Debatte um Impfpflicht-Gesetzesentwurf: Angst reicht nicht für ein Attest
Der Gesetzesentwurf zur Corona-Impfpflicht schlägt Wellen. Mit besonderem Interesse wird jene Passage beäugt, die regeln soll, welche Ärztinnen und Ärzte künftig davon entbinden dürfen. Geplant scheint derzeit, dass neben Allgemeinmedizinern unter anderem auch Psychiaterinnen und Psychiater eine solche Befreiung ausstellen dürfen.
Bei der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) zeigt man sich angesichts der anvisierten Regelung zurückhaltend.
"Grundsätzlich kann jeder Facharzt ein Attest schreiben", schickt Christa Rados, Leiterin der Psychiatrie am LKH Villach und Vorstandsmitglied der ÖGPP, voraus. "Die Frage ist, was dann damit passiert – ob man damit beispielsweise noch zur Prüfung zum Amtsarzt muss."
Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres formuliert es am Dienstag im Mittagsjournal auf Ö1 deutlicher: "Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, wenn jeder niedergelassene Arzt eine Impf-Befreiung ausstellen kann." Die Ausstellung von Impf-Befreiungsattesten gehöre "in die Hände von Amtsärzten", wird Szekeres zudem in einer aktuellen Aussendung der Ärztekammer zitiert. Denkbar sei auch, dass Chefärzte der Krankenkassen entsprechende Atteste ausstellen. Wichtig sei jedenfalls, klar zu definieren, wer sich nicht impfen lassen darf.
Zuständigkeit klären
Georg Psota, Psychiater und Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD), glaubt nicht, dass Menschen mit relevanten psychischen Erkrankungen bald die Ordinationen stürmen. Vielmehr könnten Impfgegner versuchen, über Psychiaterinnen und Psychiater an ein Attest zu gelangen. "Wir machen die Erfahrung, dass Menschen mit verschiedensten psychischen Erkrankungen die Impfung nicht nur gut, sondern exzellent annehmen. Das beobachten wir beim PSD und hören es auch aus anderen Einrichtungen."
Angst ist kein Grund
Psychische Erkrankungen seien laut Rados und Psota ohnehin kein Ausschlussgrund für eine Impfung. "Es gibt bei keinem der zugelassenen Impfstoffe Daten, die belegen, dass eine psychische Erkrankung gegen eine Verabreichung spricht", präzisiert Rados. Gefühle von Unbehagen seien zweifelsfrei unangenehm, "fallen aber nicht in das Fachgebiet der Psychiatrie". Nicht jeder, der Angst hat, sei psychisch krank, auch wenn es Krankheitsbilder gebe, bei denen Angstzustände vorherrschen. Rados: "Bei einer extrem ausgeprägten Nadelphobie stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit, allerdings würde man hier den Weg der Begleitung einschlagen, um zu entlasten."
Unterstützende Maßnahmen hält auch Psota für äußerst sinnvoll. "Ich möchte nicht ausschließen, dass es ganz spezifische, sehr seltene Zustandsbilder geben kann, wo man im Extremfall vielleicht sogar von einer Immunisierung absehen und auf Strafen verzichten muss."
Psychiatrische Zustände, die vorübergehend auftreten – etwa akute Suizidalität oder Psychosen – müssen laut Rados umgehend behandelt werden. "Das gilt es zeitlich zu berücksichtigen."
Risikogruppen
Bei den allermeisten Patientinnen und Patienten herrsche keine Angst vor der Impfung vor, sondern vielmehr eine Angst vor Covid-19. "Oder, dass wegen der Pandemie bestimmte Behandlungen nicht mehr möglich sind", weiß Psota. Erwiesen ist inzwischen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen eher schwere Verläufe erleiden. Sie seien daher besonders gut beraten, sich impfen zu lassen, betont Rados: "Man würde ihnen potenziell schaden, wenn man sie ausschließen würde."
In Österreich ist bei der Versorgung psychisch kranker Menschen viel gelungen. Psota: "Sie wurden rasch nach Zulassung der ersten Impfstoffe priorisiert und waren froh, dass auf sie geschaut wurde – entsprechend dankbar haben sie das Angebot angenommen."
Psota plädiert dafür, "auf Menschen, die schlicht und einfach sehr, sehr große Angst vor der Impfung haben", zuzugehen. "Ich will die Impfangst nicht ins psychiatrische Eck stellen, aber ich halte viel davon, Personen, die sich sehr fürchten eine extra Einzelberatung zukommen zu lassen – oder sie in einem spezifischen Umfeld zu impfen, wo auf ihre Ängste Rücksicht genommen werden kann. Ich denke beispielsweise an Menschen mit Agoraphobie (Angst vor öffentlichen Plätzen, Anm.), die sich zwar gerne impfen lassen, aber nicht in einer Impfstraße. Hier gilt es, individuelle Lösungen zu finden."
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