Kindergarten: Männliche Pädagogen dringend gesucht
Wenn Kinder Armdrücken spielen wollen, gehen sie zu Özgür Catikkas. „Ich merke, dass Buben und Mädchen bei mir etwas wilder sind als bei Kolleginnen“, erzählt der studierte Deutschlehrer, der derzeit in einem Kindergarten in Wien-Favoriten arbeitet.
Dass er das kann, ist der Bildungsorganisation Teach for Austria zu verdanken, die erstmals Hochschulabsolventen nicht nur an Schulen, sondern auch an Kindergärten vermittelt. Catikkas kann so in einen anderen Bildungsbereich hineinschnuppern, bevor er als Lehrer zu arbeiten beginnt.
Heikles Thema
Männer in Kindergärten? Seit dem Wirbel um den Verein „Original Play“, bei dessen Aktivitäten es zu Übergriffen gekommen sein soll, ist das wieder ein – heikles – Thema. Dabei sind männliche Bezugspersonen, die den Kindern mit Würde und Respekt begegnen, gut für die Entwicklung. Davon ist Cattikas überzeugt – und auch seine Kolleginnen, die ihn genauso wie die Kinder von Anfang an gut aufgenommen haben.
Dreckig, aber glücklich
Viele Mütter und Väter wären froh, wenn es mehr männliche Pädagogen in den Kindergärten geben würde. So wie Claudia Gruber: „Als meine zwei Buben noch klein waren, war mein Mann sehr viel unterwegs“, erinnert sie sich. Deshalb hat sie nach einem männlichen Babysitter Ausschau gehalten.
„Ein Glücksfall“, sagt sie. Denn der junge Mann hat mit den Kindern so gespielt, wie sie es nicht oder zumindest nicht gerne getan hätte: „Wenn die drei im Park waren, sind sie durch den Schlamm gewatet, in Pfützen gehüpft und haben gerauft. Sie kamen völlig verdreckt, aber überglücklich nach Hause.“
Coole Männer
Im Kindergarten seien Männer die Ausnahme gewesen. „Leider“, sagt Gruber. Immerhin gab es manchmal Zivildiener oder Praktikanten in der Gruppe: „Dann waren nicht nur meine Kinder überglücklich. Besonders die Buben haben sich auf sie gestürzt – es war einfach cooler, mit ihnen zu spielen.“
Claudia Grubers Erfahrungen decken sich mit dem, was Forscher in zahlreichen Studien festgestellt haben. Einer von ihnen ist Wilfried Datler vom Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien.
Spielen und toben
Datler stellt fest: „Männliche Pädagogen bieten andere Spiele an und strukturieren diese anders. Sie haben eine andere Art, mit Aggression umzugehen. Und sie spielen und toben oft wilder.“ Das klingt nach Klischee. Das weiß Datler natürlich. „Wir wissen allerdings nicht, was da Sozialisation ist, und was nicht. Doch das sind eben unsere Ergebnisse.“
Andere Rollenbilder
Manchmal erleben die Kinder, dass Männer eben nicht so sind wie Papa, Onkel oder Opa: „Weil der Kindergärtner zum Beispiel nicht langweilig, desinteressiert, abweisend oder gar aggressiv ist, lernen Kinder, zwischen Männern zu differenzieren und gegebenenfalls ihr Männer-Bild zu korrigieren.“
Stellt sich die Frage: Warum sind Männer im Kindergarten die absolute Ausnahme? Das habe viele Gründe, weiß Bernhard Koch von der Pädagogischen Hochschule Graz – etwa historische: „Frauen haben sich früh für das Berufsfeld interessiert, womit sich das Image als Frauenberuf verfestigt hat.“
Geringes Gehalt
Auch das Gehalt spiele eine Rolle: „Im Vergleich zu anderen Pädagogikberufen ist es relativ gering, was auch mit dem Ausbildungsgrad zu tun hat. Wobei es durchaus mit Berufen vergleichbar ist, bei denen man eine Matura braucht (siehe Infobox unten).“
Die Ausbildung sei auch in anderer Hinsicht ein Hindernis: Sie beginnt im Alter von 14 Jahren: „Burschen sind da in ihrer Entwicklung zum Mann-Werden. In der Zeit gilt es als uncool, in eine Schule zu gehen, die als Mädchenschule gilt. Deshalb sind an den BAfEP (Bildungsanstalt für Elementarpädagogik) nur vier Prozent Männer. In den Kollegs, die nach der Matura beginnen, sind es immerhin zehn Prozent.“
Unter Verdacht
Und natürlich spielt auch der Missbrauchsverdacht eine Rolle, unter dem Männer generell stehen: „Das gilt nicht nur für Pädagogen, auch Väter erleben das“, gibt Bernhard Koch zu bedenken. Für ihn ist es eine große Tragik, dass dadurch der Blick darauf verloren geht, wie sehr Kinder von Männern profitieren können.
Mutter Claudia Gruber sieht das genauso: „Es ist nicht fair, Männern pauschal das Schlimmste zu unterstellen. Da muss sich etwas in unseren Köpfen ändern.“ Zumal es ja auch – vor allem psychischen – Missbrauch durch weibliche Pädagoginnen gebe. Man denke nur an die Kindergärtnerin, die die Kinder in einen Raum eingeschlossen hat.
Werbekampagnen
Wie kann man aber junge Männer motivieren, den Beruf zu ergreifen? „In Skandinavien gab es Kampagnen, die sich direkt an Männer wandten“, erzählt Koch. Zudem müsse man den Beruf attraktiver machen – nicht nur finanziell: „Da geht es um Wertschätzung und darum, den Beruf mit dem anzureichern, was viele mit Männlichkeit verbinden.“ Wie das wirkt, zeige sich in Norwegen. Dort arbeiten in Waldkindergärten doppelt so viel Männer wie in anderen Einrichtungen.
Erst Spepsis, dann Akzeptanz
Noch sind Männer also die Ausnahme, wie Susanna Haas, pädagogische Leiterin der St. Nikolausstiftung (Wiener Pfarrkindergärten), bestätigt: „Vor ein paar Jahren gab es noch vermehrt Reaktionen von Eltern, die nicht wollten, dass ihr Kind von einem Pädagogen betreut wird.“ Heute ist das nicht mehr so. „Sicher, wenn an einem Standort das erste Mal ein Mann eingesetzt ist, braucht es die Auseinandersetzung mit dem Thema. Dort, wo schon welche arbeiten, hat es Veränderungen und auch Akzeptanz gebracht.“
Am Ende gelte für Männer jedenfalls das gleiche wie für Frauen im Kindergarten: „Es geht darum, wie man mit dem Kind umgeht. Auch bei der Frage, wie viel Distanz und wie viel Nähe erlaubt ist. Hier ist das oberste Gebot, dass das Bedürfnis des Kindes Ausgangspunkt für unsere Handlungen ist, zum Beispiel wie es getröstet wird, ob es dabei zum Beispiel in den Arm genommen werden will.“
Seltenheit Nur knapp zwei Prozent der Pädagogen in österreichischen Kindergärten sind männlich. Den weltweit höchsten Anteil hat Norwegen mit 10 Prozent – in den Naturkindergärten sind es dort 20 Prozent.
Ausbildung Die Bundesanstalten für Elementarpädagogik (BAfEP) ist eine fünfjährige Schule, die mit der Matura endet. Maturanten können sich in einem zweijährigen Kolleg ausbilden lassen.
Gehalt Das kollektivvertragliche Einstiegsgehalt liegt bei ca. 2.100 Euro brutto, am Ende der Berufslaufbahn können Kindergartenpädagogen 3.500 Euro brutto verdienen.Wobei es regionale Unterschiede gibt und auch davon abhängt, bei welchem Träger man angestellt ist.
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