Biologe Franz Essl ist Wissenschafter des Jahres 2023

Biologe Franz Essl ist Wissenschafter des Jahres 2023
Franz Essl sieht seinen Preis als Botschaft an die Politik, mehr für den Naturschutz zu tun: "Wir können etwa Lebensmittel nicht mehr in der Menge und Güte produzieren, wenn es keine Bestäuber mehr gibt."

Seine Kindheit war typisch für einen Buben vom Land: Er hat im Bach Fische gefangen, ist über die grünen Wiesen gelaufen und hat sich im Wald versteckt. So hat der Oberoberösterreicher Franz Essl schon früh die Natur erkundet: "Dabei habe ich beobachtet, wie manche Arten verschwinden."

Als er mitbekommen hat, dass eine Blumenwiese mit seltenen Pflanzen aufgeforstet werden soll, hat er den Bauern und lokale Naturschützer kontaktiert. "Ich wollte, dass die Wiese erhalten bleibt“, erinnert er sich. Und er war erfolgreich: Noch heute gibt es die Wiese.

Damals – er war gerade einmal 17 Jahre alt – wurde wohl der Grundstein für seine Arbeit gelegt. Essl ist Biologe und Artenschützer – und der Wissenschafter des Jahres 2023. Ein schönes Geburtstagsgeschenk, feiert Essl in fünf Tagen doch seinen 50. Geburtstag.

Hören Sie hier ein Interview mit Essl im Daily Podcast:

Freilandbiologe

Sein Arbeitsplatz ist nicht mehr die Wiese – "obwohl ich jahrelang Freilandbiologe war“ –  sondern die Universität. Was er da macht? "Einen durchschnittlichen Tag gibt es bei mir nicht. Neben Verpflichtungen wie Lehrveranstaltungen habe ich zum Glück viel Freiraum, um mit meinem Team Fragen, die uns interessieren, anzugehen."

Dafür nutzt er die Daten aus der Natur, die andere sammeln. Jüngstes Beispiel: "Gemeinsam mit internationalen Teams haben wir eine globale Verbreitungsdatenbank nicht einheimischer Arten zusammengestellt. Da schauen wir für jedes Land, jede Inselgruppe, wo es welche eingeschleppte Pflanzen gibt und wie sie sich ausgebreitet haben."

Hotspots dieser Neophyten, wie Biologen die eingeschleppten Arten nennen, lassen sich daraus genau so ablesen wie die Folgen der Kolonialisierung auf die Artenzusammensetzung in einem Gebiet. "Und wir können sehen, was es für die Natur bedeutet, wenn die Globalisierung weiter zunimmt."

Was Essl daran so fasziniert: "Man kann in eine Fragestellung hineinzoomen und sich mit einer spezifischen Frage auseinandersetzen und gleichzeitig das große Ganze betrachten."  

Mehr als zehn Jahre wurde die Datenbank aufgebaut. Fixe Arbeitszeiten, in denen Freizeit und Job getrennt sind, gibt es da nicht: "Das kommt mir entgegen, weil ich das, was ich tue, mit Begeisterung mache. Dass ich mich am Montag nicht aufs Wochenende freue, ist doch ein Luxus."

"Die Stimmungslage wechselt"

Aber ist es nicht bedrückend, wenn er sieht, wie so viele Arten aussterben? "Die Stimmungslage wechselt. Der Mittelwert ist schon okay", meint er nachdenklich.

Was die nächsten Jahrzehnte angeht, ist er allerdings nicht allzu optimistisch, "aber die Situation ist für mich Ansporn und Motivation, um Veränderungen anzustoßen  –  viele Einzelpersonen verändern Dinge." Schließlich habe es schon immer Krisen gegeben und manchmal seien Dinge daraus entstanden, die keiner hätte vorhersagen können, weil sich Dynamiken verändern und Prognosen anders entwickeln.

Das politische Wollen, etwas zu ändern, sieht Essl nicht im gleichen Ausmaß, wie Maßnahmen gesellschaftlich akzeptiert würden.

"Wenn ich sehe, dass in Niederösterreich für den Neubau von Straßen 450 Mio. Euro ausgegeben werden, aber für den Naturschutz nur 15 Mio., sehe ich großes Potenzial, die politischen Prioritäten neu zu justieren. Meinen Preis sehe ich da als Botschaft an die Politik."

Lebensmittel und Artenschutz

Doch warum ist das Artensterben überhaupt ein Problem? "Für uns als Biologen wäre es einfacher, wenn es weniger Arten gäbe." Seinen Humor hat Essl offensichtlich nicht verloren.

"Es ist jedenfalls ein Alarmsignal. Eine intakte Natur ist nämlich das Fundament einer Gesellschaft. Das vergessen wir oft, wenn wir im Supermarkt einkaufen. Wir können etwa Lebensmittel nicht mehr in der Menge und Güte produzieren, wenn es keine Bestäuber mehr gibt. Außerdem: Wer will schon in einer von Straßen zerfurchten und Schottergruben übersäten Landschaft leben?“

Biodiversitätsstrategie

Eine Lösung des Problems sieht er in der Biodiversitätsstrategie, die er mit ausgearbeitet hat. Ihr Ziel ist es, dass bis 2030 rund ein Drittel Österreichs als Schutzgebiet ausgewiesen wird, ein Drittel der bedrohten Arten von der Roten Liste gestrichen werden und 30 Prozent der Agrarfläche auf Bio umgestellt werden.

"Ich weiß, dass das ambitioniert ist. Doch wenn ich mich nicht anstrenge, erreiche ich auch nichts. Das ist wie im Sport - und Österreich versteht sich ja als Sportnation."

Jeder könne etwas beitragen, um die Natur zu schützen. Was genau, das haben seine zwei Töchter auf einem Zettel, der an der Wohnzimmertür seiner Wiener Wohnung hängt, aufgelistet: "Weniger Fleisch und mehr saisonal essen" zum Beispiel. Wer einen Garten hat, solle auf Gift verzichten und Sträucher setzen, in denen sich Vögel und Insekten wohlfühlen. Auch ein naturnaher Teich - ohne Goldfische - könne man in vielen Gärten anlegen. Zudem kann jeder eine NGOs unterstützen.

"Jeder sollte sich ein, zwei Themen aussuchen, die ihm ein Anliegen sind. Mehr nicht, sonst überfordert er sich."

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