Schulschließungen: Wie werden unsere Kinder zu Hause lernen?
Seit der Ankündigung von Schulschließungen herrscht in den Facebook-Gruppen von Lehrern Aufregung. Sie sollten "Übungsmaterialien zur Festigung und Vertiefung des Lernstoffes vorbereiten, die sie den Schülern mit nach Hause geben oder über digitale Kanäle zur Verfügung stellen können, forderte Unterrichtsminister Faßmann sie auf. Wie werden die nächsten Wochen ohne Schule ablaufen, fragen sich auch die Eltern.
"Wir bereiten eine Webseite für Oberstufenschüler vor mit vielen Übungsbeispielen. Bei den Maturanten wird es eine besondere Regelung heuer geben. Bei den 6- bis 14-Jährigen findet kein Unterricht statt und die Kinder sollen zu Hause betreut werden. Wenn das nicht geht, werden sie aber in der Schule betreut. Es wird kein neuer Stoff vermittelt, sondern weiterhin der bisherige Stoff wiederholt und vertieft", sagte Faßmann bei der Pressekonferenz über die Schulschließungen. Sofort entbrannt eine Diskussion über die Online-Möglichkeiten.
Anna Gawin von DaVinciLab sieht diese Krise als eine Chance: "Es gibt manche Lehrer und Schulen, die beim Einsatz von Online-Angeboten schon sehr weit sind. Die tun sich jetzt nicht so schwer. Andere haben da kaum etwas angeboten." Die Managerin und Mutter arbeitet seit Jahren daran, das digitale Lernen in Österreichs Schulen zu verankern.
Wie gut geht das schon in der Volksschule? "Digitale Medien werden schon dort eingesetzt. Es gibt eine Lernplattform und App namens "Anton", die den Stoff sehr gut abdeckt. Lehrer und auch Eltern können sie ganz leicht verwenden und sie wurde von der Europäischen Union mitfinanziert, ist also werbefrei. Der Stoff wird spielerisch und sehr kinderfreundlich vermittelt, meine Tochter liebt es, so Mathematik zu üben. Ich habe den Stoff aus ihrem Lehrbuch und die App verglichen und es passt genau zusammen."
Viele Schulen haben auch eine Schullizenz für das Antolin-Programm, bei dem die Kinder Quizfragen über gelesene Bücher beantworten, sowie die Rechen-Plattform Zahlenzorro. Beide können Eltern auch selbstständig kaufen, falls die Schule dort einen Nachholbedarf hat und sie sich Sorgen um den Lernfortschritt machen.
Online üben
Im Gymnasium und der Mittelschule ist der Lerndruck jedenfalls höher als in der Volksschule, der Stoff in den Hauptfächern muss weitergebracht werden, vor allem, wenn es um die Maturavorbereitung geht.
Als Ergänzung zu den Schulbüchern gibt es bei den meisten Verlagen Online-Übungsmaterial. So gilt der Helbling-Verlag mit seinem Englisch-Programm "More" als deutlicher Marktführer und als Vorreiter mit seinem Online-Angebot. Doch viele Lehrer setzen das Zusatz-Angebot gar nicht ein. Sie können sogar Hausübungen über das Programm geben: Dafür geben sie die Übungen für die Klasse frei und können von jedem einzelnen Schüler sehen, wie gut er die Ausgaben erledigt hat. Aber man braucht dazu den Lehrer gar nicht: Schüler können mit ihrem Passwort von der Schule auch selbstständig auf der Webseite die Übungen zum Trainieren erledigen. Die Ergebnisse sehen nur die Schüler selbst, nicht die Lehrer.
Für die jüngeren Jahrgänge gibt es sogar eine App zum Herunterladen, mit der man zusätzlich zum Computer-Programm auch am Handy üben kann. Jetzt ist übrigens ein guter Zeitpunkt, um nach etwaigen Logins und Passwörtern zu fragen, falls die Schüler sie nicht haben oder finden.
Bei Direktorin Isabella Zins am BORG Mistelbach wird das nicht nötig sein: "Es wird online mit den Schülern kommuniziert. Hier haben die meisten Schulen zum Glück bereits eigene Lösungen, die nun massiv zum Einsatz kommen wie die Schul-Lernplattformen Moodle, das Nachrichtenprogramm Webuntis und Mailadressen für alle. Die Schule stellt Lernpakete bereit." Auch Rainer Graf, Direktor des Schulzentrum Ybbs und ebenfalls Mitglied im KURIER-Bildungsbeirat, ist zuversichtlich für das Home-Schooling: "Da bei uns die Onlinekommunikation mit unseren Schülern bereits sehr gut ausgebaut ist, sind wir gut auf eine eventuelle Schließung vorbereitet. Wir haben eine pädagogische Konferenz, in der wir Möglichkeiten des Ausbaus des Onlineunterrichts besprechen und vorstellen."
Gawin schwärmt von den Möglichkeiten, die das Office-Paket für Schulen bietet, gratis in einer Basisversion und in vielen Schulen ohnehin vorhanden. Da können Lehrer und Schüler kommunizieren, Dokumente hochladen, im Team arbeiten, so wie in einem Unternehmen - "und es ist ganz einfach zu handhaben. Man muss sich nur mal drübertrauen."
Doch es geht auch ohne aufwendige Programme, ist sie überzeugt: "Die Lehrer schicken ihren Schülern die Arbeitspakete. Im Internet gibt es eine Menge unglaublich guter Erklär-Videos, die Schüler sich anschauen können anstatt dass es ihnen der Lehrer erklärt. Am besten schickt der Lehrer die Links dazu schon mit. Wir sind dabei, solche Listen für Schulen zusammenzustellen."
Lernen ohne Lehrer?
Hier fehlt natürlich die Hilfe eines Lehrers. „Im Gegensatz zu einer Vorlesung lebt der Schulunterricht von Interaktion. Die kann man über Fernunterricht nicht so einfach nachbilden“, sagte der Vorsitzende der AHS-Lehrergewerkschaft, Herbert Weiß. Kritisiert wird auch, ob genug Kinder überhaupt zu Hause einen Computer haben.
Die Herausforderung wird auch sein, die Kinder zu Hause zum Lernen zu bringen. Gawin: "Es ist sicher sinnvoll, mit den Kindern einen Tagesplan auszumachen. Lernen am Vormittag wie in der Schule, für Volksschüler eine Stunde Mathe und eine Stunde Deutsch. Und bei den Älteren sollte es Aufgaben zu erledigen geben."
Neues wird voraussichtlich nicht unterrichtet. Aber vielleicht stellt sich bei den letzten Schularbeiten heraus, wo noch Nachholbedarf besteht. Gawin: " Aber wenn die Lehrer jetzt gar nicht weiterhelfen können, gibt es ein tolles Angebot - leider kostenpflichtig -, aber wirklich bahnbrechend: Bei der Plattform gostudent.org gibt es Online-Nachhilfe." Eine erste Schnupperstunde ist übrigens gratis.
Die älteren Schüler nützen die digitalen Medien ohnehin bereits. Jede Schulklasse hat ihre Lern-WhatsApp-Gruppe, in der sie sich austauscht, weiß Buchautor und Lehrer-App-Erfinder Benjamin Hadrigan. In seinem Buch "Lernsieg" erklärte er, wie er mit den sozialen Medien zum Einser-Schüler wurde und sie richtig benützt: "Instagram dient dem Vereinfachen und Strukturieren. Snapchat dient dem Abfragen. Das ist so konzipiert: Es geht schnell hin und her. 10 Sekunden, man sieht etwas und muss antworten. Schnell und spaßig. Und WhatsApp sehe ich als administrative Basis, wo man sich organisieren kann. Johannes macht das, Maria macht das. Apps wie Quizlet kann man für Karteikarten verwenden und es gibt tolle YouTube-Kanäle mit Erklär-Videos wie TheSimpleClub (lesen Sie hier das ganze Interview mit Benjamin Hadrigan oder sehen Sie sich unten das Video an).
Hadrigan: So lernt man mit Social Media
Doch man kommt auch mit wenig Internet aus, weiß Gawin: "Viele Volksschullehrerinnen haben die eMail-Adressen der Eltern. Jeden Morgen könnte die Frau Lehrerin eine Video-Botschaft an die Kids schicken, sie begrüßen und ihnen Aufgaben geben. Etwa: Aufgaben auf interaktiven Webseiten, Anton-App-Aufgaben, dazu Arbeitsblätter und Aufgaben wie ,Baue aus deinen Klötzen den höchstmöglichen Turm, miss ihn ab und schick mir das Foto'. Und natürlich Wissensaufgaben, etwa als Rätsel-Rally um die Welt."
Auch Gerda Reissner von der Mittelschule Schopenhauerstraße wird ihre Schüler offline versorgen vor: „Derzeit bereite ich Arbeitspläne vor, die ich jetzt den Schülern gebe. Sie sind als normale Wochenpläne und Schularbeitsvorbereitung deklariert.“
Wichtig ist, dass die Lehrer in Kontakt mit den Schülern bleiben, fordert Gawin: "Das Lernen kann auf keinen Fall an die Eltern ausgelagert werden. Es sagt ja niemand, dass die Lehrer nicht in die Schule kommen sollen und die Schüler online begleiten. Da müssen sie jetzt unbedingt zusammenarbeiten, es hat ja keinen Sinn, dass die Englisch- oder Mathelehrer derselben Schulstufe unterschiedliche Lernpakete zusammenstellen."
Lernen von den Besten
Die Elite-Privatschule St. Gilgen (Salzburg) hat diese Woche als erste ohne einen konkreten Anlassfall angekündigt, die Schule zu schließen und online weiter zu unterrichten. Die Bildungsinstutution hat bei einen eigenen "digital learning coordinator", einen Koordinator für den digitalen Unterricht.
Der Französischlehrer Sam Nelson nutzt Handy, Laptop und Internet, um mit seinen Schülern zu lernen. "Natürlich braucht es eigentlich den direkten Kontakt zu den Schülern. Witze machen, kurz eine kleine Geschichte erzählen, merken wie es dem Schüler geht. All das gehört zum Lehrersein", sagt er. Sicher kann er jetzt auch via Skype mit den jungen Menschen reden und tut das auch. Doch es ist eben nicht dass gleiche wie der persönliche Kontakt.
Das Online-Lernen habe viele Vorteile. Man könne die Schüler anleiten, selbständig zu lernen. Und man kann ganz andere Tests machen. "Simple Vokabeltests gibt es bei mir nicht mehr. Meine Prüfungen sind viel anspruchsvoller - Schüler müssen zeigen, ob sie einen Text verstanden haben und müsssen auch einen Sachverhalte kommunizieren."
Die digitalen Medien nutzt er schon immer im Unterricht. Das nutzt ihm jetzt, wenn seine Schüler zu Hause bleiben müssen. "Vor 25 Jahren wäre das alles noch nicht so einfach gewesen wie heute."
Er kann sich vorstellen, dass das Corona-Virus immerhin eines bewirkt: Dass Lehrer beginnen, anders zu unterrichten und die neuen Möglichkeiten nutzen.
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