Impfstoff-Zulassung: Warum es in der EU etwas länger dauert
Großbritannien hat es am 2. 12. getan. Kanada am 9. 12. Und in den USA hat am 10.12. spätabends eine Expertenkommission der US-Arzneimittelbehörde FDA eine Notfallzulassung des Corona-Impfstoffs des Mainzer Unternehmens BioNTech und seines US-Partners Pfizer empfohlen.
Warum aber dauert es in der EU noch?
Wie schnell kann die Europäische Union starten?
Die Europäische Arzneimittelagentur EMA will bis spätestens 29. 12. über eine "konditionale Zulassung" – eine Zulassung mit Auflagen für ein Jahr – entscheiden. Die Frage sei, "wann impfen wir im Vergleich zu anderen Teilen der Welt – wann impfen Großbritannien, die USA, Israel, Kanada, Russland, China, und wann impft Europa?", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz am Donnerstag in Brüssel vor Beginn des EU-Gipfels. "Jeder Tag, den wir hier als Europäische Union gemeinsam gewinnen, rettet unzähligen Menschen das Leben; wehrt einen massiven wirtschaftlichen Schaden ab, sichert viele Arbeitsplätze."
Alle wissenschaftlichen Standards müssten eingehalten werden, forderte der Kanzler und mahnte dennoch zu mehr Tempo: "Wenn jetzt unbürokratisch und rasch gearbeitet werden kann, wird das sehr positiv für Europa sein."
Wann wurden die Anträge auf Zulassung gestellt?
Als die EMA am 30. 11. den Zulassungsantrag für das BioNTech-Präparat namens "BNT162b2" erhielt, war die FDA bereits seit 20. 11. mit der Notfallgenehmigung befasst. Spätestens am 29. Dezember will die EMA ihr Gutachten vorlegen – formal spricht die Zulassung dann einige Tage später die EU aus.
Ist die EU zu bürokratisch in der Impfstoffzulassung?
"Nein", sagt die Virologin Christina Nicolodi, die Pharmafirmen bei der Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln berät. "Aber in der EU sind in das Verfahren Experten aller Mitgliedsstaaten eingebunden, in den USA und Großbritannien entscheidet eine Behörde alleine. In der EU müssen auch Fragen und Kritikpunkte einzelner Staaten beantwortet und ausgeräumt werden, damit alle zustimmen. Das gewährleistet aber auch, dass wirklich alles geprüft wurde."
Auch Infektiologe und Impfstoffexperte Herwig Kollaritsch hält Vorgehen und Zeitplan der EMA für "absolut legitim und vernünftig": "Wir machen uns nur angreifbar, wenn wir die Sache jetzt zu locker nehmen. Das kann nicht das Ziel sein." Zudem plane die FDA lediglich eine Notfallzulassung für die Vakzine, während die EMA eine vollständige Zulassung des Präparates vorbereitet: "Da ist ein kleiner, aber feiner Unterschied, der eine stringente Prüfung und ein eigenes formelles Prozedere verlangt. Man muss nicht immer der Allererste sein, aber in dem Moment, wo wir eine Zulassung für die Impfung auf dem Tisch haben, sollten wir sie flott ausrollen."
Gab es bisher nicht eher die Sorge, dass alles zu schnell geht?
"Ja. Bisher warf man der EMA ja eigentlich vor, dass alles viel zu schnell geht, und jetzt heißt es, sie sei zu langsam", sagt Nicolodi. Die EMA habe extra für diese Impfstoffe ein beschleunigtes Verfahren ("Rolling Review") eingeführt, bei dem einzelne Datenpakete nicht hintereinander, sondern parallel begutachtet werden, ohne, dass dies Auswirkungen auf die Prüfung von Sicherheit und Wirksamkeit habe. "Früher hat die Zulassung neuartiger Impfstoffe bis zu 15 Jahre gedauert, jetzt ist es ein Jahr."
Markus Zeitlinger, Leiter der Abteilung für klinische Pharmakologie der MedUni Wien: "Ich halte es nicht für richtig, die EMA zu drängen. Es lastet ein enormer Druck auf der Behörde, und der Pfad zwischen schnellst möglicher Verfügbarkeit und höchst möglicher Sicherheit ist schmal. Die EMA tut, was sie kann, um beiden Aspekten gerecht zu werden."
Gibt es einen einheitlichen Impfstart in der EU?
"Ob ein Land nun einen Tag früher oder später mit dem Impfen beginnt, ist nicht entscheidend", sagte Bundeskanzler Kurz in Brüssel. "Ich hätte damit kein Problem, wenn ein Land einen Tag früher beginnt." Auf Drängen Spaniens wollten die EU-Regierungen darüber beraten, ob alle 27 Staaten ihre Impfungen am selben Tag starten. Wenn alle Länder in der Union den gleichen Zugang zu den Impfstoffen haben, und der sei gewährleistet, sagte Kurz, dann gebe es keine unfaire Behandlung in der EU.
Auch der Leiter der Schweizer Impfkommission will die Impfung erst empfehlen, wenn alle Fakten genau geprüft sind. Was weiß man bisher über Nebenwirkungen?
FDA-Analysen aus der Zulassungsstudie mit 44.000 Probanden zeigen, dass es zu vorübergehenden Reaktionen wie Müdigkeit (62,9 %), Kopfschmerzen (55,1 %), Muskelschmerzen (38,3 %), Schüttelfrost (31,9 %), Gelenksschmerzen (23,6 %) und Fieber (14,2 %) kommen kann.
"Das ist der Nachweis dafür, dass das Immunsystem anspringt", sagt Nicolodi. "Das ist zweifelsfrei unangenehm, aber vergleichsweise harmlos“, ergänzt Zeitlinger. Neben der üblichen Impfantwort kann es in sehr seltenen Fällen offenbar zu ausgeprägteren allergischen Reaktionen kommen: "Auch bei vielen anderen Impfstoffen ist es so, dass man, wenn es in der medizinischen Vorgeschichte eines Patienten schwere allergische Reaktionen gab, bei der Gabe sehr vorsichtig ist." Die FDA stuft den Impfstoff als sicher ein.
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