Wie Sie jetzt Ihre Widerstandskraft steigern können
„Immer hören wir, dass es keinen Impfstoff und kein Medikament gegen das Coronavirus gibt“, sagt der Neurologe Wolfgang Lalouschek, Vorstand der Fakultät für Psychosomatik der Sigmund Freud Privatuni in Wien und Leiter des Gesundheitszentrums The Tree. „Dabei wird übersehen, dass wir gerade jetzt etwas tun können, um unsere Widerstandskraft zu steigern und die Rate schwerer Infektionen zu senken.“ Lalouschek hat mit einem Medizinerteam eine Literaturrecherche zu den Auswirkungen einzelner Lebensstilmaßnahmen auf das Immunsystem durchgeführt. Daraus hat er ein „21-Tage-Programm“ mit Tipps für jeden Tag entwickelt. „Wir sind mit Firmen und Gemeinden im Gespräch, die so ein Programm ihren Mitarbeitern bzw. Einwohnern anbieten möchten.“
Lesen Sie nachstehend, welche konkreten Auswirkungen einzelne Lebensstilveränderungen haben:
Moderates Ausdauertraining
Unser Immunsystem wehrt Krankheitserreger mit Abwehrzellen (etwa Lymphozyten) und mit Antikörpern (Immunglobulinen) ab. Lalouschek: „Moderates Ausdauertraining mobilisiert beide Komponenten der Immunabwehr und reduziert Mediatoren – Botenstoffe – chronischer Entzündung.“
Gleichzeitig wird die Blutzirkulation auch in den kleinen Gefäßen verbessert. Die Sauerstoffmenge, die an das Hämoglobin (roter Blutfarbstoff) gebunden ist, erhöht sich um bis zu 30 Prozent. „So können z. B. auch Patienten mit Herzschwäche nach einem medizinisch angeleiteten vierwöchigen Ausdauertraining eine um bis zu 60 Prozent erhöhte Leistungsfähigkeit haben – das kann den Unterschied zwischen einem leichten und schweren Krankheitsverlauf ausmachen.“ Achtung: „Das Training darf nicht zu intensiv sein – eine vorübergehende Beeinträchtigung des Immunsystems kann die Folge sein.“
Ernährung
„Durch eine Umstellung der Ernährung kann man die Aktivität des Immunsystems um bis zu 50 Prozent stärken“, sagt Lalouschek: „Wenig rasch verwertbare Kohlenhydrate (z.B. Süßspeisen, Marmeladen, Weißmehlprodukte, Fruchtsäfte), dafür aber Vielfalt beim Gemüsekonsum, ungesättigte Fettsäuren (z.B. in Lein-, Raps- oder Olivenöl) und Intervallfasten haben positive Effekte auf das Immunsystem.“ Bei diesem Kurzzeitfasten könne man z. B. das Abendessen oder zumindest die Kohlenhydrate am Abend weglassen. „Das verbessert innerhalb weniger Wochen die Stoffwechselsituation, was für stark übergewichtige Menschen besonders wichtig ist.“ Insulinresistenz, Entzündungswerte, Anfälligkeit für Infektionen: Das alles verbessert sich durch so eine Umstellung. Und auch das Mikrobiom (Vielfalt der Darmmikroorganismen) wird gefördert: „Das hat auf das Immunsystem und die Psyche positive Auswirkungen.“
Schlaf
Ausreichend Schlaf senkt das Risiko für chronische, niedrigschwellige Entzündungen. „Er ist wichtig, damit Abwehrzellen (T-Lymphozyten) ausreifen können.“ Bei gestörtem Schlaf-Wach-Rhythmus ist die Immunantwort verringert. „Gleichzeitig wird der Abbau von Blutzucker gestört, die Impulskontrolle ist verringert, es entsteht ein Heißhunger nach süßem und fettem Essen.“ Aber auch zu viel Schlaf ist nicht gut – und kann Depressionen fördern, erläutert der Neurologe.
Psyche
„Das Gefühl, einer Situation ausgeliefert zu sein und diese nicht beeinflussen zu können, hat ebenfalls Auswirkungen auf das Immunsystem“, sagt Lalouschek. „Die Folge sind Entzündungsreaktionen und erhöhte Infektanfälligkeit – sie kann sich über einen Zeitraum von einem Monat verdoppeln.“ Aktivität, Erfolgserlebnisse und Freude erhöhen hingegen den Spiegel von Abwehrzellen und Abwehrstoffen: „Aktion ist das beste Mittel gegen Angst: Setzen Sie sich kleine Tagesziele, etwa Bewegung zu machen, gezielt das oder jenes zu erledigen, etc. Dann bekommen Sie das Gefühl, Ihr Leben – wieder – im Griff zu haben.“
Stressregulation
Achtsamkeitsmeditationen, Entspannungsübungen, Tai Chi, Yoga: „Regelmäßige Meditation führte in einer Studie zu einer bis zu 70 Prozent höheren Konzentration an Abwehrzellen und höheren Antikörperspiegeln.“ Auch einfache Atemübungen helfen: „Atmen Sie langsam ein und zählen Sie dabei bis fünf. Halten Sie die Luft zwei Sekunden an, atmen Sie dann langsam aus. Machen Sie das drei Minuten lang.“ Damit könne man den Entspannungsnerv (Vagusnerv) stimulieren. „Machen Sie so einen Zyklus zwei Mal am Vormittag, am Nachmittag, am Abend – je öfter, umso stärker ist der positive Effekt.“
Soziale Gesundheit
„Konflikte in Beziehungen schwächen die Immunabwehr“, erläutert der Neurologe: „Versuchen Sie, Konflikte nicht anzuheizen und auch in Belastungssituationen einen respektvollen Umgang beizubehalten. Das ist nicht nur für die Psyche, sondern auch für die Abwehrkraft gut.“ Wer ihm liebe Menschen derzeit nicht sehen kann, könne ihnen in einer Achtsamkeitsmeditation – „ähnlich wie in einem Gebet“– gute Gefühle und Gedanken schicken. „Das stärkt die emotionale Verbundenheit und lindert den Schmerz, dass man sich nicht treffen kann.“ Auch das Schreiben von Briefen drücke tiefe Verbundenheit aus.
„All dies kann uns nicht völlig vor dem Virus schützen, aber es ist plausibel, dass es unsere Fähigkeit, die Infektion zu bewältigen, deutlich stärken kann.“ Lalouschek betont aber, dass Personen mit Vorerkrankungen deutliche körperliche Umstellungen (Training, Ernährung) nur in Absprache mit ihrem Arzt beginnen sollten.
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