Impf-Empfehlungen für Kinder: Was Eltern an der Sicherheit zweifeln lässt
Die Nachfrage ist groß: Seit die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) – und wenige Tage später das Nationale Impfgremium (NIG) – grünes Licht für die Impfung von allen Kindern ab fünf Jahren gegeben haben, ging hierzulande jede dritte Erstimpfung an Kinder unter zwölf.
Ab heute, Donnerstag, werden die in der richtigen Dosierung abgefüllten und besser lagerbaren Kinderimpfstoffe hierzulande an Fünf- bis Elfjährige verimpft – bisher wurde eine reduzierte Erwachsenendosis verwendet.
Für Verunsicherung sorgt bei Eltern die Tatsache, dass die deutsche Ständige Impfkommission (STIKO) Impfungen in dieser Altersgruppe momentan nur bei Kindern mit bestimmten Vorerkrankungen explizit befürwortet. Dem schloss sich nun der deutsche Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) an. Bundessprecher und Kinderarzt Jakob Maske riet Eltern gesunder Kinder im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur, die breite Empfehlung "wegen des Restrisikos noch unbekannter seltener Nebenwirkungen" abzuwarten. Man könne sich gedulden, bis das Omikron-Vakzin zur Verfügung stehe.
Im KURIER-Gespräch betont Maske, dass er sich missverstanden fühle. Seine Aussagen seien aus dem Kontext gerissen worden.
"Wir sprechen uns keinesfalls dafür aus, dass Kinder, egal welcher Altersgruppe, auf den Omikron-Impfstoff warten sollten." Allerdings sei für gesunde Kinder die Dringlichkeit der Impfung nicht so groß, "dass man den Empfehlungen zuvorkommen muss".
Frage der Zeit
Die Effektivität bestehender Impfstoffe ist laut Studien bei Omikron tatsächlich reduziert. Auf variantenspezifische Impfstoffe zu warten, hält auch Reinhold Kerbl, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ), nicht für ratsam: "Man kann mit verfügbaren Impfstoffen eine Grundimmunität hervorrufen, auf die man dann mit angepassten Auffrischungsimpfungen aufbauen kann."
Erfahrungen mit anderen Impfstoffen zeigen, dass eine vorangegangene Impfung auch auf Nachfolgestämme eine gewisse Wirkung haben kann, beispielsweise bei der Grippe-Impfung. "Ähnliches wird für Omikron erwartet", sagt Kerbl. "Man fängt mit einer adaptierten Impfung nicht bei null an, sondern kann auf eine schon bestehende Basisimmunität aufbauen. Und auch wenn Omikron zahlreiche Mutationen aufweist, ist das Spike-Protein an der Virusoberfläche für unser Immunsystem nichts gänzlich Neues."
Zu bedenken gibt Kerbl, dass angepasste Impfstoffe wohl nicht vor Ende März verfügbar sein werden. "Das ist eine lange Zeitspanne, in der Omikron womöglich hohe Infektionszahlen – auch bei Kindern – mit sich gebracht haben wird." Wer über keinen Grundschutz verfüge, sei gefährdet, schwer an Covid zu erkranken.
Mutationen ausbremsen
Je breiter das Virus in der Bevölkerung zirkuliert, umso mehr Möglichkeiten hat es außerdem, zu mutieren. "Hohe Infektionszahlen bergen immer das Risiko für Anpassungen, die den Erreger auch gefährlicher machen können", sagt Kerbl. Nach Möglichkeit sollten Eltern ihre Kinder "lieber früher als später impfen lassen".
Warteposition
Das zaghaftere Vorgehen der STIKO sei laut Kerbl aber per se nichts Ungewöhnliches: "Für den Kinderimpfstoff gibt es bisher Daten aus einer Zulassungsstudie, an der etwas mehr als 2.000 Kinder beteiligt waren." Die Ergebnisse würden klar für die Impfung sprechen, allerdings warte die STIKO noch auf umfassendere Daten. Dass in den USA schon über fünf Millionen kleinere Kinder komplikationslos immunisiert wurden, reicht der STIKO nicht.
Das Gremium folgt seiner bewährten Strategie: Für Kinder ab zwölf empfahl das österreichische NIG die Immunisierung schon Ende Mai, die deutsche STIKO schloss sich erst am 16. August an. Kerbl geht davon aus, dass das Zuwarten auch dieses Mal in eine generelle Empfehlung münden wird: "Ich rechne in spätestens zwei Monaten damit."
Seltene Nebenwirkungen wie beispielsweise Herzmuskelentzündungen, die zuvor in sehr seltenen Fällen bei Über-15-Jährigen Burschen und jungen Männern unter 30 aufgetreten waren, wurden in den USA nicht beobachtet. Berichte darüber nähren nach wie vor elterliche Ängste. "Das Risiko, diese im Regelfall sehr gut behandelbare Nebenwirkung zu entwickeln, liegt bei jungen Männern je nach Studie bei 1 zu 20.000 bis 1 zu 100.000", sagt Kerbl. Infiziert man sich mit Corona, sei das Risiko dafür aber bis zu 30-fach höher.
Mangelware
Dass die Zurückhaltung der STIKO auf einen Impfstoffmangel zurückzuführen ist – Gesundheitsminister Karl Lauterbach bestätigte am Dienstag, dass in Deutschland zu Beginn des neuen Jahres zu wenig Dosen verfügbar sein werden –, weist man auf KURIER-Anfrage im Bundesgesundheitsministerium zurück. Der neue Kinderimpfstoff sei von der vorübergehenden Impfstoffknappheit nicht betroffen. Die STIKO sei zudem "ein unabhängiges Expertengremium". Das Robert Koch-Institut, dem die STIKO unterstellt ist, wollte sich auf KURIER-Anfrage nicht dazu äußern.
Dass man vonseiten des NIG hierzulande mit der breiten Befürwortung der Kinderimpfung ein Risiko eingeht, glaubt Kerbl, der am Landeskrankenhaus Leoben die Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde leitet, nicht: "Es gibt aktuell keinerlei Hinweise darauf." Im Gegenteil: "Im Herbst haben wir zwar weniger Krankheitsfälle gesehen, als wir es angesichts der Inzidenzen erwartet hätten. Aber jetzt müssen wir doch wieder vermehrt Kinder wegen Covid-19 auf unseren Stationen behandeln – und teilweise sind die Kinder auch sehr krank. Das spricht eindeutig für die Impfung."
Recht auf Schutz
Dass durch die unterschiedlichen Empfehlungen Zweifel an der Sicherheit der Impfung genährt werden, bedauert Rudolf Schmitzberger, Leiter des Impfreferats der Österreichischen Ärztekammer: "Man muss jeder wissenschaftlichen Fachgesellschaft einen Eigenspielraum zugestehen. Ich bin aber froh, dass Österreich sofort mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur mitgezogen ist", sagte er am Dienstag im "Morgenjournal" auf Ö1.
Der Leidensdruck der Kinder offenbare sich täglich in Gesprächen in Arztpraxen. Kinder hätten Angst, sich selbst oder Nahestehende anzustecken. Ängste, die man nehmen könne, betont Schmitzberger, indem man ihnen "das Recht zugesteht, selbst gegen das Virus geschützt zu sein".
Maria Paulke-Korinek, Leiterin Abteilung für Impfwesen im Gesundheitsministerium und NIG-Mitglied, verwies am Dienstag in einer Pressekonferenz auf den Einsatz heimischer Ärztinnen und Ärzte: "Die Empfehlungen sind in Österreich deswegen anders, weil wir brillante Kinderärzte haben, die unverzüglich umfassende Daten zur Covid-Krankheitslast bei Kindern zur Verfügung gestellt haben und es uns so ermöglicht haben, das Nutzen-Risiko-Profil genau zu kalkulieren. Wir haben sichere, effektive Impfstoffe, die für Kinder exzellent verträglich sind. Und wir haben Kinder, die kurz- und langfristig stark unter Covid-19 leiden. Für das Nationale Impfgremium spricht daher alles für die Impfung von Kindern."
Kommentare