Warum die Wirtschaft trotz vieler Krisen (noch) so gut läuft
Wer die starken Bilanzen und hohen Dividendenzahlungen heimischer Großunternehmen sieht, mag zunächst seinen Augen nicht trauen und fragen: Krise, welche Krise?
Doch die saftigen Gewinnausschüttungen 2021 bilden die sprunghafte Erholung der Wirtschaft nach der Pandemie ab. Ein unüblicher Rebound-Effekt, der wenig bis gar nichts mit einem normalen Konjunkturverlauf zu tun hat, wie Experten betonen. Und dann der Krieg in der Ukraine. Er bremst die begonnene Erholung jäh ab. „Ohne den Krieg in der Ukraine hätten wir, die Jahre 2021 und 2022 zusammengenommen, den stärksten Aufschwung seit 50 Jahren“, sagt Industrie-Chefökonom Christian Helmenstein im KURIER-Gespräch. „Nur aufgrund des überaus starken ersten Quartals 2022 wird für das heurige Gesamtjahr überhaupt noch ein 3-er vor dem Komma beim Wirtschaftswachstum erwartet“, so Helmenstein.
Denn seit dem 24. Februar, dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, herrscht Unsicherheit bei Konsumenten und Betrieben vor und rücken frühere „Krisenthemen“ wie Lieferengpässe, Rohstoff- und Energiepreise wieder in den Vordergrund.
Abkühlung
Schaffte Österreichs Wirtschaft im ersten Quartal dieses Jahres noch ein Wachstum von sensationellen 8,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – geprägt von den Lockdowns – so kühlte sich das Wachstum bereits im April auf 5,25 Prozent zum Vorjahr ab. Das zeigt eine Wifo-Schnellschätzung (siehe Grafik).
Für die Industrie zeigt sich laut Helmenstein, dass im 2. Halbjahr kein Wachstum von Quartal zu Quartal mehr stattfinden wird und dass im Herbst daher „extrem schwierige Lohnverhandlungen“ anstehen. Denn, so der Ökonom: „Beide Seiten, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, wollen die Kaufkraft angesichts der hohen Inflation erhalten. Die Situation ist für beide Seiten ein Dilemma. Wie nie zuvor ist der Staat als dritte Partei gefragt. Er muss die Steuer- und Abgabenlast senken, um für Entlastung zu sorgen.“
Versichern beruhigt - und sorgt für Gewinne
Starke Quartalsergebnisse lieferten die heimischen Banken und Versicherungskonzerne. Das Versicherungsgeschäft hat in der Pandemie nicht gelitten, wie das dynamische Prämienwachstum vor allem in Osteuropa zeigt. Dort stieg die Nachfrage nach Kfz-, Lebens- und Krankenversicherungen besonders stark. Die Uniqa steigerte den Nettogewinn gegenüber dem Vorjahr um ein Viertel. Der Ukraine-Krieg hinterlässt aber erste Spuren. Die VIG, die auch in der Ukraine vertreten ist, bildete erste Vorsorgen in Höhe von rund 75 Millionen Euro.
Weil ihre Firmen- und Privatkunden – auch dank staatlicher Wirtschaftshilfen – gut durch die Corona-Krise kamen, fahren auch die Banken reiche Ernte ein. Die RBI verdoppelte den Quartalsgewinn, die Erste Group fuhr um ein Viertel mehr Gewinn ein. Rebound-Effekte in der Wirtschaft und Zinsumfeld führten auch zu einer gesteigerten Nachfrage nach Investitionsfinanzierungen und Betriebsmittelkrediten.
IT profitiert von Digitalisierung
Die IT- und Telekombranche profitierte vom Digitalisierungsschub in der Pandemie – und zunehmend auch vom schwachen Euro-Kurs. Ungeachtet des viel beklagten Chipmangels, vermelden die heimischen Unternehmen durchwegs gute Auftragslage – und investieren kräftig. Jüngstes Beispiel ist der heimische Leiterplattenhersteller AT&S, der den Vorjahresgewinn auf 103 Mio. Euro mehr als verdoppeln konnte. Den Aktionären winkt daher eine Sonderdividende. Wegen der Chipknappheit können Preissteigerungen einfacher an die Kunden weitergegeben werden.
Das kommt auch dem in Villach produzierenden Halbleiterkonzern Infineon zugute, der für das zweite Quartal eine Rekordnachfrage meldet, auch weil im Bereich Erneuerbarer Energie vermehrt investiert wird. Der billige Euro kommt dem Konzern ebenfalls zugute. Die Digitalisierung kurbelt auch die Umsätze der heimischen Beraterbranche an. Im Vorjahr erzielten die Betriebe aus den Bereichen Unternehmensberatung, Buchhaltung und IT ein Umsatzplus von 7,7 Prozent. Für heuer wird mit einem noch höheren Plus gerechnet.
Volle Auftragsbücher am Bau
Der österreichischen Bauindustrie geht es gut. Die Strabag konnte den Auftragsbestand 2021 um 22 Prozent auf 22,5 Mrd. Euro steigern, die Porr konnte den Auftragseingang um 8,6 Prozent auf 6,4 Mrd. Euro erhöhen. Doch das Marktumfeld war geprägt von Lieferengpässen und Preiserhöhungen bei Material und Energie. Dieser Trend setzt sich auch 2022 fort. Die Bauindustrie kommt besser weg, weil sie sich schon frühzeitig mit Material eingedeckt hat. Die Industrie hat auch längerfristige Verträge und Bauzeiten. Sie arbeitet auch oft für öffentliche Auftraggeber. Zum Teil gibt es Vereinbarungen, die Preise anpassen zu dürfen. Auch im Baugewerbe ist die Auftragslage gut, aber die Baufirmen treffen Preiserhöhungen und Lieferengpässe hart. Bei Festpreisverträgen können viele Baufirmen die Preise nicht mehr gewährleisten. Viele wollen auf variable Preise umstellen. Folglich sind Häuselbauer durch die Situation verunsichert und drücken bei Aufträgen die Stopptaste.
Energiebranche durch hohe Preise befeuert
Die Großhandelspreise von Energie sind seit dem Frühling 2021 stark gestiegen. Denn die Lockerung der Corona-Maßnahmen in großen Volkswirtschaften führte zu einem internationalen Konjunkturaufschwung und einer weltweit höheren Nachfrage. Der Ukraine-Krieg hat insbesondere in Europa zu weiteren Preisausschlägen geführt.
Mit den höheren Preisen sind die Umsätze der Energieunternehmen stark angestiegen, aber nicht alle machen dabei fette Gewinne. Auf der einen Seite stehen jene, die selbst Energieträger produzieren. So hat der Mineralölkonzern OMV sein operatives Ergebnis (CCS) im ersten Quartal 2022 auf 2,6 Milliarden Euro verdreifacht. Österreichs größter Wasserkraft-Stromproduzent Verbund peilt heuer einen Rekordgewinn von etwa 2 Milliarden Euro an (2021: 874 Millionen Euro).
Weniger gut geht es jenen, die Strom oder Gas in großen Mengen zukaufen müssen, um ihre Kunden zu beliefern. So verbuchten beispielsweise Wien Energie und Energie Steiermark beim operativen Ergebnis (EBIT) 2021 Einbrüche von etwa 60 Prozent.
Industrie schaltet Gang zurück
Nachdem die Corona-Krise der Industriekonjunktur nur wenig anhaben konnte, trifft sie der Ukraine-Krieg umso härter. Vor allem ein drohender Gas-Lieferstopp aus Russland würde alle bisherigen Prognosen mit einem Schlag zunichtemachen und hängt wie ein Damoklesschwert über der Branche.
Wie in der Bauwirtschaft hat sich in der Industrie die wirtschaftliche Dynamik schon seit Anfang 2022 wieder abgeschwächt. Gründe waren der starke Preisauftrieb bei Rohstoffen, die Verschärfung bei den Lieferengpässen sowie ein zunehmender Mangel an Fachkräften. Die Industrie werde heuer kein Konjunkturmotor mehr sein, bremsten Branchenvertreter zuletzt die Erwartungen. Die Frühjahrslohnrunde stand ganz im Zeichen der hohen Inflation. In der Elektro- und Elektronikindustrie gab es zuletzt ein Gehaltsplus von 4,8 Prozent oder mindestens 130 Euro. Damit wurde ein erster Richtwert für die Herbstlohnrunde, die mit den Metallern beginnt, gelegt.
Urlaub wird nachgeholt
Reisen, die coronabedingt ins Wasser gefallen sind, werden jetzt nachgeholt. Die Reiseindustrie gibt sich entsprechend euphorisch. Airlines bauen ihre Streckennetze aus, Kreuzfahrtschiffe verlauten, dass die Maskenpflicht an Bord Geschichte ist. Aber nicht alle können von der wieder erwachten Urlaubslust profitieren. Reisebüros, die auf Überseetouristen spezialisiert sind, sind meilenweit vom Vorkrisenniveau entfernt. Der „Krieg in Europa“ lenkt Reiseströme um, dazu kommen noch immer aufrechte Corona-Auflagen, etwa in China.
Davon abgesehen blüht die heimische Tourismuslandschaft von Monat zu Monat mehr auf, die Nächtigungszahlen steigen (was gegenüber Lockdown-Zeiten logisch ist). „Wir haben das Tief durchschritten“, sagt Wiens Fachgruppenobmann Dominic Schmid.
Wie es dem Handel geht, hängt ganz davon ab, wen man fragt. In der Wiener Innenstadt fehlen nach wie vor kaufkräftige Shoppingtouristen, rund um die Seen kurbeln Gäste aus Nahmärkten die Umsätze an. Und in den Bau- und Gartenmärkten war von einer Krise ohnehin nie die Rede.
Kommentare