Hoffnung: Medikament kann Coronavirus gegen sich selbst richten
"Das ist unsere Rache an dem Virus" - mit Ironie erklären die Wissenschafter des renommierten US-Instituts Scripps Research in Kalifornien ihren Forschungserfolg. "Das Tolle an diesem Medikament ist, dass wir das Virus tatsächlich gegen sich selbst richten können", sagt der Studien-Hauptautor Stuart Lipton. "Wir rüsten es mit kleinen molekularen Sprengköpfen aus, die es daran hindern, unsere Zellen zu infizieren. Das ist unsere Rache am Virus."
Bereits vor der Coronavirus-Pandemie hatten Lipton und seine Kollegen Varianten des Medikaments Memantin untersucht, das Lipton in den Neunzigern zur Behandlung neurologischer Krankheiten wie Alzheimer entwickelt und patentiert hat lassen.
Memantin war ursprünglich ein Grippemittel, das in den Sechzigern eingesetzt wurde. Später wurde es weiterentwickelt, als Mediziner bemerkten, dass sich die Symptome einer Frau mit Parkinson gebessert hatten, weil sie das Medikament gegen die Grippe einnahm.
Das Medikament NMT5, das am 29. September 2022 im Fachmagazin Nature Chemical Biology beschrieben wurde, beschichtet SARS-CoV-2 mit Chemikalien, die den menschlichen ACE2-Rezeptor - das Molekül, an dem sich das Virus normalerweise festhält, um Zellen zu infizieren - vorübergehend verändern können. (Hier können Sie die Studie auf Englisch nachlesen.)
So funktioniert das neue Medikament
Das heißt, wenn das Virus andocken will, ist sein Weg in die menschlichen Zellen über den ACE2-Rezeptor blockiert. In Abwesenheit des Virus kann das ACE2 jedoch wie gewohnt funktionieren.
"Das Schöne daran ist, dass die Verfügbarkeit von ACE2 nur lokal reduziert wird, wenn das Virus es angreift", sagt Lipton im Interview mit der Wissenschafts-Plattform phys.org. "Es schaltet nicht die gesamte Funktion von ACE2 an anderen Stellen im Körper aus, so dass die normale Funktion dieses Proteins erhalten bleibt."
Lipton und sein Team testeten zahlreiche Verbindungen, die in ihrer Gesamtstruktur dem Memantin ähneln, aber mit zusätzlichen pharmakologischen Sprengköpfen versehen sind. Sie stellten fest, dass der Wirkstoffkandidat mit der Bezeichnung NMT5 zwei Schlüsseleigenschaften aufweist: Es kann kleine Lücken auf der Oberfläche von SARS-CoV-2 erkennen und sich daran anlagern und es kann das menschliche ACE2 chemisch modifizieren, indem es ein Fragment einer Chemikalie ähnlich wie Nitroglycerin als Sprengkopf verwendet.
Das verwandelt das Virus in ein Transportmittel für sein eigenes Ableben.
Erfolgreiche Tierversuche
Bisher wurde NMT5 nur in isolierten Zellen von Tieren getestet: Sie konnten zeigen, dass sich die Struktur von NMT5 vorübergehend - für etwa zwölf Stunden - verändern kann, so dass das Coronavirus keine Infektion verursachen kann.
In Zellkultur-Experimenten verhinderte das Medikament 95 Prozent der Virusbindung im Fall von Omikron. Bei Hamstern, die an Covid-19 erkrankt waren, verringerte NMT5 die Virusmenge um das 100-fache, beseitigte die Schädigung der Blutgefäße in der Lunge der Tiere und linderte die Entzündung. Das Medikament wirkte auch bei Alpha-, Beta-, Gamma- und Delta-Virusstämme.
"Wir gehen davon aus, dass dieser Wirkstoff auch dann noch wirksam ist, wenn neue Varianten auftauchen, weil er nicht auf Teile des Virus angewiesen ist, die häufig mutieren", sagt Chang-Ki Oh, ein leitender Wissenschaftler und Erstautor der neuen Studie.
Das Team stellt jetzt eine Version des Medikaments her, um es für den Einsatz beim Menschen zu testen, während weitere Sicherheits- und Wirksamkeitsstudien an Tieren durchführt werden, wie phys.org berichtet.
Die Wissenschafter des Scripps Research Instituts haben ein Video veröffentlicht, wie das Medikament funktioniert:
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