Die Psychologie des Hausarrests

Ob jung oder alt: Wer unter Quarantäne steht, braucht Struktur – und Beschäftigung.
Was dem isolierten Menschen im Alltag daheim zu schaffen macht – und wie man der Quarantäne-Krise entrinnen kann.

Das Q-Wort ist dieser Tage in aller Munde. Denn solange weder Medikament noch Impfstoff gegen das Coronavirus gefunden wurden, ist die Isolation infizierter – potenziell angesteckter – Menschen eine der wenigen Möglichkeiten, dessen Ausbreitung einzudämmen. Für Betroffene (mit Krankheitssymptomen) fällt dann nicht nur arbeiten flach (Details siehe unten). Direkte Kontakte zur Außenwelt müssen eingestellt, die eigenen vier Wände dürfen nicht verlassen werden.

Klingt verlockend, wird da so mancher denken – und dabei unterschätzen, dass eine vorübergehende Quarantäne schnell zur Belastungsprobe werden kann. Typische Stressfaktoren sind Infektionsängste (oder Schuldgefühle, jemand anderen angesteckt zu haben), Langeweile, Frust, Versorgungsängste, berufliche Unsicherheiten – die Stigmatisierung von außen. "Langeweile kommt einem vor wie ein Traum, wenn man arbeitet. Das ändert sich in der Quarantäne schnell. Denn Nichtstun kann die Hölle sein, wenn es nicht frei gewählt ist. Das zeigt sich oft schon am Ende des ersten Tages", sagt Lebenscoach Roman Braun.

Mit mitunter extremen Auswirkungen auf den Körper: "Zuerst steigt der Cortisolspiegel. Dieses zentrale Stresshormon im menschlichen Organismus nimmt alle anderen Hormone mit", weiß Braun. So wird etwa das Bindungshormon Oxytocin in geringerem Maß ausgeschüttet, danach sinkt das Level der Glückshormone Serotonin und Endorphin im Blut.

Sozial isoliert

"Diese hormonellen Veränderungen lassen Blutdruck und Puls in die Höhe schießen. Das Risiko für Depressionen und Angststörungen steigt, selbst wenn man psychisch gesund ist", sagt Braun. Studien aus Kanada, die nach der SARS-Pandemie in den Jahren 2002 und 2003 durchgeführt wurden, belegen sogar, dass ein Drittel der dort unter Quarantäne gestellten Menschen Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickelte.

Auch das Immunsystem hat mit der unverschuldeten Einzelhaft zu kämpfen: "Die Infektanfälligkeit schwillt unter Quarantäne an, selbst bei jungen, gesunden Menschen", erklärt Braun. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass man unter Belastung schlechter schlummert. Das schraubt nicht nur die kognitive Leistungsfähigkeit herunter und sorgt für emotionale Verstimmtheit. "Auch die Abwehrkräfte beginnen zu schwächeln."

Alltag neu denken

"Quarantäne ist eine ungewöhnliche Lebenssituation, weil der Mensch noch keine geeigneten Muster dafür entwickelt hat und nicht weiß, wie er sich verhalten soll", sagt Georg Hafner, Klinischer und Gesundheitspsychologe. Wie sehr wir die physische Präsenz von anderen genießen, werde uns oft erst bewusst, "wenn uns die Möglichkeit dazu entzogen wird".

Die gute Nachricht: Neue Muster lassen sich erlernen. "Ich würde zuallererst raten, während der Quarantäne Kontakte über das Telefon oder Internet zu suchen, um den Mangel an persönlichem Austausch zu kompensieren."

Jeder, der wegen einer Erkältung schon einmal länger daheim war, weiß: Irgendwann wird's langweilig. Erst recht, wenn die Symptome schon sehr mild sind. Bei vielen Coronavirus-Infizierten ist genau das oft von Beginn der Ansteckung an der Fall. "Hier ist wichtig, die Gedanken in eine positive Richtung zu lenken. Und eine Tagesstruktur aufrechtzuerhalten", betont Hafner. Also, zu einer gewissen Zeit aufzustehen, aus dem Pyjama zu schlüpfen und den Tag grob zu planen.

Zur Beschäftigung bieten sich Bücher an, ebenso wie das Aussortieren vollgestopfter Kästen oder Aufräumen vernachlässigter Laden. "Man kann auch eine alte DVD zur Hand nehmen, Gesellschaftsspiele herauskramen oder ein Puzzle beginnen", rät Hafner.

Ruhe bewahren

Bei Kindern verlaufen Corona-Ansteckungen mild. Wird eine Quarantäne nicht als Vorsichtsmaßnahme verhängt, sondern weil der Nachwuchs erkrankt ist, sollten Eltern empathisch auf kindliche Sorgen eingehen.

Struktur geben

Eine präventive Quarantäne ist nicht mit Ferien zu verwechseln. Kinder bekommen Aufgaben und Hausübungen, die zu erledigen sind. Danach kann der Tag mit gemeinsamen Aktivitäten verbracht werden. Etwa Brot backen, musizieren, Filme schauen, Bücher lesen oder Puzzles zusammenbauen.

Kommunikation erlauben

Jedenfalls ratsam ist, Kinder elektronisch mit Freunden kommunizieren zu lassen. Das normalisiert die Lage.

In der chinesischen Stadt Wuhan, wo das Coronavirus erstmals auf den Menschen übersprang, sind Online-Videospiele derzeit besonders gefragt. Kann die Flucht in virtuelle Welten als Ablenkung dienen? "Alles, was Freude macht, ist zu begrüßen. Letztlich geht es um die Selbstfürsorge – darum, das zu tun, was einem guttut."

Verordnetes Retreat

Was viele nicht wissen: Augenkontakt reduziert Stresshormone. Weswegen es grundsätzlich vorteilhaft ist, nicht allein unter Quarantäne zu stehen. Der Nachteil: In derartigen Extremsituationen kommt es oft zu Konflikten – zum sogenannten Lagerkoller. "Bevor die Lage eskaliert, sollte man die Notbremse ziehen", sagt Coach Braun. "Indem man sich nicht beleidigt anschweigt, sondern den Konflikt anerkennt und versteht, dass Quarantäne ein schlechter Kontext ist, um ihn auszudiskutieren."

Im Idealfall legt man den Streit bei, um sich später in geordnetem Rahmen damit zu befassen. "Man kann die Zeit auch nützen, etwa für Meditation, Yoga und Atemübungen." Dinge, für die sonst ohnehin wenig Zeit bleibt. Hafner: "Man sollte sich aber auch nicht gezwungenermaßen dauerbeschäftigen. Nichtstun kann reizvoll sein und ist in der Gesellschaft in den vergangenen Jahren ohnehin ins Hintertreffen geraten."

In der Krise liegt also wie so oft auch eine Chance.

Wenn Sie in einer Sperrzone wohnen und diese zum Arbeitsantritt verlassen müssten, ist das ein Dienstverhinderungsgrund, der dem Arbeitgeber mitgeteilt werden muss. Wenn Ihre Firma in einer Sperrzone liegt, dürfen Sie auch nicht arbeiten gehen.

Sie bekommen Gehalt, wenn Sie wegen einer Corona-Quarantäne nicht arbeiten können, muss der Arbeitgeber Ihr Entgelt weiterzahlen. Die Firma bekommt die Kosten ersetzt.
 
Sie müssen Homeoffice machen, wenn Sie arbeitsfähig sind und es eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag gibt. Wenn dies nicht so ist, gilt ein Homeoffice als Verlegung des Arbeitsortes und muss vereinbart werden. Angesichts der Lage empfiehlt die Arbeiterkammer, eine Einigung zu suchen.

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