Neue Infektions-Landkarte: Noch ist unsere Corona-Ampel auf Grün
Ein Griechenland-Urlaub ist relativ sicher: 0,2 positiv Getestete pro 10.000 Einwohner seit 15.6. – alles im grünen Bereich. Bei Kroatien sind es 1,1 positiv getestete – ab 1 springt die Ampel auf Gelb. Kein Vergleich zu Schweden (15,2 positiv Getestete pro 10.000 Einwohner): Hier zeigt die Ampel Rot.
Johannes Sorger und Wolfgang Knecht vom Complexity Science Hub (CSH) Vienna (einer von mehreren Unis gegründeten Forschungseinrichtung) entwickelten dieses System, das die Zahl der positiv Getesteten im Vergleich der vergangenen 14 Tage zeigt – weltweit (vis.csh.ac.at/corona-ampel/world) und für Österreich auf Bezirksebene (vis.csh.ac.at/corona-ampel). "Zwischen grünen Ländern ist reisen ok", sagt CSH-Leiter und Komplexitätsforscher Stefan Thurner. "Aber wenn ein Land gelb ist ist es schon sinnvoll, über eine Reise nachzudenken." In Länder mit einer roten Ampel sollte man nicht fahren. Das sind etwa die USA, Brasilien oder eben Schweden.
Die internationalen Daten kommen von der Johns Hopkins-Universität in Baltimore (USA), die Daten aus Österreich stehen auf Bezirksebene von den österreichischen Behörden zur Verfügung.
Österreich gesamt ist mit einem Wert von 0,7 grün. Wien, St. Pölten, der Bezirk Neunkirchen und der Großraum von Linz und Wels sind gelb. "In Österreich ist es zu früh, von einer zweiten Welle zu sprechen, aber in einigen Nachbarländern, etwa in der Slowakei, Slowenien oder Tschechien sehe ich, dass diese beginnt."
Wobei es dabei besonders um die Dynamik des Anstiegs geht: Auch diesen sieht man in den neuen Karten des CSH Vienna sehr gut. Bei Brasilien oder den USA etwa steigen die Kurven mit den positiv Getesteten der vergangenen 14 Tage steil nach oben - und das sind nicht die einzigen Länder. Auch in Europa gibt es steile Anstiege, am Balkan etwa, etwa in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Serbien. Nahezu am gesamten Balkan sei das Bild ziemlich ähnlich.
Thurner: "Für die Planung von Reisen bietet das eine gute Orientierung und liefert zusätzliche und genauere Informationen in Ergänzung zu den offiziellen Reisewarnungen."
Gelassen, aber wachsam
Die gestiegenen Neuinfektionen werden weder im Kanzleramt noch im Gesundheitsministerium als großes Problem betrachtet – noch nicht. Die von Sebastian Kurz vor einiger Zeit im KURIER deponierte Warnung, wonach man bei einer dreistelligen Zahl über Verschärfungen nachdenken müsse, bleibt bestehen. Allerdings heißt es in seinem Umfeld, dass die Zahl alleine nicht entscheidend sei für die Strategie.
Wesentlich sei die Qualität der Cluster und Verbreitungslinien. Was ist damit gemeint? So lange das Containment funktioniere und man die Identität möglicher Neuinfizierter schnell lokalisieren könne, sei die leicht ansteigende Zahl an Neuinfektionen kein Problem.
"Für uns macht es einen großen Unterschied, ob wir regionale und eingrenzbare Cluster haben – oder nicht", sagt ein Berater des Kanzlers. "Wenn Infektionen lokal auf ein Feuerwehrfest oder eine Party begrenzt werden können, ist die Zahl der Neuinfizierten anders zu bewerten, als wenn es sich um einen Cluster in einem Ballungsraum handelt, wo sich Infizierte schnell in alle Windrichtungen zerstreuen und die Infektionskette schwerer unterbrochen werden kann."
Sowohl im Büro von Rudolf Anschober als auch im Kanzleramt wird betont, dass man die Situation sehr genau beobachtet und – notfalls mit Kampagnen – darauf hinweist, dass die Pandemie längst nicht überwunden sei. Solcherart bleibt man dabei, was der Regierungschef ventiliert hat: "Es kann gut sein, dass wir die Schutzmasken später wieder einmal brauchen."
Sport
Kontaktsport ist unter Vorlage eines Covid-Schutzkonzepts ab 1. Juli wieder erlaubt.
Gastronomie
Auch die Maskenpflicht für Personal fällt. Selbstbedienungsbuffets müssen unter Auflagen betrieben, Gäste nicht mehr platziert werden.
Veranstaltungen
Indoor-Events mit 250 und Outdoor-Events mit 500 fixen Sitzplätzen sind möglich, ohne Platzvergabe ist die Gästezahl auf 100 begrenzt. Bei geschlossenen Gesellschaften gibt es keine Sperrstunde mehr.
Wenig Freiwilligkeit
Infektiologe Herwig Kollaritsch betrachtet die Entwicklungen unterdessen "mit ziemlicher Sorge", wie er betont. "Weil das, was wir an Ansteckungsgeschehen beobachten – eine Zunahme der Neuinfektionen, aber kein extremes Ansteigen der Kurve – schon Ausdruck der ersten Öffnung des Landes von vor drei bis vier Wochen ist." Wie sich die weiteren Lockerungsschritte auswirken werden, "können wir noch gar nicht abschätzen".
Er befürchtet, dass damit die Bereitschaft der Menschen, sich freiwillig und mit Augenmaß an Schutzregeln zu halten, weiter sinken wird. Schon jetzt könne man beobachten, "dass viele zum Beispiel die Abstandsregel komplett vernachlässigen".
Das Verhalten der Menschen sei grundsätzlich eine "normale Dynamik", schildert Psychologe John Haas. "Wir sind schnell von der Sorgsamkeit wieder zur Sorglosigkeit übergegangen. Alles, was an Verhaltensweisen der Normalität von vor der Pandemie nicht entspricht, wird nur dann ausgeübt, wenn die Bedrohung real oder groß genug erscheint. Denn Veränderungen von Gewohnheiten bergen immer das unschöne Gefühl von Freiheitsverlust und jeder strebt derzeit natürlich wieder in Richtung der Verbessrung seines Wohlbefindens." Zwar könnte diese Sorglosigkeit in einer etwaigen zweiten Welle revidiert werden, "aber die Umstellung wird enorm viel schwerer fallen".
Kollaritsch, der Mitglied der Coronavirus-Taskforce des Gesundheitsministeriums ist, appelliert jedenfalls an die Eigenverantwortung: "Die Zahl der Covid-Patienten ist gesunken, weil wir vorsichtig waren. Wenn wir nachlassen, kann das Virus erstarken." Seine tückische Natur habe SARS-CoV-2 keineswegs abgestreift. "Und weil der Erreger weiter in der Bevölkerung zirkuliert, wird jede grobe Unbedachtheit bestraft."
Das zeigt sich an den neuen Clustern. Mit Skepsis betrachtet der Infektiologe Situationen, wo viele Personen auf engem Raum zusammenkommen, egal ob drinnen oder an der frischen Luft. Noch sei die Situation aber beherrschbar. "Unsere Gesundheitsbehörden sind, was die Rückverfolgung der Infektionsketten und die Isolation betrifft, gut gewappnet. Aber es gibt Kapazitätsgrenzen, die nicht erreicht werden sollten."
Nachdenklich stimmt Kollaritsch das alltägliche Kontaktverhalten der Menschen: "Die Bussi-Bussi-Kultur, das Händeschütteln und Umarmen sind im Hinblick auf das Virus nach wie vor brisant." Dass sich viele weigern, den Mund-Nasen-Schutz im vollgestopften Supermarkt oder vollbesetzten Lokal aufzusetzen, kann er nicht verstehen: "Wenn dichtes Gedränge herrscht, müsste es doch einleuchtend sein, diesen automatisch aufzusetzen."
Was er für das Worst-Case-Szenario hält? „Wenn an vielen Orten Infektionen auftreten, die wie im März nicht eindeutig zuordenbar sind und wir uns gleichzeitig bei der täglichen Ansteckungszahl im dreistelligen Bereich bewegen“. Dass das Virus wieder unkontrolliert streut und sich die Infektionszahlen vervielfachen, müsse verhindert werden: "Denn dann haben wir die Schlacht der vergangenen Monate verloren. Die vielen Opfer, die jeder gebracht hat, wären umsonst."
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