Omikron bis psychische Belastung: "Kinder haben ein Recht auf die Covid-Impfung"

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Die neue Corona-Variante, die Grippe-Saison und angepasste Kinder-Vakzine nahen: Warum die Corona-Impfung für Jüngere jetzt wichtiger denn je ist.

"Kinder haben ein Recht auf die Covid-Impfung." In Zeiten hitziger Debatten rund um die Immunisierung ist das für Rudolf Schmitzberger, Leiter des Impfreferats der Österreichischen Ärztekammer, die allerwichtigste Botschaft.

"Wir haben die Kinder viel zu lange als Bevölkerungsmitglieder gesehen, die andere 'nur' anstecken können. Es braucht jetzt endlich ein Umdenken", sagt er. Denn auch Kinder und Jugendliche würden umfassend unter der Pandemie leiden. "Mit der Impfung geben wir ihnen ein Stück Freiheit, Lebendigkeit und Normalität zurück."

Reale Bedrohung

Der Leidensdruck, dem Kinder und Jugendliche in der anhaltenden Gesundheitskrise ausgesetzt sind, ist in der Tat vielschichtig. "Kinder haben im Vergleich zu Erwachsenen ein geringeres Risiko schwer an Covid-19 zu erkranken, es gibt aber ernstzunehmende Folgeerscheinungen, die damit einhergehen können", erklärt Florian Götzinger, Kinderarzt und Kinderinfektiologe an der Klinik Ottakring.

So seien etwa zwischen zwei und sechs Prozent der Kinder nach einer Infektion mit Long-Covid-Symptomen – Konzentrationsschwäche, Kopfschmerzen, Atemnot oder Abgeschlagenheit – konfrontiert. "Das kann so weit gehen, dass ein Kind gar nicht mehr belastbar ist."

Zudem könne laut Götzinger das sogenannte Hyperinflammationssyndrom bei Kindern schwere Verläufe und Spitalsaufenthalte nach sich ziehen. "Besonders gefährdet sind natürlich Kinder mit Risikofaktoren, beispielsweise Kinder mit Lungenerkrankungen, Herzfehlern, allgemeiner Infektionsneigung oder Krebserkrankungen."

"Es ist keine Frage, dass Covid-19 bei Kindern viel häufiger mild verläuft", schildert auch Maria Paulke-Korinek, Leiterin Abteilung für Impfwesen im Gesundheitsministerium und Mitglied des Nationalen Impfgremiums. Im direkten Vergleich mit anderen Kinderinfektionskrankheiten, etwa Rotaviren oder Meningokokken, stelle Covid-19 derzeit die weitaus größere Gefahr da. "Diese Erkrankungen kommen deutlich seltener vor und gegen sie werden Kinder routinemäßig geimpft."

Es sei ein im Grunde einfaches Zahlenspiel, sagt Götzinger: "Je höher die Infektionszahlen in der Gesamtbevölkerung, desto mehr Kinder sind potenziell schwerer von Covid-19 betroffen." Das gelte es gerade im Hinblick auf die neue, stark mutierte und wohl besonders ansteckende Omikron-Variante zu beachten.

Psyche im Ausnahmezustand

Neben potenziellen körperlichen Auswirkungen des Virus leiden Kinder und Jugendliche auch seelisch, unterstreicht Susanna Öllinger, Bundesschulsprecherin und AHS-Landessschulsprecherin in Oberösterreich.

"Es gibt viele Unsicherheiten mit denen Schülerinnen und Schüler aller Schulstufen und -arten konfrontiert sind. Neben Tests und Schularbeiten bereiten ihnen die hohen Infektionszahlen, die Ansteckungsgefahr in der Schule, Quarantäne-Regeln aber auch die Angst vor erneuten Schulschließungen große Sorgen."

Als Ort der Begegnung sei die Schule ein besonders schützenswerter Platz. "Präsenzunterricht bietet Halt und Struktur. Um ihn aufrecht zu erhalten, ist die Impfung eine Schlüsselkomponente", sagt Öllinger, die seit einer Corona-Infektion im März 2020 selbst an Langzeitfolgen wie Kurzatmigkeit und Müdigkeit laboriert.

Der gesellschaftliche Corona-Konflikt mache vor den Schulen nicht Halt.

Öllinger plädiert für intensive Impf-Aufklärung an den Bildungseinrichtungen, um den Schülerinnen und Schülern die Chance zu geben, sich "eine faktenbasierte eigene Meinung zu bilden".

Fake News müssten in verpflichtenden Elterngesprächen mit Schulärztinnen und Schulärzten aufgeklärt werden: "Gerade bei jüngeren Kindern spielt das Elternhaus bei der Impf-Entscheidung eine große Rolle. Jedes Gespräch, das zu einer Impf-Überzeugung führt, hat einen Mehrwert für die Gesamtgesellschaft", sagt Öllinger.

Grippe trifft auf Corona

Nachdem die Grippe in Österreich und Europa aufgrund von Reise- und Kontaktbeschränkungen im vergangenen Winter quasi nicht zirkulierte, blicken Expertinnen und Expertinnen heuer mit größerer Sorge auf die Influenza-Saison.

"Vergangenes Jahr wurden sämtliche Viren, die sonst die Nasen unserer Kinder und auch unsere eigenen heimsuchen, zurückgedrängt", schickt Monika Redlberger-Fritz, Leiterin des Nationalen Referenzlabors für die Erfassung und Überwachung von Influenza-Virusinfektionen und Mitglied des Nationalen Impfgremiums, voraus.

"Heuer zeigt sich mit Blick auf die Influenza schon jetzt ein anderes Bild."

So grassiere das Grippevirus bereits in weiten Teilen Russlands, auch in Schweden gebe es regionale Ausbrüche, ebenso wie in Deutschland, Frankreich und Portugal. Schon jetzt müssten deswegen einige Dutzend Menschen intensivmedizinisch behandelt werden, Kinder bis vier Jahre seien hier stark betroffen.

"Die Grippe ist ein reisendes Virus. Es ist anzunehmen, dass es in Kürze nach Österreich eingeschleppt wird. Da bahnt sich etwas an." Wann und in welchem Ausmaß die Grippe-Saison hierzulande aufschlagen werde, sei noch nicht prognostizierbar.

Laut Redlberger-Fritz werde man im heurigen Winter jedenfalls erstmals damit konfrontiert, dass die Grippe und das Coronavirus gleichzeitig zirkulieren. "Das bedeutet, dass das Risiko für Doppelansteckungen, von denen wir erwarten, dass sie besonders schwer verlaufen, steigt."

Weil das menschliche Immunsystem mit der Bekämpfung beider Erreger überfordert sei, "kann es zu einer massiven Entzündungsreaktion kommen".

Die gute Nachricht: Sowohl gegen die Grippe als auch gegen Covid-19 steht eine wirksame Prophylaxe zur Verfügung. Erwachsene und Kinder ab sechs Monaten seien gut beraten, sich beide Impfungen abzuholen, sagt Redlberger-Fritz. Die Vakzine können gleichzeitig verabreicht werden. "Man kann natürlich pragmatisch agieren und etwaige harmlose Impf-Reaktionen abwarten und einige Tage später den zweiten Stich setzen."

Kleinere Kinder unter fünf Jahren gegen die Grippe impfen zu lassen sei auch deshalb wichtig, weil für diese Altersgruppe noch kein Covid-Impfstoff zugelassen ist, bekräftigt Paulke-Korinek: "Hier sind die Studien noch nicht weit genug fortgeschritten. Man weiß noch zu wenig über die genaue Dosierung und Verträglichkeit. Umso wichtiger ist es, dass sich das Umfeld von kleineren Kindern gegen Corona impfen lässt."

Schutzwirkung in Omikron-Zeiten

Unklar ist aktuell, welcher Zeitabstand für die Booster-Impfung bei Kindern und Jugendlichen vonseiten des Nationalen Impfgremiums empfohlen werden wird. Paulke-Korinek: "Wir sind hier in intensiven Diskussionen, denen ich nicht vorgreifen möchte." Wie Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein in einer Pressekonferenz am Dienstag informierte, wird das Nationale Impfgremium wohl am Mittwoch die dritte Teilimpfung ab zwölf Jahren empfehlen. Der Booster-Shot soll auch in dieser Altersgruppe vier Monate nach der zweiten Impfung gegeben werden.

Genesenen Kindern und Jugendlichen könne die Impfung laut Paulke-Korinek ab vier Wochen nach dem positiven PCR-Test verabreicht werden.

Laut neuesten Untersuchungen reichen zwei Dosen nicht aus, um die Omikron-Variante zuverlässig abzuwehren. Sind Kinder und Jugendliche ohne Booster noch ausreichend vor Omikron geschützt? Dazu gibt es momentan noch keine aussagekräftigen Daten, sagt Redlberger-Fritz.

"Kinder haben in der Regel nach der Zweitimpfung sehr hohe Antikörperspiegel, weswegen wir davon ausgehen, dass sie vergleichbar gut vor Omikron geschützt sind – wie Erwachsene mit drei Stichen. Wann die Antikörper-Spiegel bei ihnen abfallen, ist noch nicht ausreichend erforscht."

 

Angepasste Präparate

Die angepassten Covid-Impfstoffe für Kinder befinden sich derzeit in Auslieferung. Über 250.000 Dosen werden nach Österreich gelangen. Sie enthalten denselben Wirkstoff in geringerer Dosierung und eine andere Puffersubstanz (Stabilisator), der die Lagerung erleichtert.

"Das ist für die Verabreichung in Summe extrem praktisch", sagt Paulke-Korinek. Schmitzberger hofft, "dass der Kinder-Impfstoff nicht nur in den Impfstraßen, sondern bald auch im niedergelassenen Bereich verfügbar ist".

Wien startet am Donnerstag (16. Dezember) mit der Verimpfung des Covid-Kinderimpfstoffs ohne Anmeldung. Für alle Kinder ab fünf Jahren wird die Impfung an mehreren Standorten in der Bundeshauptstadt ohne Termin möglich sein.

Deutsche Bestimmungen

Für Verwirrung sorgt immer wieder die Tatsache, dass die Ständige Impfkommission in Deutschland bei den Covid-Impfungen für Kinder zurückhaltender agiert. Dort werden Corona-Impfungen nur für Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren mit bestimmten Vorerkrankungen empfohlen.

Paulke-Korinek dazu: "Die Empfehlungen sind in Österreich deswegen anders, weil wir brillante Kinderärzte haben, die unverzüglich umfassende Daten zur Covid-Krankheitslast bei Kindern zur Verfügung gestellt haben und es uns so ermöglicht haben, das Nutzen-Risiko-Profil genau zu kalkulieren. Wir haben sichere, effektive Impfstoffe, die für Kinder exzellent verträglich sind. Und wir haben Kinder, die kurz- und langfristig stark unter Covid-19 leiden. Für das Nationale Impfgremium spricht daher alles für die Impfung von Kindern."

Eltern, die Bedenken haben, rät Götzinger den Arzt ihres Vertrauens aufzusuchen: "Der Kinderarzt oder der praktische Arzt, der die ganze Familie betreut, sollte die erste Anlaufstelle sein, um sich am Ende gut informiert entscheiden zu können."

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