Die Praxis der Tiroler Psychotherapeutin Barbara Haid ist dieser Tage meistens leer. Wegen der Virus-Pandemie sind Psychotherapeuten derzeit angehalten, zu ihren Patienten auf Distanz zu gehen. Freilich nur räumlich: Neu ist nämlich, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen auch via Teletherapie Hilfe in Anspruch nehmen können.
Die Nachfrage ist groß. Der Ausnahmezustand beansprucht bei vielen das Nervenkostüm. Einige Therapeuten sind bereits überlastet. Im Netz riefen Psychotherapeuten kürzlich deshalb dazu auf, sich erst dann zu melden, wenn es ernst ist. Augenzwinkernd formuliert: "Erst wenn die Zimmerpflanze zu Ihnen spricht".
Digital therapieren
Dennoch: Psychische Entlastung ist in der Krise wichtig. In ihren Praxis-Räumlichkeiten in Innsbruck, wo Haid als niedergelassene Therapeutin arbeitet, wird Technologie deshalb jetzt großgeschrieben. "Wir sind nicht verpflichtet, unsere Praxen gänzlich zu schließen. Wir sollen aber abwägen, wo es dringend notwendig ist, Patienten zu sehen – und wo man gut auf Alternativen umsteigen kann. Und zum Beispiel einen Videochat über Skype, Zoom oder Facetime oder das Telefon nutzen kann." Für Patienten wichtig: Alle laufenden teletherapeutischen Behandlungen werden von der Krankenkasse bezahlt. Das gilt auch für Menschen, die vorhaben, sich in Therapie zu begeben und denen diese vom Arzt verschrieben wird.
Das Tele-Angebot ist beachtenswert, denn ansonsten gelten für psychotherapeutische Behandlungen strenge Vertraulichkeitsregeln. "Die Sonderregelung greift nur in der Krisenzeit. Die Standard-Psychotherapie wird diese Form des Austauschs natürlich nicht ersetzen", betont Haid, die Präsidiumsmitglied des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie ist. Die Situation sei durchaus herausfordernd, erzählt die 51-Jährige: "Es ist etwas Neues, dass in der Therapie nun eine Maschine zwischengeschaltet ist. Das ist für Patienten schon sonderbar."
Auch sie müsse sich an den "unbekannten Dritten in der Therapie" erst gewöhnen.
Telefonseelsorge
Die Telefonseelsorge steht unter 142 rund um die Uhr als vertraulicher Notrufdienst zur Verfügung
Rat auf Draht
Auch Rat auf Draht ist unter 147 rund um die Uhr erreichbar
Frauenhelpline
Unter der Telefonnummer 0800222555 finden von Gewalt betroffene Frauen Hilfe
Gemischte Gefühle
Das Angebot wird laut Haid recht unterschiedlich angenommen: "Meine jungen, Internet-affinen Patienten finden es aufregend, mit ihrer Psychotherapeutin videochatten zu können. Ältere bevorzugen das Telefon. Hier biete ich an, eine halbe Einheit zu machen. Eine Stunde am Hörer zu verbringen, kann für beide Seiten ganz schön lange und anstrengend sein."
Möglich ist das alles nach wie vor nur unter Einhaltung strengster Vertraulichkeit. "Die Schwierigkeit ist, mit Patienten zu vereinbaren, dass sie sich sichere Orte suchen, wo sie während der Therapie ungestört sind und nicht mitgehört wird."
Je länger die derzeitige Krisensituation andauert, desto belastender sei diese für die Menschen. Dass psychotherapeutische Versorgung aufrecht bleibt, sei daher enorm wichtig: "Derzeit kursieren viele Tipps, wie man den Alltag meistern kann. Ein Patient, der beispielsweise schwer depressiv ist, kann diese Ratschläge nicht umsetzen. Er ist damit überfordert. Hier geht es in der telegestützten Psychotherapie darum, Übersetzungshilfen anzubieten, wie diese Empfehlungen in den Alltag integriert werden können."
Nicht nur für psychisch kranke Menschen ist die Krise eine Bürde: "Ich denke, die größte Herausforderung ist – so banal das klingen mag – Ruhe zu bewahren. Inwieweit das möglich ist, hängt stark von den politischen Entscheidungsträgern ab und wie sie Maßnahmen implementieren – aber auch von Medien, die Verantwortung tragen, keine Ängste zu schüren."
Freunde und Familienmitglieder, die einem nahestehen und psychisch vorbelastet sind, gilt es zu stützen: "Auch hier kann viel über regelmäßige Videokonferenzen gelingen." Wichtig sei, sich fixe Zeiten auszumachen. "Sollte der Freund doch kurzfristig absagen, ist das zu respektieren. Die Hilfe ist als Angebot zu sehen, das nicht aufgezwungen werden sollte."
Auf Stärken besinnen
Welche Krisen habe ich in der Vergangenheit wie gemeistert? Frühere Erfahrungen im Umgang mit Problemen sind jetzt wichtige Ressourcen und Kraftquellen, die es zu aktivieren und nutzen gilt.
Gedankenkreisel stoppen
Ein guter Weg aus einer deprimierten Stimmung zu kommen ist Bewegung. Sport beflügelt erwiesenermaßen die Psyche und ist auch auf engem Raum möglich. Videos im Internet liefern Anregungen und Trainingsprogramme.
Positiv denken
Die Pandemie hat auch etwas Positives. Die unfreiwillige Entschleunigung schafft Raum für Tätigkeiten, die sonst zu kurz kommen: ein Buch zu lesen, Spiele mit den Kindern zu spielen oder zu Hause auszumisten und den Kasten neu sortieren.
Planen und strukturieren
Struktur hilft gegen Chaos, gibt Sicherheit und stärkt in Stresssituationen. Geplantes Handeln beugt Kontrollverlust und Hilflosigkeit vor. Unsere Tagesstruktur ist mit einem Ritual vergleichbar: also nicht im Pyjama bleiben, sondern wie immer aufstehen, sich anziehen, die üblichen Essens-, Schlafens-, Arbeits- oder Lernzeiten einhalten.
Hilfe annehmen
Pflegen Sie Ihre sozialen Kontakte über das Telefon oder Videotelefonie, das kann Halt und Kraft geben. Falls Sie aus der depressiven Stimmung nicht mehr herausfinden: Zögern Sie nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
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