Jobverlust, Unsicherheit: Was tun, wenn die Angst überhand nimmt?
Angst – vor dem Ungewissen, dem Jobverlust, Krankheit oder dem Tod – ist seit dem Ausbruch des Virus für viele Menschen zu einem ständigen Begleiter geworden. Auch im Phobiezentrum Phobius, das auf die Bekämpfung von Ängsten spezialisiert ist, melden sich täglich besorgte Menschen. Dessen Gründer, der Psychologe Christian Dingemann, erklärt, wie man Ängste jetzt in Zaum hält.
KURIER: Herr Dingemann, hinter und vor uns liegen emotional schwierige Wochen. Viele Menschen sind extrem verunsichert. Wie kann man sich beruhigen?
Christian Dingemann: Derzeit befinden wir uns in der Anfangsphase der verschärften Maßnahmen, jeder muss sich erst einmal neu sortieren und mit der Situation persönlich zurechtkommen. Eine Gesellschaft wurde im Eiltempo vor eine komplett neue Situation gestellt. Große, vor allem plötzliche Veränderungen im Leben verursachen immer Stress, Angst und Sorgen. Man merkt aber, wie schnell sich Menschen auf solche Situationen einstellen können. Not macht erfinderisch und Angst hat uns schon immer das Überleben gesichert. Ganz wichtig: Das, was derzeit passiert, ist eine Ausnahmesituation, aber wir sind gut vorbereitet. Die kritische Infrastruktur bleibt aufrecht, wir haben alle genug zu essen – und ausreichend Toilettenpapier. Die Einschränkungen dienen dem großen Ganzen, vor allem der Risikogruppe älterer Menschen.
Überwiegt momentan Egoismus oder Solidarität?
Ich würde sagen, 50:50. Neben eigenen Vorsichtsmaßnahmen gibt es eine gestärkte Solidarität, Netzwerke bauen sich auf, Nachbarschaftshilfen entwickeln sich, Menschen gehen für Ältere einkaufen oder übernehmen das Gassigehen. Die meisten Menschen sind nun gezwungen, einen komplett neuen Alltag zu entwickeln. Viele werden die Zeit nur noch in den eigenen vier Wänden verbringen. Hier empfehle ich, sich an die Vorschläge des Berufsverbands der österreichischen Psychologen zu halten (siehe unten).
Je länger diese Situation anhält, desto mehr Menschen fürchten sich, ihren Job zu verlieren. Wie geht man mit Existenzangst um?
In erster Linie geht es jetzt einmal darum, die Pandemie einzuschränken. Natürlich sind wir in unserer wirtschaftlichen Welt stark von unseren Arbeitsplätzen abhängig. Nichtsdestotrotz leben wir in einem Sozialstaat, der solche Krisen auffangen kann. Man muss zwischen objektiver und subjektiver Angst unterscheiden: Objektiv gesehen wird es für eine kurze Phase schwierig sein, doch es ist sehr wahrscheinlich, dass es anschließend wieder bergauf geht. Die ersten Wochen können mit dem AMS überbrückt werden, danach werden die Unternehmen schnell Lösungen finden.
Meist überwiegt die subjektive Angst, die mit Rationalität nicht viel zu tun hat. Was kann man dagegen tun?
Ruhe bewahren, besonnen bleiben, die Fakten auf den Tisch legen, relativieren. Man ist in dieser Situation ja nicht alleine, es sind Millionen Menschen betroffen. Halten Sie Kontakt zu Freunden, Familien und Kollegen, zum Beispiel über Videotelefonie, konsumieren Sie Medien gezielt und bewusst, nutzen Sie die Zeit für Tätigkeiten, die Sie lange aufgeschoben haben. Bleiben Sie aktiv im Rahmen der Möglichkeiten.
Auch die Angst, sich anzustecken oder sogar zu sterben, beschäftigt derzeit viele. Wie erlangt man hiermit einen gesunden Umgang?
Covid-19 ist gefährlicher und hat eine höhere Mortalität als die „normale“ Grippe, jedoch verlaufen weit über 80 Prozent der Infektionen mit milden Symptomen. Statistiken helfen, die Lage einzuordnen, dennoch sind viele verunsichert und versuchen, sich bestmöglich zu schützen. Die öffentlichen Ratschläge sind glücklicherweise oft wiederholt worden. Es wird ein kollektives Bewusstsein für Ansteckungsrisiken geschaffen, sodass wir künftig als Gesellschaft noch schneller reagieren können. Zum Glück haben wir alle ein gesundes und funktionierendes Angstsystem, das uns das Überleben seit jeher sichert. Manche werden in der Situation überreagieren und manche sehen den Ernst der Lage nicht. Das wird sich einpendeln.
Menschen über 65 sind eine Risikogruppe, Jüngere müssen sich solidarisch zeigen. Besteht die Gefahr, dass sich die Kluft zwischen den Generationen vertieft oder man sich sogar vor seinen Mitmenschen fürchtet?
Ich denke, das ist jetzt eine Chance für die Gesamtbevölkerung, dass die Generationen wieder mehr aufeinander achten. Die Älteren versuchen sich so weit wie möglich zu isolieren, die Jüngeren mit „kontaktlosem Kontakt“ zu helfen, wie den Einkauf vor die Türe zu stellen. Wer in den letzten Tagen auf der Straße unterwegs war, hat gespürt, dass sich das Bild enorm gewandelt hat. Fußgänger halten großen Abstand zueinander, an der Kassa wird Abstand gehalten, Securitys in Apotheken, Durchsagen im Supermarkt schärfen das Bewusstsein für die neuen Regeln. Menschen mit Atemschutzmasken sind noch ein junges Erscheinungsbild, an das wir uns aber auch bald gewöhnt haben. Statt uns zu fürchten, geht es in den kommenden Wochen darum, dass wir verstärkt auf uns und unsere Mitmenschen achtgeben.
Warum haben die Menschen vor dem Virus so große Angst und vor Bedrohungen wie der Klimakrise nicht?
Angst verspüren wir immer unmittelbar, also dann, wenn sie uns direkt betrifft. Jemand mit Höhenangst kann seinen Alltag normal bestreiten, solange er nicht direkt der Höhe ausgesetzt ist. Ähnlich verhält es sich mit der Klimakrise, die sich über Jahre langsam, aber stetig verändert. Das Virus steht unmittelbar vor der Haustüre, somit sind wir direkt mit ihm konfrontiert und spüren sehr deutlich, welche Auswirkungen es auf uns hat.
Im Netz begegnen Menschen dem Virus mit Humor. Verständlich?
Die Lage muss ernst genommen werden. Gleichzeitig hilft Humor, die Situation erträglicher zu machen und psychisch einen gesunden Abstand zu gewinnen zu den ganzen Newstickern und Live-Berichterstattungen, denen wir verfallen. Ein Kabarett macht nichts anderes, als den Ernst der Lage aufzugreifen und mit heiterer Gelassenheit entgegenzuwirken. Humor kann ein wichtiges Instrument in schwierigen Lagen sein, dass uns den ein oder anderen schönen Moment bescheren kann. Die Situation sollte aber nicht ins Lächerliche oder Geschmacklose gezogen werden.
Der Berufsverband österreichischer Psychologen (BÖP) hat einen Maßnahmenkatalog für die aktuelle Situation veröffentlicht. Ein Auszug:
- Tagesstruktur einhalten Nicht im Pyjama bleiben, aufstehen, sich anziehen, zur gewohnten Zeit essen und schlafen.
- Tag genau planen Hilft gegen Kontrollverlust, man kann die Situation aktiv gestalten.
- Auf Stärken besinnen Bereits überwundene Probleme, positive Erlebnisse, Fähigkeiten und Talente.
- Bewegung nicht vergessen Sport wirkt positiv auf die Seele, auch im eigenen Wohnzimmer.
- Kontakte pflegen Verbundenheit mit der Familie über Chats und Videotelefonie gibt Halt. Fragen Sie: „Was hat dich heute gefreut?“
- Medien bewusst und gezielt konsumieren Vermeiden Sie ununterbrochenen Medienkonsum. Fakten geben Orientierung.
- Gefühle wahrnehmen und ansprechen Verwirrung, Angst oder Stress sollten thematisiert werden, etwa in Form eines Tagebuchs.
- Entspannungsübungen Auch dazu gibt es Anleitungen im Internet. Angst und Entspannung kann nicht gleichzeitig passieren!
Weitere Informationen unter www.psychnet.at
Helpline: 01/504 8000
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