Zweite Welle: Trifft uns Corona bald mit voller Wucht?

Zweite Welle: Trifft uns Corona bald mit voller Wucht?
Forscher haben drei Szenarien zum Pandemieverlauf entworfen. Mit dem Verschwinden von Covid-19 rechnen sie in frühestens 18 Monaten.

Vielfach wurde in den vergangenen Wochen der "unmögliche Blick in die Kristallkugel" angesprochen. In Ermangelung einer besseren Umschreibung dafür, dass so vieles in dieser Corona-Pandemie noch ungewiss ist, bedienten sich Experten der Floskel. Eines der größten Fragezeichen hält sich in der Debatte um eine mögliche zweite (oder gar dritte) Infektionswelle hartnäckig.

Experten um Michael Osterholm, Leiter des Center for Infectious Disease Research and Policy, eine der wichtigsten infektionsmedizinischen und epidemiologischen Institutionen der USA, wagten nun diesen schwierigen Blick in die Zukunft. Basierend auf dem Wissen über das neue Virus und vergangene Influenza-Pandemien, etwa der Spanischen Grippe (1918-1920) oder der Schweingrippe (2009/2010), haben die Forscher drei Szenarien zum Pandemieverlauf entworfen.

Mit dem Verschwinden von Covid-19 rechnen sie in frühestens 18 Monaten.

Zweite Welle: Trifft uns Corona bald mit voller Wucht?

Szenario 1

Zweite Welle: Trifft uns Corona bald mit voller Wucht?

Szenario 2

Zweite Welle: Trifft uns Corona bald mit voller Wucht?

Szenario 3

Am plausibelsten erscheint den Experten ein Szenario, bei dem auf die erste Welle mehrere mäßige Wellen folgen könnten (das "Szenario eins") Auch in diesem Fall müsste es Pläne geben, welche Eindämmungsmaßnahmen erneut durchgesetzt werden müssen.

"Künftig besser dosieren"

Andreas Sönnichsen, Leiter der Abteilung für Allgemeinmedizin an der MedUni Wien, mahnt, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen: "Die Strategie kann nicht sein, wieder alles zuzumachen. Was wir mittlerweile wissen ist, dass man frühzeitig reagieren muss. Bei rigorosen Maßnahmen müsste man aber künftig besser dosieren – etwa einschneidende Maßnahmen auf Hotspots beschränken." Gartlehner hält noch ein weiteres Szenario für möglich. "Es könnte sein, dass wir einfach mit SARS-CoV-2 zu leben lernen. Dass es zusätzlich zur saisonalen Grippe auch Covid-19-Wellen geben wird, gegen die wir uns hoffentlich irgendwann impfen lassen können – und das dann auch der Großteil der Bevölkerung tut."

Wie kann man neuerlichen Ansteckungswellen effektiv vorbeugen? "Abgesehen davon, dass wir das Glück brauchen, damit keine Mutation passiert, müssen die Behörden die Lage intensiv beobachten, so wie das derzeit schon der Fall ist." Das bedeute die Überwachung der Infektionszahlen, aber auch das Aufspüren neuer Ausbrüche. "Man muss aktiv testen und schnell reagieren, die betroffenen Menschen isolieren, sämtliche Kontakte möglichst lückenlos ermitteln." Auch den Reproduktionsfaktor, also wie viele Personen ein Infizierter ansteckt, müsse man im Auge behalten, "solange keine Herdenimmunität die Ausbreitung bremst".

Für die Bevölkerung haben unterdessen das Tragen von Masken, die Einhaltung der Abstandsregel sowie konsequente Handhygiene oberste Priorität, wie Virologin Monika Redlberger-Fritz von der MedUni Wien in einer Pressekonferenz zu Wochenbeginn erklärte. "Wenn das gut einhalten wird, haben wir eine sehr gute Ausgangsposition, dass die Lockerungen weiter beibehalten werden können. Wir dürfen nur nicht nachlassen."

In der Debatte um das Abflauen der Pandemie wird auch der Faktor Jahreszeit ins Treffen geführt. Zum einen, weil die Menschen in den Sommermonaten sich verstärkt im Freien aufhalten – die Ansteckungsgefahr ist dort geringer. "Bei der Rolle der Temperatur und des UV-Lichts ist die Datenlage nicht eindeutig. Stutzig macht mich, dass sich das Virus etwa im Corona-Hotspot Florida rasch ausbreiten konnte. Dort hat es im März Temperaturen wie beim uns im Sommer", sagt Gartlehner.

Die Hoffnung auf einen Sommerurlaub im Ausland haben viele nach wie vor nicht aufgegeben. Uneingeschränkter Reiseverkehr – vor allem per Flugzeug – könnte neue Ansteckungsherde begünstigen. Studien zum SARS-Virus belegten, dass infizierte Reisende im Flugzeug jemand in den drei Reihen vor sowie hinter ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit ansteckten. Gartlehner: "Das Flugzeug ist ein günstiger Ort für das Virus, weil viele Menschen über einen längeren Zeitraum auf engem Raum zusammen sind." Auch auf Großereignisse, Konzerte, Disco-Besuche oder Musikfestivals wird für längere Zeit verzichtet werden müssen, glaubt der Epidemiologe. "Die größte Gefahr geht von solchen Großevents aus, viel stärker noch als etwa von Schulen, die keine nennenswerte Rolle bei der Ausbreitung spielen dürften. Wenngleich auch dort verschärfte Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln geboten sind."

Anleihen bei Grippe-Pandemie

Für die Erstellung der drei Beispielverläufe wurden übrigens Anleihen bei früheren Grippe-Pandemien genommen. Das hält Gartlehner für sinnvoll: "Das neuartige Coronavirus und Influenzaviren haben Gemeinsamkeiten." Etwa, dass es in der Bevölkerung keinerlei Immunität gegen ein neues Virus gibt, die Übertragung meist über Tröpfchen stattfindet und auch symptomlose Erkrankte ansteckend sind. Doch es gebe laut Gartlehner auch Unterschiede, wie die Autoren ebenfalls betonen: Die Inkubationszeit, also die Zeitspanne von der Ansteckung bis zu ersten Symptomen, ist bei Covid-19 länger als bei Influenzaerkrankungen. Der Anteil der Erkrankten ohne Symptome ist beim Coronavirus größer – was die Ausbreitung begünstigt.

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