Medizin-Nobelpreis: Was die Neandertaler und Covid-19 verbindet
September 2020: Noch gibt es keine Impfung gegen Covid-19, auch keine spezifische Therapie, da sorgt eine Erkenntnis eines Teams um Svante Pääbo für Aufsehen: Wer Träger einer speziellen Gen-Variante ist, dessen Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 ist um das Dreifache erhöht. Diese Genvariante hat der moderne Mensch geerbt – von den Neandertalern.
Dass man dies heute weiß, ist ein Verdienst des gebürtigen Schweden Svante Pääbo, dem heurigen Nobelpreisträger für Medizin. Denn er hat „etwas scheinbar Unmögliches“ geschafft, wie das Nobelkomitee festhält: „Die Entschlüsselung des Genoms des Neandertalers, eines ausgestorbenen Verwandten des heutigen Menschen.“
Damit nicht genug: Er identifizierte eine bis dahin unbekannte weitere ausgestorbene Menschenart, den Denisova-Menschen.
Pääbo wies nach, dass sich das Erbgut der Neandertaler so deutlich vom Erbgut heutiger Menschen unterscheidet, dass diese nicht unsere direkten Vorfahren sein können. Und zumindest ihr Erbgut ist nicht komplett ausgestorben: Denn Pääbo konnte belegen, dass vor rund 50.000 Jahren moderne Menschen mit Neandertalern und Denisova-Menschen zusammentrafen und Nachwuchs zeugten.
Fazit: 1 bis 2 Prozent des Erbguts von Europäern stammt von Neandertalern, Ostasiaten tragen 1 bis 6 Prozent Erbgut von Denisova-Menschen.
„Svante Pääbo hat Großes geleistet, er hat eine Disziplin gegründet, die neuartige Erkenntnisse gebracht hat“, meint etwa Philipp Mitteröcker vom Department für Evolutionsbiologie der Universität Wien. Diese Disziplin heißt Paläogenetik – die Erforschung prähistorischer Arten anhand ihres Erbguts. Aus irgendwelchen fossilen Knochen Erkenntnisse herauszufiltern, das sei bis vor 30 Jahren undenkbar gewesen.
Pionierarbeit
Als Pääbo 1997 nach Leipzig an das neu gegründete Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie wechselte, war er alleine auf weiter Flur. Sein Eva-Institut ist bis heute die Hochburg der Paläogenetik: Hier wurde entdeckt, dass ein wenig Neandertaler in jedem von uns steckt, hier wurde der Denisova-Mensch dem Vergessen entrissen. Was seine Gruppe dazu brauchte? Ein winziges Stück Fingerknochen. Mehr Denisova-Fossilien hatte man damals nicht.
„Mittlerweile gibt es weltweit viele derartige Forschungsgruppen, eine große etwa in Harvard. Die Universität Wien hat ebenfalls eine“, berichtet Mitteröcker. „Pääbo hat dieses Feld gegründet und zu Recht machen es ihm jetzt viele gleich.“ So gesehen sei sein Verdienst für das Fach der Anthropologie „sehr groß, ein wesentlicher Teil der modernen Anthropologie und Evolutionsforschung beruht auf Paläogenetik. Auch Fragen nach Vermischung moderner Menschen mit Neandertalern oder Denisova-Mensch kann man nur mit Genetik lösen, das lässt sich alleine aus fossilen Knochen nicht ernsthaft abschätzen.“
Aber warum gibt es für solche Erkenntnisse den Medizin-Nobelpreis?
Die Nobelpreis-Jury hat eine klare Antwort: „Dieser uralte Genfluss zum heutigen Menschen hat auch aktuell physiologische Relevanz und wirkt sich etwa darauf aus, wie unser Immunsystem auf Infektionen reagiert.“ So fand das Team um Pääbo 2021 auch eine Neandertaler-Genvariante, die das Risiko für schwere Covid-Verläufe mildert – wichtige Erkenntnisse, die Aufschlüsse über das Immunsystem liefern.
Rein theoretisch wären ja noch ganz andere Forschungen möglich: „Pääbo hat ja das gesamte Neandertaler-Genom sequenziert. Wir haben den gesamten Code!“, sagt der Anthropologe Gerhard Weber begeistert. „Hätten wir nicht ethische Bedenken, könnten wir einen Neandertaler machen.“
Kommentare