Erste Stimme gegen ein Denkverbot über Atomkraft
Frankreichs Präsident Macron hat schon vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine die „Renaissance der Atomkraft“ verkündet. Er will sechs Druckwasserreaktoren bis 2050 bauen lassen, acht weitere Standorte werden geprüft. Die Laufzeit aller bestehenden Kraftwerke soll verlängert werden. Frankreich ist nach den USA der zweitgrößte Atomstromproduzent.
Großbritanniens Premier Johnson kann da nicht nachstehen. In seinem Land wurde 1956 der erste kommerzielle Atomreaktor der Welt in Betrieb genommen. Johnson will im Kampf gegen die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas auch die Stromproduktion aus Sonnenenergie, Wind- und Wasserkraft ausbauen, setzt aber schwerpunktmäßig auf die Kernenergie.
Am Donnerstag verkündete Johnson den Bau acht neuer Atomreaktoren bis 2030. Johnson weiß dabei – wegen der Explosion der Energiepreise – nicht nur die Bevölkerung, sondern auch Labour hinter sich.
Altes Tabu-Thema
In Österreich ist Atomkraft bisher ein Tabu-Thema wie die Neutralität. Seit dem Nein zu Zwentendorf 1978 gibt es „ein Atomsperrgesetz, das auch die friedliche Nutzung von Kernkraft ausschließt“, sagt Stefan Zach, Sprecher der niederösterreichischen EVN. Dabei handelt es sich seit 1999 um ein Verfassungsgesetz, das nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit aufgehoben werden kann. „Und eine Aufhebung ist bei den klaren Positionen, die Österreich hier vertritt, undenkbar“, sagt Zach.
Axel Greiner, Präsident der oberösterreichischen Industriellenvereinigung (IV), denkt weiter. Kurzfristig sei die Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas kaum zu schaffen. Mittel- und langfristig müssten jedoch Alternativen gefunden und gleichzeitig die Energiewende leistbar geschafft werden.
Dazu brauche es einen breit gefächerten Mix. Er reiche vom umweltfreundlichen, durch Bio-Fracking geförderten, heimischen Schiefergas über die moderne Version der sicheren Atomkraft bis hin zum mit -neutralem Treibstoff betriebenen Verbrennungsmotor – statt einem neuen chinesischen Batterie-Monopol, sagt der Industrielle zum KURIER.
Greiner, der von sich selbst sagt, „kein Fan der konventionellen Atomkraft“ zu sein, ist vor allem „gegen Denkverbote“ und beschäftigt sich als Naturwissenschafter mit neuen Technologien. „Es ist an der Zeit, auch Kernkraft wieder in Betracht zu ziehen“, sagt er.
Die Entscheidung gegen die Atomkraft hat Greiner seinerzeit als richtig empfunden. Doch Zwentendorf sei 44 Jahre her. Greiner: „Und auch die Kernkraft hat sich weiterentwickelt und es gibt mittlerweile Ideen, Konzepte und Ansätze, Kraftwerke so zu bauen, dass sie sicher sind, und keine radioaktiven Reststoffe erzeugen.“
Es werde beispielsweise an kleinen Reaktoren geforscht, die keine Kernschmelze verursachen und in denen hochradioaktive Reststoffe weiter genutzt werden könnten. Das löse das Thema Atommüll. Auch denkt Greiner an die sogenannten Dual-Fluid-Reaktoren, die sich im Störungsfall selbst abschalten und damit keine Gefahr mehr darstellen. Greiner: „Wenn wir ernsthaft das Klima retten wollen, führt uns die Diskussion an solchen Themen nicht vorbei.“
Atomkraftgegner kritisieren solche Aussagen scharf und bringen neben anderen Argumenten auch vor, dass es oft viele Jahre dauert, bis ein Atomkraftwerk errichtet ist – sie also keine Lösung für die aktuelle Energiekrise sein könnten.
Das zeigt Hinkley Point C. Der Reaktor im Südwesten Englands wird frühestens 2025 fertig, rund ein Jahrzehnt hinter der Planung – und gilt mit knapp 30 Milliarden Euro Baukosten als „teuerstes Objekt auf der Erde“.
Atomstrom importiert
Was oft verschwiegen wird, ist aber, dass auch heute schon ein Teil des Importstroms, der im Winter benötigt wird, wenn Wind- und Wasserkraft auslassen, aus Nachbarländern wie Tschechien und damit aus Kohle- und Atomkraftwerken kommt. Wie viel genau weiß niemand. Die IG Windkraft spricht von einem Strommix, der bis zu elf Prozent Atomstrom enthält.
Laut Zach kommt erschwerend dazu, dass es in Österreich seit 2020 keine eigenen Kohlekraftwerke mehr gibt, die bei Bedarf einspringen können. Das war ein „wichtiger Schritt für den Klimaschutz, aber ein schwieriger Schritt für die Versorgungssicherheit. Er hat uns noch abhängiger von russischem Erdgas gemacht.“
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