Leserinnen fragen, Neonatologin antwortet: "Kann Homöopathie Frühchen helfen?"

Symbolbild.
Anlässlich des Weltfrühchentages am 17. November beantwortete Neonatologin Angelika Berger von der MedUni Wien Fragen von Leserinnen und Lesern des KURIER.

Frage: Wie sind die derzeitigen Besuchsregeln in Anbetracht der Pandemie und des jetzigen Lockdowns, wenn ein Frühchen nach der Geburt am AKH Wien auf die Intensivstation muss?

Angelika Berger: Wir haben uns sehr dafür eingesetzt, dass in unserem Fall trotz Ausnahmesituation weiterhin eine ausreichende Besuchsmöglichkeit für Mütter und Väter besteht. Ein Elternteil hat momentan eine uneingeschränkte Besuchsmöglichkeit – das ist in der Regel die Mutter –, das zweite Elternteil ist in seiner Besuchszeit täglich auf den Zeitraum zwischen 15.00 und 18.00 Uhr beschränkt.

Eine sehr gute Freundin von mir hat vor zwei Wochen ihr Baby in der 27. Schwangerschaftswoche zur Welt gebracht. Nun sind auch noch medizinische Komplikationen bei der Kleinen aufgetreten. Sie und ihr Partner fühlen sich total hilflos – verständlicherweise. Wie kann das Umfeld helfen?

Das Umfeld kann einerseits Unterstützung im Alltag anbieten (Einkaufen, Vorkochen, Kinderbetreuung, falls es Geschwister gibt), andererseits natürlich ein offenes Ohr haben für Sorgen, Gedanken und generell Gespräche. Viele Eltern freuen sich über Interesse an und Nachfragen nach dem Kind. Oft scheuen Bekannte diese Fragen, weil sie unsicher sind und sich nicht aufdrängen wollen. Manche Eltern brauchen in dieser Zeit aber auch viel Ruhe und ziehen sich lieber zurück. Auch das sollte respektiert werden. Fragen Sie einfach nach, was von den Eltern konkret als hilfreich empfunden werden würde – und bleiben Sie in Kontakt.

In den Medien liest und hört man derzeit fast täglich, dass sich die Lage auf den Intensivstationen wegen Covid zuspitzt. Sind auch Intensivstationen für Säuglinge davon betroffen?

Glücklicherweise nicht. Covid-19 ist keine Erkrankung des Säuglings oder Kindes. Manchmal müssen Neugeborene, deren Mutter eine aktive Covid-19 Erkrankung hat, auf unseren Stationen betreut werden. Die Neugeborenen selbst sind aber in aller Regel nicht von dem Virus betroffen.

Wie stehen Sie zu homöopathischen Heilmitteln bei Frühchen?

Wir haben vor mehreren Jahren eine Studie zum begleitenden Einsatz von Homöopathie auf der Frühgeborenenintensivstation durchgeführt. Leider war das Ergebnis damals negativ, es gab keinen positiven Effekt. Wir sind aber offen für den Einsatz alternativmedizinischer Methoden, wenn es den Eltern wichtig ist. Vonseiten der wissenschaftlichen Evidenzlage muss man allerdings sagen, dass es keinen Nachweis einer Wirksamkeit auf der neonatologischen Intensivstation gibt.

Leserinnen fragen, Neonatologin antwortet: "Kann Homöopathie Frühchen helfen?"

Angelika Berger, Leiterin der Neonatologie im AKH Wien/MedUni Wien.

Wie nahe kann man einem Frühchen nach der Entbindung als Elternteil sein? Fällt die wichtige Bindung zwischen Eltern und Kind, die erst durch enge körperliche Nähe entsteht, weg? Was bedeutet das emotional für die Babys?

Das ist eine ganz wichtige Frage. Uns ist enorm wichtig, dass trotz Frühgeburt und Behandlung auf der Intensivstation der frühe und enge Kontakt zwischen Mutter (und Vater) und Kind nicht leidet. Bei uns werden auch extrem Frühgeborene schon nach der Geburt der Mutter zum Bonding auf die Brust gelegt, tägliches Känguruhing – dabei liegt das Kind nackt auf der nackten Brust der Mutter oder des Vaters – ist Standard. Die Eltern werden von Beginn an sehr intensiv in die Pflege ihres Kindes integriert. Natürlich auch dann, wenn das Kind zum Beispiel künstlich beatmet werden muss. Die Eltern verbringen in der Regel viele Stunden am Tag bei ihrem Baby. Sobald die Verlegung auf die Nachfolgestation möglich ist, kann die Mutter (oder der Vater) mit dem Kind aufgenommen werden und 24 Stunden am Tag beim Kind sein. So gelingt es meistens sehr gut, trotz Frühgeburt und Intensivstation eine sehr gute Bindung zwischen Eltern und Kind aufzubauen. Natürlich erfolgt auch eine Begleitung durch unsere geschulten PsychologInnen und das gesamte neonatologische Betreuungsteam.

Frühchen haben eine eingeschränkte Lungenkapazität. Wie sieht das im Winter aus: Wie lange kann man da mit ihnen draußen an der frischen Luft sein? Was kann man präventiv machen, um sie allgemein vor Krankheitserregern zu schützen und ihr Immunsystem aufzubauen?

Es stimmt, dass die Lunge bei Frühgeborenen, vor allem bei sehr unreif geborenen Kindern mit zusätzlichen Problemen wie Langzeitbeatmung nach der Geburt, anfälliger für Infektionen ist. Dennoch empfehlen wir ab Entlassung nach Hause auch regelmäßige Spaziergänge im Freien. Für die Verhinderung von Infektionen stehen für sehr früh geborene Kinder spezielle Medikamente in Form von Injektionen zur Verfügung, um gegen spezielle virale Erreger (Respiratory Syncytial Virus, RSV) zu schützen. Händehygiene ist jedenfalls anzuraten, auch zu Nicht-Covid-Zeiten. Und achten Sie darauf, dass Oma und Opa oder sonstige Besucher gesund sind, wenn sie das Baby zu Hause besuchen. Stillen ist jedenfalls auch ein protektiver Faktor zur Stärkung des Immunsystems des Kindes.

Ich bin gerade zum zweiten Mal schwanger und aktuell in der 14. Woche. Mir geht es bisher sehr gut. Meine Tochter kam wegen meiner Schwangerschaftsdiabetes vor zwei Jahren als Frühchen zur Welt. Nun habe ich Angst, dass es auch bei Kind Nummer zwei so laufen könnte. Was ist Ihr Rat?

Prinzipiell gibt es schon ein gering erhöhtes Risiko für eine nachfolgende Frühgeburt. Ich würde aber nicht davon ausgehen, dass das notwendigerweise bei Ihnen der Fall sein muss. Wichtig ist die regelmäßige Betreuung durch einen guten Gynäkologen oder eine gute Gynäkologin. Bei Unsicherheiten oder fraglichen Symptomen würde ich jedenfalls anraten, sich lieber einmal öfter beim Arzt zu melden. Die Wahrscheinlichkeit ist aber viel, viel größer, dass Sie in dieser Schwangerschaft Ihr Kind "ganz normal" zum Termin zur Welt bringen werden.

Warum kommen manche Säuglinge eigentlich zu früh auf die Welt und andere nicht, was sind die häufigsten Ursachen? Und ab wann spricht man von einer Frühgeburt?

Eine Frühgeburt ist definiert als jede Geburt vor der abgeschlossenen Schwangerschaftswoche 37, das betrifft etwa 7,5 Prozent aller Kinder. Eine Schwangerschaft dauert regulär 40 Wochen. Bei einer Geburt vor der 32. Schwangerschaftswoche spricht man von einer sehr frühen Frühgeburt, das betrifft etwa zwei Prozent aller Kinder. Risikofaktoren sind vor allem Infektionen der Mutter, die sehr häufig ohne Symptome bei dieser ablaufen. Aber auch Mehrlinge, medizinische Probleme der Mutter (Gestose, schwere Grunderkrankungen, etc.), Rauchen oder deutliches Übergewicht können Ursachen sein.

Mein Sohn kam vor mittlerweile 11 Monaten in der 33 Schwangerschaftswoche auf die Welt. Und seit September ist er alle paar Woche kränklich, fiebert und hat auch erhöhte Entzündungswerte. Er hat auch schon Antibiotika bekommen. Sobald er sich erholt, geht das Ganze von vorne los. Mein Mann und ich sind ratlos.

Es ist leider so, dass Frühgeborene ein erhöhtes Risiko für respiratorische Infekte in den ersten ein bis zwei Lebensjahren haben. Leider ist der erste Winter sehr häufig von mehreren Infekten geprägt. Das wird jedenfalls über die Jahre besser und ist im Übrigen auch bei Reifgeborenen mitunter so. Ganz wichtig ist die Grippeimpfung in dieser Situation. Jedenfalls kann ich Sie beruhigen, dass auch mehrere Infektionsepisoden im Jahr vollkommen normal sind in diesem Lebensalter.

Wie sehen Sie die gesetzliche Nicht-Gleichstellung von Frühchen und Mehrlingsbabys? Bezüglich Mutterschutz-Ende und Karenz, aber auch Papa-Monat (letzteres kann ja nur in Anspruch genommen werden, wenn die Säuglinge nicht im Spital sind).

Ja, das ist ein Problem in Österreich. In manchen anderen Ländern werden die Zeiten vor dem errechneten Geburtstermin teilweise zur Karenzzeit aufgerechnet. Dieses Thema sollte auch in Österreich angegangen werden. Eine starke Lobby durch Eltern würde uns dabei jedenfalls unterstützen.

Ich bin gerade selbst schwanger mit meinem ersten Kind. Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, dass eine Frühgeburt die Nerven bei Müttern und Vätern extrem fordert. Was bedeutet es, Eltern eines Frühchens zu werden? Gehen Mütter und Väter Ihrer Erfahrung nach anders mit der Situation um?

Jede Frühgeburt stellt für Eltern eine große Herausforderung dar. Werdende Eltern haben in der Regel ein klares Bild der Schwangerschaft, der Geburt und ihres Kindes. Durch eine (sehr frühe) Frühgeburt wird dieses Bild plötzlich verändert und Eltern sind mit vielfältigen Belastungen und Anforderungen konfrontiert (Ängste und Sorgen um das Kind, ungewohntes Umfeld, Hilflosigkeit, oft unklare Prognose, Auseinandersetzung mit vielen "neuen Gesichtern", Sorge um Geschwisterkinder, etc.). Eltern gehen sehr unterschiedlich mit diesen Herausforderungen um. Manche Eltern kommen sehr gut mit dieser fordernden Situation zurecht, andere sind sehr belastet. Oft verbringen Mütter mehr Zeit im Krankenhaus und sind oft stärker belastet durch den klinischen Alltag oder artikulieren das stärker. Aber auch Väter machen sich natürlich Sorgen und sind oft belastet. Ganz generell erleben wir sehr unterschiedliche Bewältigungsstrategien (unabhängig vom Geschlecht). Was oft hilft, ist eine positive Lebenseinstellung und gute Unterstützung im sozialen Umfeld. Dafür ist aber auch unser Betreuungsteam da (Pflege, Medizin, Psychologie, Therapie). Es ist unsere Aufgabe, zu erkennen, was genau die Mütter und Väter brauchen und wie wir sie bestmöglich unterstützen und begleiten können.

Stehen nach einer Frühchengeburt automatisch im weiteren Verlauf sehr viele Arztbesuche an?

Nein, nicht automatisch. Bei jedem Neugeborenen stehen viele Arztkontrollen im Rahmen der Routine-Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen an. Bei Frühgeborenen ist es nicht generell anders. Nur sehr frühe Frühgeborene haben zusätzlich zu den normalen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen auch spezielle entwicklungsneurologische Nachuntersuchungen und Kontrollen (bei uns bis zum 6. Lebensjahr).

Die Sorge vieler Eltern ist wohl, dass ihr Frühchen in seiner weiteren Entwicklung beeinträchtigt ist. Was sagen Sie Eltern, wenn diesbezüglich Fragen kommen?

Glücklicherweise können wir Eltern heute sagen, dass Frühgeborene generell eine sehr gute Prognose haben und die meisten der bei uns betreuten Kinder gesund nach Hause gehen und sich gut entwickeln können. Das Risiko für Einschränkungen steigt allerdings mit sinkendem Geburtsgewicht und sinkender Schwangerschaftswoche bei der Geburt. Als Risikopatienten sehen wir heute Kinder, die unter der Schwangerschaftswoche 28 geboren werden (ca. unter 1.000 Gramm Geburtsgewicht). Aber auch von diesen Kindern überleben erfreulicherweise die meisten mit einer sehr guten Prognose. Bei weniger als zehn Prozent ist eine langfristig mittelgradige bis schwere Beeinträchtigung zu erwarten.

Kann ich durch mein Verhalten als werdende Mama in der Schwangerschaft (Sport, Ernährung, etc.) das Risiko für eine Frühgeburt unwissend erhöhen?

Was man jedenfalls sagen kann, ist, dass Rauchen das Risiko für eine Frühgeburt deutlich erhöht. Gesunde Ernährung und ein gesunder Lebensstil sind jedenfalls förderlich für eine gute Schwangerschaft. Sport ist auch möglich, allerdings in Maßen und jedenfalls kein Hochleistungssport.

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