren gegangen.
Sie haben den Gletscher wiederholt vermessen. Bis zu 89 Meter Eisdicke zeigen Ihre Daten aus dem Jahr 2007.
Es ist eine glückliche Situation: Durch das Abreißen der Gletscherzunge an der oberen Kante des Steilhangs fließt kein Eis mehr nach unten, und im oberen Bereich ist das Eis länger durch den Schnee geschützt. Je mehr Schmelzfläche verloren geht, desto günstiger ist es für den Gletscher. Und im oberen Teil hat der Rettenbachferner eine sehr schöne Beckenstruktur.
Alles bestens also für die Zukunft?
Kurz- bis mittelfristig hat sich die Situation verbessert, und oben ist die Lage relativ stabil. Die Frage ist, wie es nach 2050 weitergeht, weil erst dann der Hauptteil der Klimaerwärmung wirksam wird. Dann trennt sich die Spreu vom Weizen, dann wird’s zur Sache gehen, was die Gletscher betrifft. Für stabile Teilflächen sehe ich aber Hoffnung. Es gibt jedoch auch Szenarien, in denen nur noch zehn Prozent des heutigen Eises in den Alpen bis zum Ende des Jahrhunderts übrig bleiben werden.
Seit Jahren wird Winterschnee im Frühjahr zusammengeschoben, mit Vlies abgedeckt und im Herbst wieder auf der Piste verteilt. Wie beurteilen Sie dieses Snowfarming in Relation zur technischen Beschneiung?
Es ist die Frage, was man haben muss, es ist wie bei jedem Mon Chéri auf der Couch. Der Aufwand ist für beides gleichwertig. Pistenraupen sind nicht CO2-neutral, beim Strom für die Beschneiung kommt es auf die Art der Erzeugung an – und eine hundertprozentige Kontrolle kann es nicht geben, Strom hat kein Mascherl. Man könnte auch Lawinenkegel abdecken, es gibt viele Wege zu wirtschaftlicher Effizienz und CO2-Neutralität. Es gibt ein hohes Potenzial, um das zu managen. Umgekehrt wäre es nicht sehr schlau, nach drei Jahren ohne Schnee alles aufzugeben und die Anlagen vor sich hinrotten zu lassen. Es ist sinnvoll, vorhandene Infrastruktur aufrechtzuerhalten und dauerhafte Trassen im gletscherfreien Gelände zu schaffen, wie es auch in Sölden geschehen ist und geschieht. Denn durch die Höhenlage schmilzt der Schnee nicht so schnell.
Ist es dann besser, auf dem Gletscher skizufahren als in – sagen wir – Kitzbühel?
Vor allem geht es um die Art der Anreise und das Verhalten vor Ort. Wer mit dem Zug anreist in ein Skigebiet, das mit grünem Strom betrieben wird, wer sich dann die Ausrüstung dort ausleiht, hat sicherlich schon einiges getan in Sachen Effizienz. Auf der Couch Netflix streamen geht auch nicht klimaneutral, und auch ein Tennisplatz muss irgendwie gewartet werden. Die Art der Anreise bietet alle Möglichkeiten.
In Relation zu den Gletschern am Dachstein wirkt der Rettenbachferner noch relativ hell, wenn er aper ist.
Das mit dem Dachstein ist immer so eine Geschichte. Es gibt eine Studie des Umweltbundesamtes, die besagt, dass es sich bei dem Schmutz auf dem Eis am Schladminger Gletscher nicht um lokale Emissionen handelt, also etwa Ruß aus dem Betrieb der Pistenraupen.
Sondern?
Dieses Substrat besteht aus organischem Material. Kleinstlebewesen fressen beispielsweise abgelagerte Pollen – sie leben dort. Um das unterscheiden zu können, braucht man aber mindestens ein Mikroskop. Man konnte nicht feststellen, dass die Pistenraupen schuld sind. Wir haben auch schon einzelne Rußpartikel aus industrieller Produktion auf dem Grönlandgletscher gefunden. Und Mikroplastik in der Antarktis.
In Sölden wurde beim Bau der Gondelbahn auf die Schwarze Schneide nach der Mittelstation eine Stütze in den Gletscher gesetzt, seither hat sich dort eine Senke gebildet. Was macht das mit dem Rettenbachferner?
Man hat Eis abgetragen, um die Fundamente setzen zu können, und ein Heizpolster montiert aus Sorge, das Eis könnte die Stütze beschädigen. Nur: Die Heizung war nie eingeschaltet, weil man sie nie gebraucht hat. Die Eiswand stand dann frei und ist geschmolzen, aber der Gesamtvolumenverlust ist sehr überschaubar und es gibt auch keinen markanten Einfluss auf die Massenbilanz durch diese Stütze.
Wie stehen Sie eigentlich zur geplanten Verbindung zwischen Ötz- und Pitztaler Gletscher?
Das ist eine regionalpolitische Entscheidung. Die Frage ist: Soll der Naturraum erhalten werden oder nicht? Es ist gut, dass das politisch unter Einbeziehung aller Beteiligten entschieden wird. Klar ist aber: Ein hochgelegenes Skigebiet kann man auch ohne Gletscher betreiben.
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