Wie lange hält der Geldregen für Gazprom?
von Vitus Ortner
Der russische Energieriese Gazprom meldete am Donnerstag ein Umsatzplus. Und das, obwohl die abgesetzte Gasmenge dieses Jahr deutlich gesenkt wurde. „Im neuen Etatplan spiegelt sich der Anstieg der Einnahmen durch den Gasverkauf um 34 Prozent im Vergleich zum ursprünglich erstellten Etat wider“, sagte der Vizechef von Gazprom, Famil Sadygow. Die geringeren physischen Umsätze beim Gasexport seien völlig durch den steigenden Exportpreis für Gas aufgefangen worden.
Russlands staatlicher Gaskonzern, der übrigens der größte der Welt ist, scheint die Sanktionen also wegzustecken. Wie funktioniert die Firma, deren Überschüsse Putins Krieg mitfinanzieren?
Wie groß ist Gazprom?
Zuerst zu den harten Zahlen. Gazprom ist eine Aktiengesellschaft in mehrheitlich staatlichem Besitz mit fast 500.000 Mitarbeitern. Mit einem Umsatz im Jahr 2021 von circa 140 Mrd. Euro gehört sie zu den größten Unternehmen Europas. Noch atemberaubender sind aber die Gewinne: während im Gesamtjahr 2021 rund 27,5 Mrd. Euro Überschuss erwirtschaftet wurden, waren es allein in der ersten Jahreshälfte 2022 41,6 Mrd.
Davon wurden 20 Mrd. an die Aktionäre ausgezahlt, etwa die Hälfte erhielt der russische Staat. Geld, das Putin gut gebrauchen kann, immerhin verzeichnete der Kreml im August ein Defizit von satten 5,9 Mrd. Euro. Damit ist schon über die Hälfte der bisher in diesem Jahr erwirtschafteten Überschüsse dahin.
Konzernchef Alexei Miller wird die Zahlung sicher gerne geleistet haben. Ihn verbindet ein langjähriges Vertrauensverhältnis mit Wladimir Putin, den er aus der gemeinsamen Zeit der St. Petersburger Stadtverwaltung kennt. Seinen jetzigen Posten bekleidet er seit 2001. Auch Aufsichtsratsvorsitzender Wiktor Subkow kennt Putin von der Stadtverwaltung. Er hat seinen Posten seit 2008, sein Vorgänger war Dmitri Medwedew, der in ebenjenem Jahr Präsident wurde.
Abhängigkeit von Europa
Die Verbindungen zwischen Staat und Staatsunternehmen sind also eng. Doch der Eindruck der Kreml-Cashcow könnte täuschen. Denn was die abenteuerlichen Gewinne von Gazprom verschweigen, ist wie groß die Abhängigkeit vom europäischen Markt ist. Ein Markt, in den die Exporte förmlich kollabieren.
Die gesamten Ausfuhren sind in den ersten sieben Monaten dieses Jahres bereits um 35 Prozent gesunken, vor allem nach Europa. Die Fördermenge hat sich laut Angaben von Gazprom um zwölf Prozent verringert, allerdings vom starken Jahr 2021 aus, was die Reduktion etwas größer wirken lässt, als sie ist.
Andere Abnehmer werden händeringend gesucht. China wird üblicherweise als Ersatzmarkt gehandelt und tatsächlich ist der Export ins Reich der Mitte dieses Jahr schon um 61 Prozent gewachsen. Diese Zahl täuscht aber über die echten Verhältnisse hinweg. Europa kauft immer noch neunmal so viel Gas wie China, der Verringerung im Westen um 40 Mrd. Kubikmeter Gas stehen Steigerungen im Osten um 3 Mrd. Kubikmeter gegenüber.
Das ist allein schon durch die Pipeline-Infrastruktur bedingt. Die Felder, aus denen der Großteil des Gases für den europäischen Markt stammt, liegen hauptsächlich im Nordwesten Sibiriens auf der Jamal-Halbinsel. Von dort sind es bis zur chinesischen Grenze über 3000 Kilometer Luftlinie.
Eine Pipeline über diese Distanz gibt es nicht. Die „Power of Siberia“-Pipeline versorgt China zwar mit Brennstoff aus östlicheren Gasfeldern, ihre Kapazität ist jedoch begrenzt. Und schließlich ist sie auch schlicht nicht ans eurasische Netz angeschlossen.
Neue Pipeline nach China
Abhilfe soll eine kreativ „Power of Siberia 2“ betitelte zweite Pipeline schaffen. Es dürfte aber noch Jahre dauern, bis sie an den Start gehen kann. Die erste China-Pipeline brauchte fünf Jahre für Planung und Bau. Vor 2026 oder 2027 ist also nicht damit zu rechnen.
Und selbst Pipeline Nummer 2 könnte die Menge, die nach Europa fließt, nicht völlig ersetzen. Vor allem aber könnte sie den Geldfluss aus Europa nur schwer ersetzen. China möchte sich nicht in eine ähnliche Rohstoffabhängigkeit begeben wie Europa sie hat und wird deshalb wohl weiter auf einen vielfältigen Lieferantenmix setzen.
Was passiert also mit dem unverkauften Gas? Natürlich wird weniger gefördert, mehr eingespeist und der eigene Verbrauch erhöht. Eine Karte des Europäischen Waldbrand-Informationssystems liefert jedoch auch Hinweise, dass am Eingang der Ostseepipeline Nord Stream 1 große Mengen an Gas abgefackelt werden. Nord Stream 1 ist seit Anfang September stillgelegt. Die eigene Ware verbrennen – auf Dauer kein gesundes Geschäftskonzept.
Gaspreise könnten fallen
Noch genügt der hohe Gaspreis, um die Schwierigkeiten auszugleichen. Doch Experten rechnen inzwischen wieder mit fallenden Preisen für den Winter, die europäischen Speicher sind gut gefüllt. Analysten von Goldman Sachs halten sogar eine Halbierung gegen Ende des Winters für wahrscheinlich. Auch Experten des deutschen Verbands "Zukunft Gas" und des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln (EWI) rechnen mit einem Rückgang der Großhandelspreise.
Gleichzeitig quetscht der Staat alles an Finanzen aus dem Konzern, was möglich ist. Die anfangs erwähnten 20 Mrd. Euro wären normalerweise nicht so ausgezahlt worden. Putin hat aber eine Zwischendividende verfügt – zum ersten Mal in der Konzerngeschichte.
Gleichzeitig hat das Parlament eine Sondersteuer erlassen, die weitere 21 Mrd. Euro umfasst. Sie soll helfen, das erwartete Haushaltsdefizit von 28,3 Mrd. Euro zu decken. Doch mit sinkendem Absatz und potenziell sinkenden Preisen könnte die Rechnung bald nicht mehr aufgehen.
Putins Erpressungsversuche über eingeschränkte Gaslieferungen könnten ihm letztendlich seinen mächtigsten Konzern zerstören. Europa diversifiziert seine Quellen und China wird die Lücke nicht füllen können, zumal dafür neue Pipelines gebaut werden müssen und die Chinesen schon jetzt deutlich geringere Preise als die Europäer zahlen.
LNG-Anlagen zu bauen hat der Konzern weitestgehend verabsäumt und jetzt fehlt sanktionsbedingt die dafür nötige westliche Technologie. Man sollte sich von den fantastischen Gewinnen und Umsätzen des russischen Gasexporteurs nicht täuschen lassen – in Zukunft könnten Putins Freund Alexei Miller und seine Gazprom massive Rückschläge erwarten.
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