Herbstwelle: Wissenschafter beobachten diese 4 Varianten
"Im kommenden Spätherbst und Winter ist es wahrscheinlich, dass eine weitere Variante auftaucht", prognostiziert Anthony Fauci, Pandemie-Berater von US-Präsident Joe Biden. Er rechnet mit einem Anstieg der Covid-19-Fälle in den USA, in zahlreichen Ländern Europas wie in Österreich zeichnet sich bereits jetzt eine Herbstwelle ab.
Allerdings wird diese Welle noch nicht von neuen Varianten angeheizt - ein verstärktes Auftreten neuer Varianten zeichnet sich für Österreich laut Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften noch nicht ab.
Besorgniserregende Varianten wie Alpha, Delta und Omikron wurden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Buchstaben des griechischen Alphabets versehen. Die verschiedenen Untervarianten des Omikron-Stammes werden jedoch nicht mit Buchstaben, sondern mit alphanumerischen Zeichen versehen, die im Laufe der Zeit immer komplexer geworden sind. Vergleichbar mit einem Baum, aus dem immer mehr Äste ragen.
So dominiert in Österreich die Omikron-Variante BA.5, die aus BA.2 entstanden ist, noch immer das Infektionsgeschehen - nur fünf Prozent aller Sequenzierungen entfallen auf andere Varianten als BA.5. Neben der Auswertung von PCR-Tests dient das Abwassermonitoring zur Überwachung der Verbreitung von SARS-CoV-2 in Österreich.
Die WHO verfolgt rund 200 Omikron-Linien und warnt davor, dass neue Varianten möglicherweise nicht entdeckt werden, da weltweit weniger getestet und sequenziert wird.
Tatsächlich gehören alle aktuellen Kandidaten, die das Potenzial haben, BA.5 abzulösen, zur Omikron-Familie. Die vier Omikron-Subvarianten BA.4.6, BA.2.75.2., BQ.1.1 und BF.7 haben Veränderungen "an einem halben Dutzend Schlüsselstellen im viralen Genom, die beeinflussen, wie gut neutralisierende Antikörper aus der Impfung und einer früheren Infektion an das Virus binden", erklärte der Evolutionsbiologe Jesse Bloom vom Fred Hutchinson Krebsforschungsinstitut in Seattle gegenüber Science. Was wir bisher wissen:
BA.4.6
In den USA ist mit BA.4.6 ein Subtyp von BA.4 auf dem Vormarsch: Mit einem Anteil von rund 13 Prozent ist diese Variante bereits der zweithäufigste Stamm nach BA.5 in den USA, Tendenz steigend. Auch im Vereinigten Königreich entfallen rund zehn Prozent der Fälle auf diese Variante.
Es ist nicht ganz klar, wie BA.4.6 entstanden ist, aber es ist möglich, dass es sich um eine rekombinante Variante handelt. Eine Rekombination findet statt, wenn zwei verschiedene Varianten von SARS-CoV-2 dieselbe Person zur gleichen Zeit infizieren.
BA.4.6 ähnelt BA.4, trägt aber eine Mutation des Spike-Proteins, eines Proteins auf der Oberfläche des Virus, das es ihm ermöglicht, in unsere Zellen einzudringen. Diese Mutation, R346T, wurde bereits bei anderen Varianten beobachtet und steht in Zusammenhang mit der Immunumgehung: Sie hilft dem Virus, Antikörpern zu entgehen, die es durch Impfungen und frühere Infektionen erworben hat.
Die Universität Oxford berichtete, dass Personen, die drei Dosen des ursprünglichen Covid-19-Impfstoffs von Biontech/Pfizer erhalten hatten, weniger Antikörper als Reaktion auf BA.4.6 produzierten als auf BA.4 oder BA.5. Das deutet daraufhin, dass Impfstoffe gegen BA.4.6 weniger wirksam sein könnten. Allerdings enthalten die neuen, bivalenten Impfstoffe die Stämme von BA.1 oder BA.4/BA.5 und könnten als Auffrischung besser vor BA.4.6 schützen.
BA.2.75.2
Der Genetiker Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften bezeichnete vergangene Woche die steigenden Zahlen als "Nachschlag der BA.5-Welle". Die Chance, dass auch kommende Wellen - ein aussichtsreicher Kandidat als Antreiber der nächsten sei der BA.2.75.2-Typ - von einem Omikron-Subtyp getragen werden, sei aus heutiger Sicht eher hoch.
Bei dieser Variante handelt es sich im genetischen Coronavirus-Stammbaum um einen Nachfahren von BA.2.75 bzw. BA.2.
"Derjenige, der uns in letzter Zeit am meisten Sorgen bereitet hat, ist BA.2.75.2", befürchtet auch der Virologe Benjamin Pinsky von der Universität Stanford im Interview mit der LA Times. Die Sorge bei BA.2.75.2 ist, dass unsere Antikörper - ob sie nun durch eine Impfung oder Infektion entstanden sind - weniger in der Lage sein könnten, diese neue Untervariante zu erkennen und eine Infektion abzuwehren.
In einer Studie mit zufällig ausgewählten Blutspendern in Schweden - der KURIER berichtete - kam heraus, dass Coronavirus-Antikörper BA.275.2 deutlich schlechter bekämpfen können als bisherige Untervarianten. Zudem zeigte die Studie, dass der monoklonale Antikörper Evusheld weniger wirksam gegen BA.2.75.2 ist, um eine Infektion mit dem Coronavirus zu verhindern. Bebtelovimab war jedoch weiterhin wirksam.
Der weltbekannte Mediziner Eric Topol, Direktor des Scripps Research Translational Institute in La Jolla, über BA.2.75.2 und BQ.1.1: "Sie haben die extremste Immunflucht, die bisher beobachtet wurde." Und, dass sie geschickter sind als BA.5 - die derzeit dominierende Omikron-Subvariante - "ist keine gute Sache".
BQ.1.1
Wie Topol machte der deutsche Biologe Cornelius Römer diesen Montag via Twitter auf die Variante BQ.1.1 aufmerksam: "Es scheint ziemlich klar, dass BQ.1.1 noch vor Ende November eine Variantenwelle in Europa und Nordamerika antreiben wird. Ihr relativer Anteil hat sich jede Woche mehr als verdoppelt: Es hat nur 19 Tage gedauert, um von fünf Sequenzierungen auf 200 Sequenzierungen anzuwachsen", so der Wissenschafter von der Universität Basel, der zu viraler Evolution forscht.
Für den Experten sieht es so aus, als wäre der Wachstumsvorteil von BQ.1.1 weniger drastisch im Vergleich zu Omikron auf Delta, aber durchaus vergleichbar mit Delta-, BA.2- und BA.4/5-Wellen. Auch wenn diese Variante schneller wächst als BA.2.75.2, könnte diese Variante in Kombination mit anderen Varianten für eine weitere Dynamik in der Herbstwelle sorgen.
Einem Briefing der britischen Gesundheitsbehörde zufolge deuten erste Schätzungen darauf hin, dass BA.4.6 in England einen relativen Fitnessvorteil von 6,55 Prozent gegenüber BA.5 hat. Dies deutet darauf hin, dass sich BA.4.6 in den frühen Phasen der Infektion schneller vermehrt und eine höhere Wachstumsrate als BA.5 aufweist.
BF.7
Wenig hat man bisher über BF.7 gehört (auch bekannt als BA.5.2.1.7): Der Nachfahre von BA.5. macht in Belgien schon ein Viertel der nachgewiesenen Fälle aus, in Deutschland, Dänemark und Frankreich rund zehn Prozent (was dem weltweiten Durchschnittswert entspricht).
Peter Chin-Hong, Experte für Infektionskrankheiten an der UC San Francisco in der LA Times: "Es scheint so, als ob BF.7 im Moment einige Beine hat. Die Tatsache, dass dieses Enkelkind des ursprünglichen Omikron-Stammes zunimmt, bedeutet, dass es wahrscheinlich in der Lage ist, sich der Immunität zu entziehen, da sich bereits viele Menschen in Europa mit BA.5 infiziert haben."
Möglicherweise zählt diese Variante zu jenen, die Genesene erneut infizieren können, die sich erst kürzlich erholt haben: Bei Menschen mit höherem Risiko muss das Immunsystem häufiger durch Auffrischungsimpfungen gestärkt werden, damit sie besser geschützt sind. Ihr Immunsystem "ist träger. Sie brauchen definitiv mehr Ermahnungen", so Chin-Hong.
Für den Virologen Thomas Peacock vom Imperial College London ist es möglich, "dass eine Herbst-Winterwelle durch eine Mischung von Varianten angetrieben wird", wie er der britischen Zeitung The Guardian sagte. Ähnlich argumentiert der österreichische Genetiker Ulrich Elling für den Spätherbst in Österreich.
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