Integrationsexperte Güngör: Warum Zeynap neben Lisa sitzen sollte
Kenan Güngör weiß, was es heißt, Migrant zu sein: Er wurde in Kurdistan geboren, wuchs in Deutschland auf und lebte zeitweilig in der Schweiz, bevor er nach Österreich übersiedelte. Der Soziologe ist ausgewiesener Experte für Integration. Die gelinge hierzulande sehr gut, ist er überzeugt: „Wir reden leidenschaftlich über die Probleme der Integration“, beklagt er. „Dabei gibt es bei uns keine großen ethnischen Konflikte und keine brennenden Autos. Wir leben in einer friedfertigen Gesellschaft. Das sollte man öfters betonen.“ Im Interview sagt er, was nötig ist, dass Integration weiterhin gelingt und was wir von Zuwanderern fordern können.
Güngör diskutiert am Dienstag, 12. November, bei einer Podiumsdiskussion in Tulln (siehe Infobox unten).
KURIER: Seit der Flüchtlingskrise 2015 macht Migration vielen Angst. Sie haben das Gefühl, fremd in der Heimat zu sein. Verstehen Sie das?
Bis zu einem gewissen Punkt ja. Dass wir die Kontrolle über die Grenzen verloren haben, führte zu einer tiefen Verunsicherung – zum Teil auch bei Menschen, die sich aktiv für Flüchtlinge eingesetzt haben und sagten: „Helfen wir denen“. Auch die fragen: „Aber wie viele kommen noch?“ Man wurde damals zu Zuschauern der Ereignisse und hatte das Gefühl, überrannt worden zu sein. Eine andere Sorge war, dass da Menschen aus antidemokratischen, konservativ-religiösen Gesellschaften gekommen sind – die Frage war, ob und wie sie sich hier integrieren können.
Was müssen und dürfen wir von Migranten fordern?
Man kann niemandem vorwerfen, wo er geboren und wie er sozialisiert wurde. Und Menschen legen ihr kulturelles Gepäck nicht an der Grenze ab. Daher müssen wir klar und begründet kommunizieren, was wir voneinander erwarten. Doch diese Grundwerte müssen auch glaubhaft vorgelebt werden. Wasser predigen und Wein trinken geht nicht.
Haben Sie ein Beispiel?
Frauen, die vor der Ehe Sex haben, gelten in den Herkunftsländern nicht als ehrbar. Doch viele dieser Frauen haben Geflüchteten geholfen, hier anzukommen, sich zurechtzufinden und somit sehr viel Ehrbares geleistet. Das führt bei Flüchtlingen zu Widersprüchen. Es kommt dazu, dass man die mitgebrachten Bilder hinterfragt. Die Stellung von Mann und Frau kann man in Wertekursen besprechen – aber vieles muss im Alltag erlebt werden. Je mehr Kontakte es da mit Österreichern gibt, desto besser funktioniert das.
Wie wichtig ist der Erwerb der deutschen Sprache?
Sehr. Wir sollten dem Menschen klar machen, dass Deutschkenntnisse für das Fortkommen in dieser Gesellschaft sehr wichtig sind. Wer nichts versteht und sich nicht verständlich machen kann, hat überall schlechtere Chancen – in Schule, Beruf etc.
Konservative Gruppen sind aber auf Abgrenzung aus.
Hier braucht es ein Gegenüber, das ihnen sagt: „Wir helfen dir hier. Klar, du wirst gefordert sein, aber wir erwarten, dass du nach Maßgaben deiner Möglichkeiten das Beste tust, um dich hier einzufinden. Menschen, die eine solch verbindliche Ansage erhalten, reagieren anders, als wenn sie hören: „Finde dich irgendwie zurecht.“
Wir erleben, dass sich viele ethnische Gruppen bilden.
Bis zu einem gewissen Grad braucht ein gutes Miteinander auch ein gutes Nebeneinander – mit ihrem Nachbarn sind sie ja auch nicht unbedingt befreundet.
Gibt es Studien, die zeigen, wie man Pluralität lernt?
Ja, sehr hilfreich ist es, wenn Migranten und Einheimische gemeinsam zu bewältigende Aufgabe haben. Das bindet und bringt beide Seiten näher. Insbesondere, wenn es positive Begegnungsräume gibt. Es ist nicht umsonst so, dass Vorurteile gegenüber Migranten dort am größten sind, wo kaum Migranten leben. Die wichtigsten Orte, wo man Pluralität lernt, sind Kindergarten und Schule, wo dann Zeynap neben Lisa sitzt. Deshalb sehe ich ethnische oder islamische Bildungseinrichtungen insofern es viele werden, skeptisch – ein Leben ohne Berührungspunkte fördert Benachteiligung und Animositäten.
Kenan Güngör diskutiert am Dienstag, 12. November, 18.30 Uhr mit AMS-Chef Johannes Kopf, Journalistin Corinna Milborn und weiteren Experten. Titel: „Wir und die anderen. Wie viel Vielfalt müssen wir aushalten?“. Ort: Atrium Tulln, Minoritenplatz, Anmeldung erforderlich: www.übermorgen.at
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