Resilienzforscher: "Wir können alle neue Kräfte in uns entdecken"
Mit Stress kennt sich der deutsche Hirnforscher Raffael Kalisch aus. Derzeit erforscht er, wie sich Resilienz in der Corona-Krise entfaltet.
KURIER: Wegen des Coronavirus läuft die Gesellschaft derzeit im Krisen-Modus. Immer wieder ist jetzt von Resilienz die Rede. Was versteht man darunter?
Raffael Kalisch: Resilienz bedeutet, dass ein Mensch trotz starker Belastung keine stressbedingte Erkrankung entwickelt. Früher dachte man, dass es so etwas wie eine resiliente Persönlichkeit gibt, die angeboren ist oder sich in frühester Kindheit als ein Art Schutzpanzer entwickelt. Die neuere Forschung deutet darauf hin, dass Fähigkeiten mit Stress umzugehen erlernbar sind. Es sind Anpassungsprozesse, die dafür sorgen, dass man trotz Belastung psychisch gesund bleibt.
Resilienz wird einem also nicht in die Wiege gelegt?
Es gibt sicher Voraussetzungen, die man mitbringt, etwa genetische oder persönlichkeitsverbundene. Aber ein gewichtiger Anteil ist, dass man im Leben lernt, mit Widrigkeiten umzugehen, um künftige Krisen bewältigen zu können. Man spricht von einer Immunisierung, oder, wie Friedrich Nietzsche es ausdrücken würde: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.
Greift dieses Verständnis nicht etwas zu kurz?
In der Tat sind frühere Bewältigungserfahrungen keine Erfolgsgarantie. Strategien, die in einer schwierigen Situation funktioniert haben, sind in einer anderen womöglich nicht hilfreich. Deshalb interessiert uns in der für viele unbekannten Corona-Krise, die keine individuelle, sondern eine kollektive Notsituation ist, die Frage, ob bisherige Erkenntnisse über Resilienz-Faktoren anwendbar sind.
Was wären solche Faktoren?
Es gibt viele Hinweise darauf, dass das soziale Umfeld und eine verlässliche Bindung zu Bezugspersonen eine große Rolle spielen. Wenn ich überzeugt bin, dass ich mich in der Not auf andere verlassen kann, kann allein dieses Wissen helfen. Weil damit meine Einschätzung der Lage eine positivere wird. Sieht man Krisen als verkraftbar an, fällt die Bewältigung leichter.
Könnte das auch in der aktuellen Krise hilfreich sein?
Dazu forschen wir gerade mit Tausenden Teilnehmern in einer weltweiten Studie und erwarten in den kommenden Wochen erste Ergebnisse. Die erwähnte soziale Unterstützung dürfte relevant sein, der positive Bewertungsstil ebenso. Wir schauen uns auch die Rolle von Optimismus und Selbstwirksamkeit, der Überzeugung, durch eigenes Handeln größte Probleme meistern zu können, an.
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