Contact Tracing: Wie man die Virenjagd vor dem nächsten Kollaps bewahrt
Ob harter oder gelockerter Lockdown: Die Arbeit der heimischen Contact Tracer bleibt in der Pandemie unerlässlich. Solange das Virus grassiert, kann jeder Kontakt eine Infektion bedeuten.
"Das Testen und Tracen bleibt die Strategie der Wahl, um Infektionsherde einzudämmen, bevor sie sich zu einem viralen Flächenbrand ausbreiten", sagt Virologe Christoph Steininger von der MedUni Wien. Epidemiologe Gerald Gartlehner von der Donau-Universität Krems pflichtet bei: "Es ist eines der wenigen Dinge, von denen wir wissen, dass es in einer Pandemie wirkt."
Man findet Quellen von Infektionen und ermittelt Kontaktpersonen von Infizierten, die sich eventuell noch nicht krank fühlen, aber ansteckend sein können. Besagte Kontaktverfolgung kollabierte hierzulande vor dem zweiten Lockdown vielerorts zumindest kurzzeitig. Es fehlte an Personal, um die Dutzenden Sozialkontakte jedes Infizierten nachvollziehen zu können und behördliche Quarantänebescheide aussprechen zu können.
Zwar scheint die Trendumkehr bei den Infektionszahlen geschafft, offen bleibt, wie das Tracen künftig stabil funktionieren kann.
Überlastete Infrastruktur
Die Erfahrung zeigt: Das Personal ist ein wichtiger Parameter. "Bis zum zweiten Lockdown hatten wir deutlich zu wenige Contact Tracer", sagt Gesundheitsökonom Thomas Czypionka. Pro 1.500 Neuinfektionen täglich brauche es an die 10.000, bei vorwiegend analogem Tracing-System.
In den vergangenen Wochen wurde die Zahl der Tracer in den Bundesländern aufgestockt. Auf KURIER-Anfrage übermittelten die Landessanitätsdirektionen ihre personellen Kontingente: So sind in Kärnten derzeit 360 Vollzeit-Tracer aktiv. In Salzburg arbeiten 765 Personen im Contact-Tracing, in Vorarlberg 225. Aus Niederösterreich werden 933 Vollzeitäquivalente gemeldet, aus Wien 600. In Tirol sind rund 650 Personen im engeren Sinn an der Abwicklung des Kontaktpersonenmanagements beteiligt, in Oberösterreich rund 510, in der Steiermark knapp 700, im Burgenland bis zu 200. In Summe also knapp 5.000.
Die 10.000-er-Marke erreicht man damit nicht annähernd – und das bei aktuell täglich über 2.000 gemeldeten Neuinfektionen.
Allerdings sagt eine Zahl allein noch nichts über den Zustand des Contact Tracings aus, gibt AGES-Chefepidemiologin Daniela Schmid zu bedenken: "Es gibt einige Bundesländer, die bereits auf hohem digitalen Niveau arbeiten und technisch wie personell hervorragend ausgerüstet sind."
Entscheidend seien die finanziellen Ressourcen, die für beschleunigtes Contact Tracing bereitgestellt werden. "Hier besteht mancherorts noch Aufholbedarf."
Berechnungsmodelle, wie etwa den "Healthcare Workforce Estimator" der WHO, betrachtet auch Steininger mit Skepsis: "Bei geschultem Personal, das zum Contact Tracing notwendig ist, besteht seit Monaten ein extremer Engpass." Es sei wichtig, nachhaltige Konzepte umzusetzen, die den Kosten- und Personalaufwand reduzieren und Abläufe beschleunigen.
Vollautomatisierte Abläufe
Mit der Gründung des Start-ups Lead Horizon hat Steininger die Kontaktverfolgung auf digitale Beine gestellt: "Wir haben einen Testkit mitsamt Contact-Tracing-Konzept entwickelt, mit dem jeder Infektionsherd innerhalb von 72 Stunden abgeklärt werden kann – mit deutlich weniger Personal."
Das System verbinde sichere Probengewinnung mit guter Logistik und komme bei der Polizei schon zum Einsatz.
Es funktioniert so: Der Selbsttest-Kit kann in einer Bipa-Filiale, ausgewählten Apotheken oder online gekauft werden. Er enthält ein Probenröhrchen und eine Salzlösung zum Gurgeln. Wie die Probe genommen wird, leitet ein Online-Video an, dabei wird auch die Identität überprüft.
Die Probe kann bei der Post aufgegeben oder daheim abgeholt werden. Schnittstellen zu Laboren und dem Epidemiologischen Melderegister erlauben es, die Daten automatisiert zu verarbeiten. Darüber hinaus könne man technologisch anbieten, alle Kontaktpersonen eines Infizierten, der die Daten dieser online eingibt, zu informieren und mit einem SMS-Gutschein für eine Test-Box zu versorgen.
Tatsächlich gibt es nach wie vor kein einheitliches digitales System zur Erfassung und Verknüpfung von Kontaktverfolgungsdaten. "In Excel-Tabellen sollte man heutzutage eigentlich nichts mehr eintippen, kommt aber leider vor", sagt Gartlehner.
Auch er und Czypionka sehen elektronische Lösungen als patentes Rezept. Czypionka: "Österreich ist kein großes Land, zwischen den Bundesländern herrscht reger Verkehr, das macht die Verfolgung von Infektionsketten über die Bundesländergrenzen hinaus schwierig, wenn Systeme nicht ineinandergreifen."
Die Corona-App, die dieser Tage vom Gesundheitsministerium wieder stärker beworben wird, könne laut Gartlehner nur Entlastung bringen, "wenn sie einem kompatiblen Tracing-System der Behörde zuarbeitet und Synergien geschaffen werden". Auch für Czypionka sind die Erfolgschancen fraglich: "Wenn wenige Nutzer die App haben, hat sie keinen Effekt. Je mehr Leute, sie nutzen, desto wertvoller wird sich auch für jeden Einzelnen. Je weniger, desto schwieriger ist es, Skeptiker ins Boot zu holen."
Wachsam trotz Impfung
Wird Contact Tracing noch nötig sein, sobald eine Impfung da ist? "Mit Sicherheit", sagt Steininger. "Wir wissen von früheren Epidemien, dass Contact Tracing lange wesentlich bleibt, um bei lokalen Ausbrüchen rasch reagieren zu können."
Gelingt es, das Contact Tracing von Infektionszahlen zu entkoppeln, "bin ich optimistisch, dass es keinen dritten Lockdown brauchen wird".
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