YouTuber als Nachhilfe-Lehrer: Sinnvoll oder Zeitverschwendung?
Die asymmetrischen Dreiecke und komplexen Formeln sehen auf den ersten Blick so kompliziert aus, dass man am liebsten gleich wieder wegschalten möchte. Aber wenn YouTuber Daniel Jung seinen 500.000 Fans Mathematik erklärt, macht es fast Spaß, ihm zuzuhören. Vor allem für jene Schüler, die sich jetzt nach einem schlechten Schuljahr auf ihre Nachprüfungen vorbereiten, kann er die letzte Rettung sein.
Aber Vorsicht: Wer das YouTube-Suchen falsch angeht, vergeudet eventuell wertvolle Lernzeit. Wer weiß, wo er suchen muss, tut sich da sicher leichter.
Wer in die Klassenzimmer geht, stellt schnell fest: Die Schule hinkt bei den digitalen Medien noch hinterher, aber die Art, wie Schüler zu Hause lernen, wurde durch das Internet radikal verändert. Das belegt auch eine Umfrage des deutschen Rates für Kulturelle Bildung, die unter 12- bis 19-Jährigen gemacht wurde. Ergebnis: Jeder zweite YouTube-Nutzer hält die Videos für wichtig und nutzt sie für die Schule. Die meisten davon nutzen die Plattform für Hausaufgaben oder um sich Dinge erklären zu lassen, die sie im Unterricht nicht verstanden haben. Wie stark die Nachfrage ist, zeigen die Zugriffs-Zahlen, die die Nachhilfe-Channels generieren. Daniel Jung etwa freute sich schon im Dezember 2017 über mehr als 100 Millionen Views auf seinem Channel:
Der Gründer der österreichischen Nachhilfe-Plattform GoStudent, Felix Ohswald, sieht die Clips als Chance, die Fehler der Schule auszubügeln: „Jeder hat ein Handy und so ist der Zugang zu guten Wissensinhalten und Lernvideos extrem einfach. Außerdem bleiben viele Schüler in einer großen Klasse auf der Strecke. Für sie ist es schlauer, sich etwa den Satz des Pythagoras später in Ruhe zu Hause anhören zu können, auch mehrmals.“
Eine gute Stütze
Den Unterricht könne das nicht ersetzen, betont Heinz-Peter Meidinger vom deutschen Lehrerverband: „Früher haben sich Schüler von Klassenkameraden oder Eltern Dinge, die sie nicht verstanden haben, erklären lassen. Da kommen jetzt eben als neues Element die Erklärvideos dazu.“ Er ermutigt Lehrer, offensiv mit dem Thema umzugehen. „Es bricht sich keiner einen Zacken aus der Krone, wenn er Schüler auf ein gut gemachtes YouTube-Video hinweist.“
Denn bis man das richtige Video gefunden hat, kann es dauern. Neben sehr guten Lernclips sei auch viel Schrott dabei, warnt der Lehrervertreter. Ohswald beobachtet das auch: „So wie bei der Buchung eines Hotels gibt es auch bei Erklärvideos Tausende Möglichkeiten, sodass man leicht überfordert ist.“
Die lange Suche
Doch wie findet man das beste Video? Ohswald: „Schwierig. Ist es das, das die meisten Aufrufe hat? Oder das mit den besten Bewertungen? Oder das, das jemand in der Klassen-WhatsApp-Gruppe weitergeleitet hat?“ Er verbindet er bei seiner Nachhilfe-Plattform die Schüler mit einem Coach. Und er erklärt an einem Beispiel, warum es den braucht: „Im Internet gibt es unzählige Videos, wie ich richtig Liegestütze mache. Aber ich kann es viel besser, wenn es mir vor oder nach dem Video ein Trainer passend zu meiner Körperstatur zeigt. Es braucht jemanden, der einen oder mehrere Schüler begleitet und ihnen zeigt, welches Video passt.“ Von ihm bekommt der Schüler ein maßgeschneidertes Lernprogramm. „Die Lehrer sollten eigentlich solche Coaches sein.“
Gute Videos greifen oft auf besonders gute grafische Aufbereitung zurück, besser, als es ein Lehrer im Unterricht könnte. Etwa das Video oben von "musstewissen Chemie".
Und es sind immer Menschen, die spannend erzählen können. Für allgemeine Themen gibt es „Wissen2Go“, Naturwissenschaften und Mathematik bietet der YouTube-Channel „The Simple Club“, der inzwischen auch eine kostenpflichtige App für Lernpläne entwickelt hat. Sie ermöglicht einen individuelleren Zugang und bietet neben den Inhalten Erinnerungen für Lerneinheiten.
Üben, üben, üben
Ohswald betont einen weiteren Aspekt, den Fünfer-Schüler oft außer Acht lassen: das Üben und Wiederholen. Wieder ein Fitness-Beispiel: „Wenn ich fünf Kilo abnehmen will, muss ich regelmäßig ins Fitnesscenter gehen und mich an einen Ernährungsplan halten. Wenn ich nur ab und zu ins Fitnesscenter gehe und oft etwas anderes esse, wird es länger dauern. So ist es auch mit dem Lernen. Da braucht es Übungseinheiten, Gruppenarbeit, Projekte, um den Stoff zu vertiefen.“
Die digitalen Medien bieten einen anderen Zugang zum Lernen. Bei vielen Schulbüchern sind auch entsprechende Übungsbeispiele online verfügbar, die dem Lehrplan und konkreten Lernstoff entsprechen. Ohswald: „Diese neuen Systeme bieten sofortiges Feedback. Die Technologie kann es Lehrern ermöglichen, die Schüler besser zu unterstützen und zu bewerten. So wie der Trend in der Medizin zu immer individualisierten Therapien geht.“
Benjamin Hadrigan sieht im Medienmix den Erfolg: Der inzwischen 17-jährige Schüler wurde mit seiner eigenen digitalen Lerntaktik vom Klassenletzten zum Einserschüler und schrieb seine Erkenntnisse als Schüler und Nachhilfelehrer in seinem Buch „Lernsieg“ nieder. Er setzt etwa beim Vokabellernen auf Apps wie Quizlet. Schüler und Studenten nutzen zunehmend zum Organisieren ihrer Lernunterlagen und dem Austausch mit ihren Lernpartnern WhatsApp, Google.docs & Co.
Handy oder Laptop
Das Smartphone sei als Werkzeug durchaus stark genug, aber natürlich lässt es sich am Laptop und Bildschirm mit Tastatur beim Schreibtisch noch besser arbeiten. „Unsere Nachhilfe findet ja im virtuellen Klassenzimmer statt und der Bildschirm ist wie die Tafel. Rund 20 Prozent unserer Kunden halten den Unterricht wirklich über das Handy ab.“ Gut zum Arbeiten sei dabei auch ein Grafik-Tablet, bei dem Schüler direkt auf den Bildschirm zeichnen, „80 Prozent unserer Nachhilfe ist ja in Mathematik“.
Beziehung zum Lehrer
Doch der emotionale Aspekt darf nicht vernachlässigt werden, betont Ohswald und erinnert sich an seinen Lehrer Wolfgang, der mit seiner Begeisterung für Geschichte die Schüler ansteckte. In China geht man daher einen Schritt weiter, erzählt er: „Vor allem in kleineren Orten, in denen es nicht so viele gute Lehrer gibt, werden besondere Lehrer per Liveschaltung ins Klassenzimmer geholt. Im Klassenzimmer gibt es einen Lehrer, der mit den Schülern dann über diese Inhalte nachdenkt und redet. So könnte ein Szenario auch für unsere Schulen aussehen.“
Als YouTube-Video hat sogar das Nachhilfefach Nummer 1 Erfolg, weiß Ohswald: „Manche Videos gehen viral, in denen ein Lehrer oder Experte coole Rechen-Tricks fürs Kopfrechnen erklärt oder zeigt, was man mit dem Taschenrechner alles machen kann.“ Wenn man ihn wirklich verstanden hat.
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