Kohle: Österreichs schmutziger Notfallplan
Unter den fossilen Energieträgern ist Gas der sauberste. Dementsprechend sollte es im Zuge der europäischen Energiewende als Brückentechnologie zum Einsatz kommen.
Der Ukraine-Krieg hat die Situation aber drastisch geändert, denn Europas Hauptlieferant Russland zögert nicht, Energie als politisches Druckmittel einzusetzen. In Deutschland und Österreich schwenken mit Robert Habeck und Leonore Gewessler nun ausgerechnet grüne Minister um – und setzen in der Stromproduktion vermehrt auf Kohle. Auch die Niederlande kurbeln die Kohleverstromung an.
Woher rührt die Aufregung, wird doch nur ein Kohlekraftwerk reaktiviert?
Erstens weil Energieministerin Gewessler erst 2020 den „endgültigen“ Ausstieg aus Kohlekraft feierte. Zweitens weil Kohlekraft durchaus mit Recht verteufelt wird als klima- und gesundheitsschädlich. Und letztlich weil Österreichs Klimaziele, die bis 2030 (minus 50 Prozent CO2-Ausstoß) ohnehin kaum erfüllbar scheinen, mit der Entscheidung noch ein Stück weiter in die Ferne rücken.
Wofür wird Strom aus Gas und Kohle gebraucht?
Das Elektrizitätsnetz benötigt immer die gleiche Menge an Stromerzeugern (Kraftwerken) und Stromabnehmern (Haushaltskunden und Betrieben). Ist das Gleichgewicht gestört, kann das sehr schnell zum Albtraum Blackout führen, zu einem flächendeckenden Stromausfall. Die längste Zeit waren vor allem Erdgaskraftwerke jene Stromerzeuger, die zur Stabilisierung des Netzes immer einspringen können, um mehr Strom zu produzieren.
Warum will die grüne Energieministerin Kohle wieder etablieren?
Nun hat Österreich aufgrund der Sanktionen gegen Russland wegen des verbrecherischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eine höchst fragile Situation rund um die Gasversorgung. Seit wenigen Tagen liefern die Russen nur noch die Hälfte der eigentlich vereinbarten Mengen. Somit ist Gaskraft aber kein verlässlicher Stromproduzent mehr. Die Regierung suchte Alternativen, und eine davon heißt, erneut auf Kohlekraft zu setzen. Klar ist allerdings, das je nach Wirkungsgrad eines Kraftwerks beim Verbrennen von Kohle im Vergleich zu Gas bis zur doppelten Menge CO2 frei wird. Darum soll das Kohlekraftwerk Mellach künftig auch nur im Notfall in Betrieb gehen. Was ein solcher Notfall ist, ist derzeit noch nicht definiert.
Ist die Situation in Deutschland, wo ebenfalls auf Kohlekraft gesetzt werden soll, vergleichbar?
Grundsätzlich nicht. Zwar will auch dort der ebenfalls grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck Kohlekraftwerke reaktivieren. Doch anders als in Österreich ist Kohlekraft in Deutschland eine zentrale Säule der Energieversorgung (rund 43 Prozent der Stromproduktion). Ein Ausstieg ist nicht vor 2035 (!) geplant.
Wie reagieren Opposition und NGOs auf die Ansage der Regierung, Kohlekraft zu reaktivieren?
Klimaschützer sind regelrecht entsetzt. SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll meinte, die Reaktivierung des Kohlekraftwerks Mellach sei „einzig und allein der Untätigkeit der türkis-grünen Regierung“ geschuldet. Kritik übten auch die Neos. Die Regierung hätte schon vor Monaten handeln müssen, Gewessler sei völlig „plan- und orientierungslos“, konstatierte Generalsekretär Douglas Hoyos. Seitens der FPÖ meinte Parteichef Herbert Kickl, ÖVP und Grüne würden Österreich „nicht nur immer weiter in eine Teuerungswelle“ treiben, sie hätten auch die „Versorgungssicherheit der Bevölkerung und der Wirtschaft dafür geopfert“. Seitens der Volkspartei wird Gewessler hinter den Kulissen Respekt gezollt, über den eigenen Schatten als oberste Klimaschützerin gesprungen zu sein, weil sie sogar Kohlekraft erlaubt.
Wer zahlt die Umrüstung des Kraftwerks auf den Energieträger Kohle?
Zwar ist die Höhe der Kosten noch nicht spruchreif, klar ist aber, wer sie tragen wird: „Für die Kosten der Ertüchtigung wird zur Gänze der Bundeshaushalt aufkommen“, hieß es dazu auf Anfrage aus Gewesslers Ministerium.
Wie voll sind Österreichs Gasspeicher?
Österreichs Gasspeicher sind derzeit zu rund 41 Prozent gefüllt (Stand 19. Juni). Allerdings hat Österreich eine der größten Erdgasspeicher-Kapazitäten in der EU. Sie fassen etwa einen Jahresbedarf.
Ist Atomkraft eine langfristige Option?
Alle europäischen Staaten achten derzeit darauf, wie die benötigten Strommengen generiert werden könnten. Während in Österreich der Neubau eines Atomkraftwerks eher ausgeschlossen ist (1978 gab es eine bindende Volksabstimmung gegen Zwentendorf), sehen die meisten anderen Staaten Atomkraft weit weniger negativ. Mit einem Anteil von 27 Prozent ist Kernenergie auf Platz 1 unter den Stromerzeugern. Frankreich generiert rund 70 Prozent seiner Energie aus Kernkraft. Vollkommen stabil ist allerdings auch diese Technologie nicht: Niedrige Pegelstände von Flüssen, die diese Kraftwerke zur Kühlung brauchen, haben die Betreiber heuer zeitweise gezwungen, die Leistung herunterzufahren.
Aus welchen Energie-Quellen kommt der Strom in Österreich?
Österreich hat unter den EU-Staaten den größten Anteil an grünem Strom, dank der fast vollständig ausgebauten Wasserkraft. Rund 60 Prozent unseres Stroms kommen übers Jahr gesehen aus Wasserkraftturbinen, dann folgen die Windkraft mit etwa zehn Prozent Anteil und Fotovoltaik-Strom mit etwa drei Prozent. Erdgas ist zur Stromproduktion vor allem im Winter wichtig, wenn die Erneuerbaren weniger ertragreich sind. Dazu kommt der Einsatz in Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen. Insgesamt lag der Anteil zuletzt bei 15 Prozent.
Erstes Kohlekraftwerk
Thomas Edison selbst stand hinter dem weltweit ersten Kohlekraftwerk, die „Edison Electric Light Station“ ging 1882 in London in Betrieb
Kohlekraft in Österreich
Nach knapp 33 Jahren beendete die EVN erst 2019 die Kohleverstromung am Standort Dürnrohr (bei Zwentendorf an der Donau), das letzte war dann das Kohlekraftwerk Mellach bei Graz. In den 15 Jahren davor wurden bereits alle übrig gebliebenen Kohlekraftwerksblöcke wie etwa in Voitsberg, Zeltweg oder St. Andrä stillgelegt
Größtes Kohlekraftwerk
Die größten Kohlekraftwerke der Welt stehen in Asien, Polen hat in Bełchatów das fünftgrößte (5.000 MW)
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