Ex-Verbund-Chef würde Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien aussetzen
KURIER: Welche Ratschläge geben Sie dem Präsidenten?
Wolfgang Anzengruber: Es geht eher darum, dass der Präsident sich mit Fragen der Energie befassen muss. Da geht es darum, das System zu verstehen, die Varianten in der Diskussion darzustellen.
Man hat das Gefühl, keiner hat die richtige Stellschraube. Sind wir momentan dem System ausgeliefert?
Im Jahr 2000 wurde in der EU der Zusammenschluss der Märkte, die Liberalisierung des Strommarktes durchgeführt und da hat man das System mit der Merit Order (Regulierungssystem für Strompreise in der EU; Anm.) ins Leben gerufen. Das hat auch gut funktioniert, der Strompreis ist mit der Liberalisierung massiv gefallen. Vor eineinhalb Jahren hat eine Megawattstunde Strom 50 bis 60 Euro gekostet. Heute kostet der Strom 530 Euro, das ist etwa eine Verzehnfachung der Großhandelspreise.
Aber man schafft es nicht, das System zu ändern …
Was die Regierungen jetzt machen, ist Troubleshooting und Symptombekämpfung. Das ist auch logisch, aber wir sollten mehr Konzentration in den Umbau des Systems stecken, weil es ruft Preise auf, die nicht leistbar sind.
Manche Kritiker fordern verstärkte Markteingriffe.
Ich warne immer vor überproportionalen Eingriffen des Staates, dadurch werden die Systeme nicht effizienter. Aber wir brauchen dringend eine Reform. Dazu gibt es verschiedene Vorschläge, etwa ein Durchschnittspreis-System, oder eine Differenzierung zwischen Erneuerbaren und Nicht-Erneuerbaren.
Was halten Sie von einem Einkaufskartell auf EU-Ebene, also einem Maximalpreis für russische Gasimporte?
Russland hat’s einfach: Der Preis für Gas ist Minimum 10-fach gestiegen, also selbst wenn sie nur 10 Prozent verkaufen, verdienen sie das Gleiche. Und Russland geht laut Medienberichten so vor, dass sie das Gas verbrennen, bevor sie es billiger verkaufen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir es da mit einem Marktteilnehmer zu tun haben, der nicht von rationalen Überlegungen geprägt ist.
Werden wir den kommenden Winter gut überstehen?
Die Gasversorgung sollte diesen Winter gesichert sein. Aber wir brauchen auch Stromimporte. Die große Herausforderung wird das nächste Jahr werden. Wir müssen jetzt den Umbau des Systems drastisch beschleunigen. In der Energiefrage wird gerade offensichtlich, dass wir die letzten Jahrzehnte über unsere Verhältnisse gelebt haben.
Bedeutet das Wohlstandsverluste für die Gesellschaft?
Das glaube ich nicht, wir werden aber Wohlstand anders definieren müssen. Also nicht mehr über mehr Quantität, sondern mehr Qualität. Gleichzeitig brauchen wir die Dekarbonisierung, denn die große Krise ist die Klimaveränderung. Wir leiden an einem fossilen Karzinom, und was wir sehen, sind die Metastasen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber die Krise wird nicht morgen vorbei sein und auch nicht nach dem Winter. Wenn man die Ursachen nicht bekämpft, werden die Symptome immer stärker.
Gas war EU-weit als Übergangstechnologie eingeplant – kann es das noch sein?
Nein. Putin hat uns diese Rechnung zerstört.
Was könnte die Lösung sein?
In Krisen braucht man mehr pragmatisches Denken. Warum setzt man nicht alle erneuerbaren Energien auf Basis bestehender Gesetze ohne zusätzliche Genehmigungs- und Widmungsverfahren um? Länder und Bund haben Flächen, die könnten dafür verwendet werden. Wir müssen einfach schneller werden, ich kann mich nicht ewig und drei Tage über Landschaftsbilder unterhalten.
Konkret an welche Regelungen denken Sie dabei?
Man könnte die Umweltverträglichkeitsprüfungen für erneuerbare Technologien und Netze aussetzen und die zusätzliche Widmungsfrage für Fotovoltaik streichen.
Das würde wohl auf massive Widerstände stoßen …
Ja, aber wenn man das beibehält, wird es zu lange dauern. Und die Krise ist leider gekommen, um zu bleiben. Die Illusion, dass nächstes Jahr wieder alles gut ist, der Krieg vorbei und der Putin wieder nett ist, habe ich nicht. Wir müssen Maßnahmen setzen. Die Deutschen haben zum Beispiel innerhalb von sieben Monaten ein LNG-Terminal gebaut, mit einem Sonderbeschluss im Parlament, dass die Genehmigungen später gemacht werden.
Kann Fracking in Österreich Teil der Lösung sein?
Fracking würde eine Verlängerung der fossilen Welt bedeuten. Trotzdem wäre es legitim, das Potenzial zu ermitteln. Und dann kann man erwägen, ob man es in Angriff nimmt. Was auch nicht allen gefallen wird: Wir werden Erdgas noch längerfristig brauchen, und zwar für Hochtemperaturprozesse in der Industrie. Wir werden in absehbarer Zeit nicht alles mit Wasserstoff machen können.
Wie sehen Sie Debatten über Steuern auf Zufallsgewinne von Energiekonzernen.
So lange die Merit Order nicht reformiert ist, ist es legitim, dass der Staat hier zur Gegenfinanzierung einen Teil nimmt. Das wird sonst die nächste Generation zahlen müssen. Wichtig wäre aber, dass es keine Bestrafungsaktion für Unternehmen wird, die rechtzeitig auf erneuerbare Energien gesetzt haben. Es muss dabei auch noch vernünftige Gewinnmargen geben und Maßnahmen wie Sonderdividenden müssen saldiert werden.
Braucht die europäische Energiewirtschaft staatliche Rettungsschirme?
Ich würde nicht a priori einen Rettungsschirm vereinbaren. Sinnvoll wäre das ab einem gewissen Strompreis an der Börse, bis dahin müssen die Unternehmen ihre Liquidität selbst darstellen können. Und dann nur für Unternehmen, die Kunden oder Kraftwerke haben, nicht für reine Händler.
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