Schwerkrank in der Pandemie: Hoher Leidensdruck, kein OP-Termin
Viele herzkranke Menschen leben derzeit in ständiger Angst. "Eine Vorerkrankung dieses lebenswichtigen Organs kann sehr schnell in eine Akutsituation münden, wenn notwendige operative Eingriffe aufgeschoben werden", weiß Walter Hasibeder, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI).
Für einen Salzburger wurde dieses bedrohliche Szenario kürzlich tragische Realität.
"Während er auf eine Bypass-Operation gewartet hat, hat er einen Herzinfarkt erlitten und ist leider auch daran verstorben", beschreibt Hasibeder, der die Abteilung für Anästhesie und operative Intensivmedizin im Krankenhaus Zams in Tirol leitet. Der Fall sei beispielhaft für die aktuelle Lage: "Es ist anzunehmen, dass solche Dinge in ganz Österreich passieren."
Kratzen an der Belastungsgrenze
Trotz sinkender Corona-Neuinfektionszahlen bleibe die Situation in den Spitälern "massiv angespannt": "Momentan kommen immer noch neue Covid-Patienten auf die Intensivstationen." Auch auf den Normalstationen werden weiterhin etliche Corona-Patienten betreut, die in den kommenden Tagen intensivpflichtig werden könnten. Das sei nicht überraschend, sagt Hasibeder: "Ab der Ansteckung dauert es bis zu 14 Tage, bis infizierte Patientinnen und Patienten bei uns ankommen."
Genaue Zahlen, wie viele Operationen wegen mangelnder Intensivbetten derzeit verschoben werden müssen, gibt es nicht. Hasibeder geht davon aus, dass die Operationskapazitäten im Schnitt um rund 30 bis 40 Prozent reduziert sind. In Salzburg und Oberösterreich sei die Situation im Vergleich zum Rest Österreichs verschärft. Dort besprechen Triage-Teams in Notaufnahmen, wer ein frei werdendes Intensivbett bekommt und wer provisorisch im Aufwachraum behandelt und stabilisiert oder in ein anderes Krankenhaus verlegt werden muss. Ähnlich die Situation auf Krebsstationen, wo entschieden werden muss, wer unmittelbar operiert wird – und wer nicht.
"Das ist ganz klar nicht die Behandlungs- und Versorgungsqualität, die wir in Österreich gewohnt sind", betont Hasibeder, dessen Intensivstation im Krankenhaus Zams derzeit zu 50 Prozent mit Covid-Patienten belegt ist. "Wir entscheiden bei uns auf täglicher Basis im Austausch mit den Chirurgen, was an Operationen zu schaffen ist."
Im Krankenhaus mussten am Donnerstag (2. Dezember 2021) österreichweit 3.241 Patientinnen und Patienten wegen einer Corona-Infektion behandelt werden. Das sind um 135 Personen weniger als tags zuvor, die Lage ist mit Blick auf die Intensivstationen immer noch kritisch: Weit über 600 Menschen brauchten am Donnerstag eine Intensivbehandlung. Um zwölf Patientinnen und Patienten weniger als am Mittwoch, allerdings war diese Zahl innerhalb einer Woche um 18 Personen angestiegen.
Folgenschweres Warten
Krebs- und Herzpatienten benötigen Operationen am dringendsten, ebenso wie Patientinnen und Patienten mit Schmerz- und Lähmungserscheinungen. Letztere benötigen laut Hasibeder nach dem Eingriff aber in der Regel kein Intensivbett. Kleinere Eingriffe, etwa Metallentfernungen nach einem Knochenbruch oder auch Knie-OPs, werden derzeit ohnehin nicht durchgeführt.
Für Herzpatienten ist das Warten – wie eingangs schon erwähnt – besonders prekär. "Eine Herz-OP ist ohne Intensivbett schlicht nicht möglich", sagt Christoph Holzinger, Präsident der Österreichischen Herzmediziner-Gesellschaft (ÖGHTC). "Der Patient braucht zumindest eine Nacht lang intensivmedizinische Versorgung. Weniger Intensivbetten heißt also immer: weniger Eingriffe." Bleiben Herzerkrankungen unbehandelt, kommen Betroffene oft in einem schlechteren Zustand zur OP. Holzinger: "Das Operationsrisiko steigt – und die Patienten wissen das auch."
In einer gemeinsamen Aussendung mit der ÖGARI betonten Österreichs Herzmediziner am Donnerstag zudem, dass "alle Schwerkranken das Recht auf bestmögliche Versorgung haben".
Vorsichtiger Optimismus
Dennoch: Hasibeder und Holzinger blicken zumindest vorsichtig optimistisch in die Zukunft. "Ich will so etwas nie wieder erleben müssen, aber wir sind auf einem guten Weg", sagt Hasibeder. "Es wird sicherlich besser werden", meint auch Holzinger. Im Laufe der kommenden Woche sollten sich die Infektionszahlen nochmals deutlich reduzieren. Mit etwas Verzögerung wird sich das auch auf den Intensiv- und Normalstationen bemerkbar machen.
Voraussetzung für eine Stabilisierung der Lage sei laut den Experten, dass die Maskenregelung auch nach einem – von der Politik mit Umsicht gesetzten – Ende des Lockdowns für Geimpfte aufrecht bleibt. Man müsse zudem die Versorgungskapazitäten der Spitäler weiterhin im Auge behalten.
"Und dann hängt natürlich auch alles davon ab, wie viele Menschen sich jetzt solidarisch zeigen und sich erst- oder auffrischungsimpfen lassen. Erst wenn wir eine Durchimpfungsrate von rund 90 Prozent wie in Portugal oder Spanien erreicht haben, werden wir wieder ein normales Leben führen können", sagt Hasibeder. Es sei aus seiner Sicht nicht zu akzeptieren, "dass sich ein derart großer Teil der Bevölkerung angesichts dieser dramatischen Krise nicht impfen lassen möchte".
Und auch Holzinger findet klare Worte: "Das Impfen ist die einzige Chance, langfristig etwas gegen diese Pandemie zu tun."
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