Neue Untervariante BA.2.75.2 zeigt die bisher stärkste Immunflucht
Nach dem Urtyp des Coronavirus setzte sich Alpha durch, daraufhin folgte Delta, dann Omikron BA.1 und BA.2 und schließlich sorgte BA.5 für eine Welle in Österreich und auch weltweit.
Noch zeichnet sich nicht ab, ob eine der neu auftretenden Varianten namens BA.2.75.2 oder BJ.1 die derzeit auch in Österreich dominante Variante BA.5 verdrängen könnte: Wird BA.5 nicht verdrängt, dann könne man, so die Hoffnung von Experten, mit einem ruhigen Herbst rechnen. Setze sich aber eine fittere Variante durch, die unseren Antikörpern besser ausweichen kann, dann brauche es wieder Maßnahmen, um das Infektionsgeschehen einzudämmen.
Daher werden sogenannten Neutralisations-Studien aus dem Labor besonders hohe Aufmerksamkeit gewidmet. Wissenschafter testen hierfür, wie gut Coronavirus-Varianten Antikörpern ausweichen können. Jetzt gibt es aus neue Erkenntnisse zu diesen besorgniserregenden "Scariants".
Schon vor rund einer Woche machte der Wiener Genetiker Ulrich Elling, der am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) das österreichische Variantenmonitorings betreibt, auf die beiden Varianten BA.275.2 und BJ.1, die in Österreich und damit in erstmals in Europa aufpoppte, aufmerksam.
BA.2.75.2 und BJ.1 haben eine spezielle Veränderung im Spike-Protein des Coronavirus, die schon länger aus anderen Varianten bekannt ist und dazu führt, dass diese Erreger sich etwas leichter verbreiten. Dieser Sublinie dürfte es etwas besser gelingen, dem Immunsystem zu entkommen. Dadurch wäre vermutlich auch die Wirkung von monoklonalen Antikörpern zum Schutz besonders vulnerabler Menschen reduziert.
Zwei neue Studien geben dem Wiener Genetiker jetzt recht: Laut schwedischen Forschern (Sie können die Studie hier auf Englisch nachlesen.) konnte die Untervariante BA.2.75.2 den Antikörpern besser entkommen als alle anderen Varianten. Auch viel besser als BA.5, was die bisher am stärksten neutralisierungsresistente Variante darstellte.
Die Neutralisations-Tests wurden mit Serumproben von Blutspendern in Stockholm gemacht. "Diese Daten geben Anlass zur Sorge, dass BA.2.75.2 die Immunität in der Bevölkerung wirksam umgehen könnte", so die Wissenschafter.
Laut den Schweden zeigte sich BA.2.75.2 resistent gegen die Neutralisierung durch den Astra-Zeneca-Antikörpercocktail Evusheld (Tixagevimab + Cilgavimab), konnte aber dem Antikörperpräparat Bebtelovimab nicht ausweichen.
Die zweite Studie zeigt ebenfalls, dass BA.2.75.2 am fittesten war: Sie konnte den Antikörpern von BA.5-Genesenen deutlich besser ausweichen als alle anderen Varianten. (Sie können die Studie hier auf Englisch nachlesen.)
Die Wissenschafter der Peking Universität wollten wissen, warum das so ist und hier brachten sie die sogenannte immmunologische Prägung (Antigen-Erbsünde) ins Spiel: Nach dieser Theorie hat der Erstkontakt mit einem Virus einen prägenden Einfluss auf die Immunantwort gegen spätere Kontakte mit Varianten dieses Virus'. Dies spielt bei der Impfstoff-Entwicklung eine große Rolle und wirft die Frage auf, ob es überhaupt noch den Urstamm des Coronavirus (also bivalente Impfstoffe) braucht.
Laut dem chinesischen Biochemiker und Immunologen Yunlong Richard Cao beweist die Studie diese Theorie, denn eine BA.2/BA.5-Durchbruchinfektion erinnerte hauptsächlich an frühere Coronavirus-induzierte Erinnerungen, die auf der Ur-Typ-Variante beruhten.
Elling erklärt die Bedeutung dieser neuen Erkenntnisse auf Twitter: "Sobald wir ein Antikörper-Repertoire haben, versuchen wir, ähnliche Viren mit dem alten Repertoire zu bekämpfen. Diese Strategie schränkt unsere Immunantwort ein, macht sie aber vor allem schneller und kann im Laufe der Zeit Antikörper erzeugen und selektieren, die gegen eine Vielzahl von Varianten wirken. Es gibt also einen Grund dafür. Aber was wir jetzt beobachten, ist, dass SARS-CoV-2 so viele Fluchtrunden durchlaufen hat, dass uns die Antikörper ausgehen, die aktuelle Varianten wie BA.2.75.* oder BJ.1 neutralisieren. Mit Beginn der kalten Jahreszeit in der nördlichen Hemisphäre hat die Inzidenz in mehreren europäischen Ländern zu steigen begonnen. Bisher wird dies nicht primär von den neuen Varianten getrieben, lediglich die Mutation von 346 in BA.4/5 spielt eine gewisse Rolle. Aber diese neuen Varianten werden wahrscheinlich im Winter dominieren. Und wenn sie tatsächlich der Untergruppe von Antikörpern entgehen, die nach der Impfung mit dem Urstamm des Coronavirus und dem Omikron-Durchbruch ausgewählt wurden, dann sind auch unsere neuen Impfstoffe in Frage gestellt."
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