Es war ein offenes Geheimnis: Immer, wenn heuer die Gaspreise in Europa gesunken sind, ist etwas passiert. Etwa Unsicherheiten über die Abwicklung der Zahlungen oder immer wieder technische Probleme bei wichtigen Pipelines.
Und über weite Strecken des Jahres hat das für Russland gut funktioniert. Der für den europäischen Gas-Großhandel richtungsweisende Terminkontrakt TTF an der Energiebörse in Amsterdam schlug immer wieder aus. Im August erreichte er einen historischen Höchststand von fast 350 Euro pro Megawattstunde. Zum Vergleich: Im langjährigen Schnitt kostete Gas in Europa im Sommer etwa 20 Euro. Der russische Staatskonzern Gazprom lieferte so nur einen Bruchteil der Energie an seine jahrelang wichtigsten Kunden und verdiente trotzdem mehr als gut: Im ersten Halbjahr 2022 stand ein Reingewinn von 41,6 Milliarden Euro – und damit mehr als im gesamten vergangenen Geschäftsjahr.
Europäische Politiker haben monatelang kritisiert, dass Wladimir Putin die Energielieferungen als Waffe einsetzt. Das ist auch wenig verwunderlich, bedenkt man, dass zeitgleich offen von einem "Wirtschaftskrieg" gegen Russland gesprochen wurde. Die Politik griff aber nur sehr zögerlich in die Energiemärkte ein. Neben der wiederkehrenden Lieferunsicherheit trug so auch Spekulation von Energiehändlern zu den Preisausschlägen bei.
Schuld daran sei Österreich, weil neue Regelungen mit 1. Oktober den Durchfluss nicht erlauben würden, hieß es bei Gazprom. In Österreich weist man das zurück. Die Regulierungsbehörde E-Control erklärte, die Änderungen seien allen Marktteilnehmern seit Monaten bekannt gewesen, auch Gazprom hätte also rechtzeitig darauf reagieren können. Ebenfalls am Wochenende hat Russland dem EU-Beitrittskandidaten Moldau die Gaslieferungen gedrosselt und mit einem kompletten Stopp gedroht.
Ob das funktioniert, wird sich heute zeigen, wenn an den Energiebörsen wieder gehandelt wird. Zuletzt ist der Gaspreis in Folge der Zerstörung der Ostsee-Pipelines zwar gestiegen, es blieb aber bei etwa 200 Euro pro Megawattstunde. Das ist zwar immer noch ein Vielfaches des langjährigen September-Durchschnitts von etwa 30 Euro, aber deutlich weniger als noch im August. Es scheint so, als wäre mit dem Lieferstopp durch Nord Stream 1 Anfang September das viel zitierte Ende mit Schrecken eingetreten. Zu der vergleichsweise verhaltenen Reaktion an den Märkten trägt dabei wohl auch bei, dass die europäischen Speicher inzwischen gut gefüllt sind. Experten gehen davon aus, dass die EU-Staaten ohne gröbere Verwerfungen über die kalte Jahreszeit kommen.
Nord Stream
Wie es mit den Ostsee-Pipelines weitergeht, ist noch unklar. Russlands Vize-Ministerpräsident Alexander Nowak erklärte am Sonntag, er sei zuversichtlich, dass "entsprechende Möglichkeiten gefunden werden", um die Pipelines zu reparieren. Auch, wenn das einige Zeit beanspruchen und hohe Kosten bedeuten würde.
Es ist allerdings nicht gesagt, dass die europäischen Staaten daran Interesse haben. Denn Russland hat seinen jahrzehntelangen Ruf als zuverlässiger Energielieferant verspielt. Es geht dabei nicht mehr um den kommenden Winter, schon alleine, weil die Wieder-Inbetriebnahme so schnell nicht möglich sein wird. Die Frage ist viel mehr, wie es 2023 und danach weitergeht. Wie die EU-Staaten es schaffen, ihre Speicher mit noch weniger, oder gar ohne Gas aus Russland wieder zu füllen, ist fraglich.
Kommentare